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Die Linguistin Barbara Merzinger untersucht das Lachen von Frauen

Lauthals und hemmungslos

Warum sie über Lachen forscht? Wer mit Barbara Merzinger telefoniert, fragt nicht mehr lange nach. Eine herzlich-ansteckende Lachsalve empfängt den Anrufer am anderen Ende der Leitung. „Ich lache sehr gerne“, sagt die 45-jährige Linguistin, „und auch gerne mal laut.“ Barbara Merzinger ist Autorin, Mediatorin und arbeitet für Berliner Sexualberatungsstellen. Bei ihrer Arbeit in und mit Frauengruppen werde häufig lauthals gelacht, so die Wissenschaftlerin. Und doch stelle sie immer wieder ein gewisses Befremden gegenüber diesem weiblichen Lachen fest.

Lautes Lachen gilt hierzulande als unseriös. Herausprustendes Gelächter oder fröhliches Schenkelklopfen wird im Alltag häufig als peinlich empfunden. In Deutschland wird durchschnittlich sechs Minuten am Tag gemäßigt gelacht – Spitzenreiter Portugal führt in Europa mit 18 Minuten täglich. Dabei hat Lachen nachgewiesener Weise eine therapeutisch positive Wirkung. Und doch ist es ein Kreuz mit dem Lachen, vor allem dem der Frauen. „Frauen lachen nachweislich häufiger als Männer“, erklärt Barbara Merzinger. Und trotzdem – oder gerade deshalb – wurde lautes, offenmundiges Lachen von Frauen lange als vulgär und als Zeichen sexueller Promiskuität gedeutet. Eine Vorstellung, die sich noch in den Benimmbüchern der 1960er Jahre niederschlägt.

Hat sich durch das Lachen also eine Sozialordnung etabliert? Teilen sich soziale oder kulturelle Hintergründe im Lachen mit? Lachen ist weder natürliche Explosion noch kontrolliertes Verhalten – aber was dann? Welche Funktion hat das Lachen in Gesprächen zwischen Frauen grundsätzlich? Um all das zu klären, untersuchte Barbara Merzinger im Rahmen ihrer Dissertation am Fachbereich Philosophie und Geisteswissenschaften der Freien Universität Berlin das weibliche Lachen in Gesprächen über Sexualität und Shopping. Neben dem unmittelbaren Kontext der jeweiligen Gesprächssituation, in der das Lachen erfolgte, spielten Kriterien wie Geschlecht, Alter, Status und Beziehungen der Personen eine maßgebliche Rolle. Die Wissenschaftlerin befragte deshalb 34 Frauen zwischen 18 und 81 Jahren mit verschiedenen sozialen Hintergründen, sowie unterschiedlicher sexueller und politischer Orientierung. „Es war eine bunte Mischung“, sagt die Wissenschaftlerin. „Einige der Frauen kannte ich schon früher, andere habe ich spontan beim Bäcker angesprochen, ob sie mitmachen wollten.“ Dass es in dem Gespräch um Sexualität gehen würde, wussten die Frauen, nicht jedoch, dass ihr Lachverhalten untersucht werden würde. Die Interviews wurden mit Tonband und Videokamera im Wohnzimmer von Barbara Merzinger aufgezeichnet. Die meisten Probandinnen sprachen sehr offen über ihre Sexualität. „Häufig waren sie regelrecht dankbar, sich mit jemandem ernsthaft darüber auseinandersetzen zu können. Es gibt offensichtlich ein großes Bedürfnis unter Frauen, sich über dieses Thema auszutauschen“, sagt die Wissenschaftlerin. Die meisten Lacher erntete die Linguistin mit der Frage: „Würdest du gerne mal ein Tier beim Sex spielen und wenn ja, welches?“

In mühevoller Kleinarbeit transkribierte die Linguistin die geführten Gespräche und integrierte das Lachen als linguistisches Phänomen. Jede Lachsilbe bekam ein „h“, jedes „hehe'he“ wurde vollständig erfasst. Die Ergebnisse waren schließlich auch für die Promovendin erstaunlich: „Ich war vor allem davon überrascht, wie differenziert und gezielt das Lachen von den Frauen eingesetzt wurde, um bestimmte Botschaften zu übermitteln. Lachen ist nicht zufälliger Ausdruck einer momentanen Laune, sondern es unterteilt Redebeiträge in verschiedene Abschnitte und sorgt somit für den reibungslosen Ablauf eines Gesprächs“, erklärt die Wissenschaftlerin. Jedes Lachen wird besonders positioniert, um damit auf relevante Aussagen oder Themen hinzuweisen. Das Lachen der Frauen ist also keinesfalls Ausdruck weiblicher Unsicherheit oder Schamhaftigkeit, sondern es ordnet die Gesprächsbeziehung.

Die Annahme der Autorin, dass frauenbewegte Frauen aufgrund der Wahrnehmung gesellschaftlicher Widersprüche besonders stark und häufig ins Lachen geraten, bewahrheitete sich nicht. Jedoch erschienen die interviewten Frauen über 60 Jahre bis in ihre Körpersprache hinein eher an traditionelle Wertvorstellungen gebunden zu sein. Sie legten eine fast korsagenhaft wirkende Zurückhaltung an den Tag, lachten wenig und kaum hörbar. Alle anderen interviewten Frauen lachten laut und ausgiebig und unterlagen offensichtlich keinem Verhaltenskodex. „Das große Frauenlachen kann also als Ausdruck eines zunehmend selbstbewussten Auftretens gedeutet werden“, sagt Barbara Merzinger – und lacht.

Barbara Maria Merzinger: Das Lachen der Frauen im Gespräch über Shopping und Sexualität. Inaugural-Dissertation zur Erlangung des Grades einer Doktorin der Philosophie am Fachbereich Philosophie und Geisteswissenschaften der Freien Universität Berlin. Berlin 2005.

Die Dissertation ist im Internet verfügbar unter: www.diss.fu-berlin.de/2005/274

Von Ortrun Huber