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Der Schlüssel zu den Schlüsseltechnologien

Die „Berlin Mathematical School“ hat die zweite Runde des Exzellenzwettbewerbs erreicht

Nach der Entscheidung der Gemeinsamen Kommission der Deutschen Forschungsgemeinschaft und des Wissenschaftsrats ist die Freie Universität Berlin im Exzellenzwettbewerb des Bundes und der Länder einen Schritt weiter. Sie wird bis zum 20. April in allen drei Förderlinien – Graduiertenschulen, Exzellenzcluster und Zukunftskonzepte – Anträge einreichen. Im Einzelnen ist das die „Graduate School of North American Studies“, das Cluster „Governance in a Globalized World“ und das Projekt „International Network University“ mit den drei Säulen Zentrum für Clusterentwicklung, Dahlem Research School und Zentrum für internationalen Austausch. Darüber hinaus wurde die Graduiertenschule „Berlin Mathematical School“ (BMS) der drei großen Berliner Universitäten aufgefordert, einen Antrag einzureichen. Professor Dr. Christof Schütte vom Institut für Mathematik der Freien Universität Berlin erläutert im folgenden Interview Inhalte und Ziele der Schule.

Herr Schütte, wie kam es zu der Idee, eine Mathematik-Schule für Graduierte zu gründen?

Die Idee einer gemeinsamen Graduiertenschule haben wir zuerst im Matheon diskutiert, dem Mathematik-Forschungszentrum der drei großen Berliner Universitäten, an dem sich auch zwei mathematische Forschungsinstitute beteiligen. Da wir uns am Matheon aber nur mit der angewandten Mathematik beschäftigen und bei der Graduiertenausbildung auch die reine Mathematik berücksichtigen wollten, war klar, dass wir die Schule vom Matheon loslösen müssten. Die ursprüngliche Idee – auch der Name „Berlin Mathematical School“, BMS – kam von Peter Deuflhard, dem Präsidenten des Zuse-Instituts, der ja auch Mathematik-Professor an der Freien Universität ist.

Heißt das, dass Sie schon vor dem Exzellenzwettbewerb begonnen haben, die Graduiertenschule zu planen?

Ja, das Konzept hatten wir schon vorher mit den Vizepräsidenten der drei Berliner Unis besprochen.

Dann müssten Sie ja relativ weit mit den Planungen sein. Wann soll denn die Schule ihren Betrieb aufnehmen?

Wir befinden uns mitten im Wettbewerb und wissen natürlich nicht, ob wir uns durchsetzen werden. Trotzdem wollen wir sowohl den Web-Auftritt als auch die Werbematerialien spätestens bis zum Herbst 2006 fertig gestellt haben. Denn wir wollen Anfang 2007, wenn die amerikanischen Universitäten um die Studierenden werben, mit diesen konkurrieren und die besten Studierenden für uns gewinnen.

Wofür brauchen wir überhaupt eine Mathematik-Graduiertenschule?

Viele Menschen fragen sich wahrscheinlich eher: Wozu brauchen wir überhaupt Mathematik im Leben?

Viele glauben ja, dass Mathematik gänzlich überflüssig sei …

Damit liegen sie falsch. Mathematik ist die Wissenschaft der Strukturen und unserer Ansicht nach der Schlüssel zu den Schlüsseltechnologien. Da technische Innovationen immer schneller entwickelt werden, müssen wir abstrakt genug denken, um mithalten oder die Innovationszyklen sogar beschleunigen zu können. Und da die Sprache der Abstraktion Mathematik ist, brauchen wir – wenn sich Deutschland einen internationalen Spitzenplatz sichern möchte – die besten Mathematiker. Die wollen wir ausbilden.

Wie sieht denn die Ausbildung im Einzelnen aus?

Die Ausbildung besteht aus zwei Phasen, die vier Jahre dauern: Die erste Phase, für die der Bachelor-Abschluss eine Voraussetzung bildet, entspricht einer Art Master-Studiengang mit mehr Inhalten und anschließendem Qualifizierungsexamen statt einer Master-Arbeit. Wenn die Studierenden das Examen bestanden haben, kommen sie in den eigentlichen Doktoranden-Studiengang. In beiden Phasen wird es ein Kursprogramm geben 

... das wahrscheinlich extrem umfangreich ist, weil Sie auf die Kurspalette der drei Universitäten zurückgreifen können.

Genau, und das ist unser großer Vorteil. Wir haben eine immense Auswahl an Lehrveranstaltungen und haben aus dem Gesamtangebot die sieben stärksten Schwerpunkte ausgewählt, in denen sich die international bekanntesten Forscherpersönlichkeiten finden.

Welche Schwerpunkte ihrer Mathematik-Institute bringt denn die Freie Universität in die BMS ein?

Analytik, Scientific Computing, Numerik und diskrete Mathematik. Diese Bereiche haben die anderen Unis zwar teilweise mit uns gemeinsam, aber wir haben eine sehr starke Ausprägung in die Lebens- und in die Geowissenschaften hinein, eine Anbindung in die Bioinformatik und sehr gute Kooperationen mit der Physik und der Chemie.

Wo soll denn die Ausbildung im Einzelnen stattfinden? Müssen die Studierenden mehrmals täglich von einer Universität zur nächsten pendeln, je nachdem, wo ihre Veranstaltungen stattfinden?

Die Seminare und Vorlesungen finden zwar an allen beteiligten Universitäten statt, aber wir haben das Lehrprogramm so konzipiert, dass alle Studierenden gemeinsam jeweils einen ganzen Tag in der Woche an einer der drei Universitäten verbringen. Damit ersparen wir ihnen lange Fahrstrecken.

Und was können Absolventen mit dem Abschluss anfangen?

Mathematiker sind Generalisten. Man findet sie überall in der Industrie – vom Autobau über die Logistik bis hin zu den Lebenswissenschaften. Man findet sie aber auch in vielen Versicherungen und Finanzinstituten, als Vorstandsmitglieder oder Vorstandsassistenten großer Unternehmen.

Sie haben eben den Bereich der diskreten Mathematik genannt. Was macht denn ein „diskreter“ Mathematiker?

Die diskrete Mathematik beschäftigt sich hauptsächlich mit Kombinatorik und Optimierung. Die ist unglaublich wichtig in allen Bereichen, die mit Logistik zu tun haben, zum Beispiel bei der Routen- oder Personalplanung – etwa bei der Bahn oder bei Fluggesellschaften. Diskrete Mathematiker spielen auch bei der Konzipierung von Fahrplänen eine Rolle. Sie haben zum Beispiel im letzten Jahr die Fahrpläne der Berliner Verkehrsbetriebe optimiert. Eine typische Aufgabenstellung für sie wäre: Ein Handlungsreisender soll alle Städte in den Vereinigten Staaten besuchen, aber in keiner Stadt zweimal verweilen – suchen Sie den kürzesten Weg.

Das Interview führte Ilka Seer.

Christof Schütte (40) ist seit 2000 Professor für Numerik und Scientific Computing an der Freien Universität Berlin. Er ist auch Projektleiter am DFGForschungszentrum Matheon.