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Die Doktoren und das liebe Vieh

An der Tierklinik für Fortpflanzung gehen Lehre, Forschung und Patientenbetreuung Hand in Hand

Von Sven Lebort

Sie sind ein Team von „Machern“, die Mitarbeiter der Tierklinik für Fortpflanzung an der Freien Universität Berlin. Ihr Direktor macht es vor: Statt jahrelang auf Podien und in Fachartikeln zu beklagen, dass die meisten der Studierenden die anstrengende Nutztierpraxis verschmähen, rief Wolfgang Heuwieser kurzerhand die Initiative „vets4vieh“ ins Leben. Angehenden Tierärzten, die meist weiblich sind und überwiegend aus der Stadt stammen, soll diese Aktion die Arbeit mit Kühen und Schafen näherbringen. „Heutige Studierende wissen kaum, dass es den Nutztierarzt überhaupt gibt“, sagt Heuwieser.

„Vets4vieh“ soll das ändern. Im Rahmen eines Gewinnspiels organisierte der Leiter der Klinik neun Schnupperpraktika. Für eine Woche gingen die Gewinnerinnen in Nutztierpraxen und bekamen vor Ort einen Eindruck über die Aufgaben und Herausforderungen. Die Idee kam an: Nicht nur, dass sich 300 Studierende bewarben, die Gewinnerinnen bescheinigten dem Projekt auch, es habe sie der Großtierpraxis sehr viel näher gebracht. Manch eine verspürte nun sogar den Wunsch, nach dem Studium dort zu arbeiten. Bei den praktizierenden Nutztierärzten rannte Wolfgang Heuwieser mit seiner Idee ohnehin offene Türen ein. Sie suchen teilweise seit Jahren händeringend Assistenten und Nachfolger. „Angesichts des extremen Mangels ist unsere Initiative allerdings nur ein Tropfen auf dem heißen Stein“, sagt Heuwieser, der das Projekt zusammen mit einem Kollegen der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität auch in diesem Jahr weiterführen möchte.

Kollegen sagen, das Projekt „vets4vieh“ sei ein „typischer Heuwieser“. Der Klinikdirektor ist dafür bekannt, dass er Störendes anpackt, dabei die Praxis jedoch nicht aus dem Blick verliert. Vielleicht ist das der Grund dafür, dass die Lehre von den Studierenden stets als hervorragend bewertet wird. Rund 160 angehende Tierärztinnen – und auch einige wenige Tierärzte – lernen an der Klinik im Herzen des Campus Düppel die Fortpflanzungskunde an allen gängigen Tierarten von der Katze bis zum Stier. Stets sind es kleine Gruppen mit optimalem Betreuungsverhältnis: Auf einen Dozenten kommen etwa acht Studierende. Kein Zufall, dass die Klinik inmitten des veterinärmedizinischen Areals liegt: Sie bildet auch thematisch eine Schnittstelle zwischen den Disziplinen der Tierheilkunde. „Fortpflanzung geht alle an“, sagt Dr. Sebastian Arlt, der hier für Kleintiere, vor allem für Hunde, zuständig ist. Stolz zeigt er den Untersuchungsraum, der ganz auf die Fortpflanzungs- und Trächtigkeitsdiagnostik ausgelegt ist. Mit seinen Spezialgeräten kann Arlt dort Diagnosen erstellen, die dem Haustierarzt nur schwer möglich sind. Das Angebot wird gern angenommen: Zahlreiche Züchter vertrauen die Fortpflanzung ihrer oft sehr wertvollen Hunde ihm und seinen Kollegen an. Dass der Service gern genutzt wird, hat auch mit den Eigenheiten des Hundes zu tun. So ist bei der Hündin der optimale Decktermin rein äußerlich schwer bestimmbar. Da in der Zucht für die Deckung viel Geld und Aufwand nötig ist, bedeutet das Wissen um den genauen Termin eine deutliche Erleichterung. „Manche Züchter fahren mit ihrer Hündin quer durch Europa, wenn sie den geeigneten Deckrüden ausgemacht haben. Wenn dann nichts passiert oder der Hund nicht schwanger wird, ist das ein großer finanzieller Verlust“, sagt Arlt.

