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Diskussion auf Augenhöhe

Die Kroatin Dubravka Ugrešik wird Samuel-Fischer-Gastprofessorin an der Freien Universität Berlin

Die kroatische Schriftstellerin Dubravka Ugrešik („Das Ministerium der Schmerzen“) ist nach Autoren wie dem Literaturnobelpreisträger von 1994, Kenzaburo Oe, die 15. Schriftstellerin, die eine Samuel-Fischer-Gastprofessur an der Freien Universität Berlin übernimmt. Die seit 1998 bestehende Einrichtung der Samuel-Fischer-Gastprofessur wird von der Freien Universität, dem S. Fischer Verlag, dem Deutschen Akademischen Austausch Dienst (DAAD) und dem Veranstaltungsforum der Verlagsgruppe Georg von Holtzbrinck getragen. Sie dient der künstlerischen Ergänzung des wissenschaftlichen Lehrangebots und soll dessen Verflechtung mit dem geistigen Leben der Stadt fördern.

Dubravka Ugrešik lehrte bereits an der amerikanischen Elite-Universität Harvard und der University of North Carolina Chapel Hill. Vor zwölf Jahren führte sie ein Stipendium des DAAD in die deutsche Hauptstadt. Seither wurde Dubravka Ugrešik mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, darunter mit dem Österreichischen Staatspreis für Europäische Literatur (1999) und dem Premio Feronio-Città di Fiano in Italien (2004).

Dubravka Ugrešik legt Wert darauf, dass sie als Schriftstellerin und nicht als Literaturtheoretikerin an die Freie Universität Berlin gekommen ist, obwohl sie auch als solche bereits über 20 Jahre an der Universität Zagreb tätig war. Ihr Blockseminar in diesem Sommersemester mit dem Titel „Contemporary Literature: its status and shape“ solle also keinesfalls eine literaturtheoretische Vorlesung werden. Statt dessen würden aktuelle politische und kulturelle Ereignisse in Bezug zu moderner Literatur gesetzt. Dubravka Ugrešik bezeichnet dieses Vorgehen als „essayistischen Ansatz“.

Gleich in ihrer ersten Lehrveranstaltung Anfang Mai machte die Autorin deutlich, wie sie sich die Arbeit mit den Studierenden der Freien Universität Berlin vorstellt: Sie ermunterte die Teilnehmer, mit ihr auf Augenhöhe in einen engen intellektuellen Austausch über aktuelle gesellschaftliche Entwicklungen zu treten: „Wir wollen gemeinsam untersuchen, was es heißt, in der heutigen Zeit zu leben.“

In der Veranstaltung soll ein breites Themenspektrum behandelt werden, wie die Autorin erklärte – religiöse Aspekte spielen ebenso eine Rolle wie Feminismus. Eine besondere Bedeutung will die Schriftstellerin einem Thema einräumen, das sie in ihrer eigenen Vergangenheit geprägt hat, dem Leben im Exil.

Die 1949 im ehemaligen Jugoslawien und heutigen Kroatien geborene Autorin verließ ihre Heimat 1993 aus politischen Gründen. Sie lebte seither in den Niederlanden und in den USA. Ihre Erfahrungen und ihren Standpunkt zum Zerfall des Staates Jugoslawien in den 90er Jahren legte sie unter anderem in den Essay-Bänden „My American Fictionary“ und „Die Kultur der Lüge“ dar. Beide Bücher waren – ebenso wie ihr Roman „Das Museum der bedingungslosen Kapitulation“ aus dem Jahr 2003 – ein internationaler Erfolg.

In ihrer Heimat fühlt sich Dubravka Ugrešik mit ihrem Werk allerdings missverstanden. Ganz anders ist das in den USA. Für sie als Autorin sei es hochinteressant, durch Kontakte mit den Studierenden oder durch andere Formen des Austauschs zu erfahren, wie ihre Texte in den verschiedenen Ländern aufgefasst würden.

Auf die Frage, ob sie für ihre Bücher lieber wenige Leser hätte, die Ihr Werk verstünden, oder so viele Leser wie möglich, antwortet Dubrovka Ugrešik am Ende der ersten Lehrveranstaltung schmunzelnd: „Beides wäre ein Albtraum.“

Die öffentlichen Veranstaltungen mit Dubravka Ugrešik finden – in englischer Sprache – jeweils dienstags und freitags von 18 bis 20 Uhr in der Silberlaube (Habelschwerdter Allee 45, KL 29/235) statt. Nähere Informationen im Internet unter www.complit.fu-berlin.de. Am 1. Juni gibt es außerdem eine Lesung mit Dubravka Ugrešik und der Schauspielerin Jule Böwe in der Schaubühne. Beginn: 20.30 Uhr. Gelesen wird aus dem Buch „Das Ministerium der Schmerzen“.

 

ZUR PERSON

Ein breites Themenspektrum

Dubravka Ugrešik wurde 1949 in Kutina im heutigen Kroatien geboren. Sie studierte an der Philosophischen Fakultät in Zagreb und arbeitete dort über 20 Jahre lang am Institut für Literaturtheorie. Ihr Hauptaugenmerk galt dabei der russischen Avantgarde.

1978 erschien mit der Kurzgeschichtensammlung „Eine Pose für die Prosa“ ihr erstes Prosawerk. Zwei Jahre später veröffentlichte sie die Studie „Neue russische Prosa“. Mit dem 1988 erschienenen Roman „Fording the Stream of Consciousness“ endete die Schaffensphase, in der sie mit verschiedensten literarischen Gattungen und Stilmitteln experimentierte.

1993 verließ Ugrešik, die sich im Gegensatz zu vielen anderen Literaten in Kroatien und Serbien jedweder Form von Nationalismus und Chauvinismus verweigerte, ihre Heimat und ging ins Exil.

Mit dem Auseinanderbrechen Jugoslawiens setzte sie sich in zahlreichen Essays auseinander.

Dubravka Ugrešik lebt in Amsterdam. cwe

Von Franziska Garbe und Carsten Wette