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Vom „Gangster“ zum Wähler

Studierende organisieren eine Erstwählerkampagne. Das Ziel: Viele junge Menschen sollen wählen gehen

Jugendgangs haben einen schlechten Ruf: kriminell, brutal und unverschämt – so das Vorurteil. Doch pünktlich zur vorgezogenen Bundestagswahl hat sich eine Gang formiert, die ganz anders ist: engagiert, fleißig, akademisch ausgebildet. Sie nennt sich selbst „die Wahl Gang“ – ein Wortspiel. Die Gruppe aus 25 Studierenden hat ein Ziel: möglichst viele junge Menschen zum Wahlgang am 18. September motivieren.

Und das ist in der Kürze der Zeit eine wirkliche Herausforderung. „Wir wurden von den vorgezogenen Neuwahlen ebenso überrascht wie der Rest der Republik“, sagt Marvin Geilich, der am Otto-Suhr-Institut der FU gerade seine Diplomarbeit schreibt. „Eigentlich hatten wir unsere Kampagne für 2006 geplant.“ Jetzt muss alles ganz schnell gehen.

Die Schaltstelle für alle Aktionen der Gang ist die „Wahl-Lounge“ in der Rosenthaler Straße 39 in Berlin Mitte. Hier sitzen die ehrenamtlichen Wahl-Gangster in einem notdürftig aus gebrauchten Möbeln zusammengezimmerten Büro und tüfteln an den verschiedenen Aktionen, Plakaten und Postkarten, die zu ihrer Kampagne gehören. Sie haben ihre eigenen Laptops mitgebracht, im Minutentakt klingeln Mobiltelefone, zwischen den viel beschäftigten Jung-Wahlkämpfern wuselt ein weiß-brauner Jack-Russel-Terrier durch die Räume. Der Hund heißt Max und gehört Elena Sohn, 25 Jahre alt, Projektleiterin und ebenfalls Politologie-Diplomandin. „Für mich zählt, dass wir hier gemeinsam etwas auf die Beine stellen, das professionell ist, einem guten Zweck dient und gute Aussichten auf Erfolg hat“, sagt sie.

Auf vielen Kanälen mühen sich Elena und Co, junge Menschen von der Wichtigkeit der Kreuze auf dem Wahlzettel zu überzeugen. So geht die Gang auf eine Tour durch Deutschland: Mit einem „Wahl Gang Mobil“ fahren sie Schulen, Bundeswehrkasernen und Betriebe an, um Schüler, Soldaten und Auszubildende in Kontakt mit ihren Wahlkreiskandidaten zu bringen. Dabei geht es kreuz und quer durchs Bundesgebiet, die nächsten Stationen sind zum Beispiel Kiel, München, Aachen und Cottbus. Marvin Geilich erklärt: „Wir organisieren vor Ort eine Diskussionsrunde mit Erstwählern, Kandidaten und Vertretern der Jugendorganisationen der Parteien.“ Das Ziel: Jungwähler sollen sehen, dass man sich auch als Jugendlicher und junger Erwachsener parteipolitisch engagieren kann. Rechtsextreme Gruppen und Parteien kommen bei den Veranstaltungen jedoch nicht zu Wort. Denn: „Jede Stimme ist eine Stimme gegen rechts“, heißt es bei der „Wahl Gang“. Ansonsten ist die Mannschaft politisch wirklich durchmischt: Jungliberale arbeiten mit Grünen zusammen, ebenso SPD- und CDU-Anhänger. Und Linkspartei-Fans gibt es auch.

Wie bei jeder politischen Kampagne kommen auch bei der „Wahl Gang“ Plakate, Handzettel und Postkarten zum Einsatz. Sogar einen Werbespot gibt es, der in Kinos und im Musikfernsehen läuft. Unter dem Motto „Alt genug mitzuspielen“ findet außerdem ein Fußballturnier statt. Jungwähler spielen gegen Politiker wie Bundestagspräsident Wolfgang Thierse und werden so „spielerisch an die Politik und somit an die Wahlurne herangeführt“, wie es in der Planung heißt.

Christoph Fahle, 25 Jahre, von der Universität Potsdam kümmert sich unter anderem um die Internetseite www.ich-geh-hin.de, die zusammen mit einem großen Jugendradiosender betrieben wird. „Dort outen sich Stars und Sternchen als Wähler“, sagt Fahle, „und erklären warum sie zur Wahl gehen.“ Die Deutschrock-Band Silbermond geht hin, „weil nicht wählen rechtsradikal wählen bedeutet.“ Und sie rufen die Jungwähler auf: „Du trägst Verantwortung für Deutschland.“

Für einige Wahl-Gangster ist die Arbeit an einer Kampagne, der Umgang mit Spitzenpolitikern und anderen Prominenten nichts Neues. Sie sind Teil der studentischen Agentur Politikfabrik, die vor einigen Jahren aus einem Seminar am Otto-Suhr-Institut für Politikwissenschaft der FU hervorgegangen ist. Zunächst unterstützt von Dozenten und Universität arbeiten die Studierenden heute weitgehend unabhängig als eingetragener Verein. Schon bei der letzten Bundestagswahl im Jahr 2002 haben die Nachwuchs-Akademiker eine „Wahl Gang“ auf die Beine gestellt. Die erlangte vor allem wegen des so genannten „Wahl-O-Mats“ Berühmtheit. Eine Internetseite verglich Programm-Aussagen der politischen Parteien miteinander und zeigte dem Benutzer, welcher Partei er am ehesten zugeneigt war. Fernsehmoderatoren wie Harald Schmidt und Sandra Maischberger setzten den „Wahl-O-Mat“ in ihren Sendungen ein. Außerdem organisierte die Politikfabrik mehrere Kongresse, die sich mit politischer Kommunikation beschäftigten und mit Experten aus Theorie und Praxis besetzt waren. Einige Studierende haben sogar schon eigene Bücher zum Thema herausgegeben.

Für ihre Kampagne, zu der auch regelmäßige Partys in der „Wahl Lounge“ gehören, brauchen die Wahl-Gangster eine Menge Geld und Partner. Sie arbeiten deshalb mit der Bundeszentrale für politische Bildung und der Landeszentrale für politische Bildungsarbeit Berlin zusammen. Als Geldgeber haben sie einige große Unternehmen und Agenturen gewinnen können. Die Gangster selbst arbeiten komplett ehrenamtlich. Und für einige bedeutet das Stress pur. Die Projektleiterin Elena Sohn zum Beispiel beginnt mit ihren Diplomprüfungen am 19. September 2005 – einen Tag nach der Wahl.

Das Buch zum Thema: Politik als Marke. Politikvermittlung zwischen Kommunikation und Inszenierung, LIT Verlag, 19,90 Euro, herausgegeben von Axel Balzer, Marvin Geilich, Shamim Rafat. Die drei Studierenden, die gerade an ihrem Diplom schreiben, konnten prominente Autoren aus Theorie und Praxis gewinnen.

Von Oliver Trenkamp