Die Betreuung durch die Veterinäre beginnt zuweilen schon vor der Deckung, indem an der Klinik ein optimaler Zuchtpartner fürs Tier gesucht wird. Und es geht noch viel weiter. Per Ultraschall und über den Hormonstatus kontrollieren Arlt und seine Kollegen den Verlauf der Schwangerschaft. Risiken lassen sich auf diese Weise früh erkennen, oft werden Welpen gerettet, die sonst, vom Halter unbemerkt, noch im Bauch der Hündin gestorben wären. Bei Rüden untersuchen die Tierärzte in Düppel die Hoden, den Penis und das Sperma, etwa, wenn der teure Deckrüde keine Hündin mehr schwängern kann. „Wir testen das gesamte Fortpflanzungssystem auf Funktionsfähigkeit“, sagt Arlt und lächelt: „Das sieht mitunter etwas eigenartig aus, ist aber notwendig.“

Und wozu das Ganze? „Nicht wegen des Geldes“, so Arlt, obschon die Klinik die Untersuchungen regulär in Rechnung stellt – sondern für die Lehre und Forschung. Wenn in Düppel ein Hund untersucht wird, stehen immer drei Studierende dabei. Fortgeschrittene packen unter den wachsamen Augen der Wissenschaftler auch selbst mit an. Der dadurch gewonnene Kontakt nützt Züchtern wie Forschern. „Wir bekommen auf diese Weise eher die Möglichkeit, Tiere für Studien zur Verfügung gestellt zu bekommen“, sagt Sebastian Arlt. Oft überlässt auch ein Züchter seine Tiere der Klinik für Vorlesungen.

Dafür musste auch schon Mischling Emily herhalten. Emily ist zwölf Jahre alt und „im öffentlichen Dienst ergraut“, wie Wolfgang Heuwieser gern scherzt. Ihrem Herrchen weicht sie selten von der Seite. Nur im Kuhstall hat Emily aus Seuchenschutzgründen das Nachsehen. Kühe sind Heuwiesers Domäne, vor allem die Betreuung größerer Bestände. Die beginnt bei der Sicherung der Milchqualität durch medizinische Beratung und ist bei der Geburtshilfe im Stall noch lange nicht zu Ende. Heuwieser und seine Mitarbeiter kümmern sich um den gesamten Prozess beim Milchvieh „from stable to table“, wie er sagt – vom Stall bis auf den Tisch. Die Tierklinik bietet landwirtschaftlichen Unternehmern einen breiten Service: Eine umfassende Schwachstellenanalyse deckt Probleme und Fehler auf, die es selbst im modernsten Milchbetrieb mit viel Kuh-Komfort gibt. Egal, ob im Kleinbetrieb mit 70 Kühen oder in großen Betrieben mit über 1000 Tieren.

Grundlegende Beratung und gezielte Behandlung sichern die Eutergesundheit der Tiere. Gerade in ökologisch wirtschaftenden Betrieben ist der Rat der Tierklinik für Fortpflanzung besonders gefragt: „Der Verzicht auf Antibiotika und Hormone ist biologisch sinnvoll, wirft aber für die Tiergesundheit völlig neue Fragen auf“, sagt Christian Fidelak, der Spezialist für alternative Heilmethoden. Nicht zuletzt deshalb werden an der Tierklinik in letzter Zeit verstärkt alternative Heilmethoden getestet und auf ihre Wirksamkeit geprüft.

„Ausbilden. Betreuen. Forschen. Heilen. Das eine befruchtet das andere.“ So lautet das Motto der Tierklinik, das Wolfgang Heuwieser und seine Kollegen täglich mit Leben füllen. Was nicht immer leicht fällt, wie er selbst einräumt. Während seines beruflichen Aufenthalts in den USA hat er festgestellt, dass dort bei neuen Ideen zunächst deren Potenzial gesehen wird. „Hier in Deutschland sieht man zunächst die Gefährdung“, sagt er. Das koste viel Energie und Erfolg, was Heuwieser angesichts „toller Arbeitsbedingungen und fantastischer Möglichkeiten an der Freien Universität Berlin“ sehr bedauert. Sein Rezept dagegen lautet: „Absolute Sturheit und sich von Misserfolgen nicht entmutigen lassen.“ Eine Haltung, die auch seine Studierenden und Mitarbeiter an Heuwieser schätzen.