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Auf den Spuren weiblicher Intellektualität

Nach fast 30 Jahren lehrt und forscht die Erika-Mann-Biografin und Germanistin Irmela von der Lühe erneut an der Freien Universität

In Berlin, an der Freien Universität hat ihr Leben – frei nach Thomas Mann - „die rundere Rundung“ bekommen. „Ich bin sehr glücklich, wieder an der Freien Universität lehren und forschen zu können und in meiner Heimatstadt Berlin zu leben“, erzählt die neu- beziehungsweise wieder berufene Erika Mann-Forscherin, während ihr Blick aus dem Bürofenster auf die Kuppel der im Bau befindlichen Philologischen Bibliothek von Sir Norman Foster fällt. Mit den Werken des „großen Zauberers“ beschäftigt sich die Germanistin schon seit Jahrzehnten. Die Passion für den Grandseigneur der deutschen Literatur übertrug sich beim Lesen der von Peter de Mendelssohn herausgegebenen Tagebücher Thomas Manns in den späten siebziger Jahren auf seine Tochter Erika. Als Tochter von Thomas und Katia Mann wurde Erika Mann 1905 in München als älteste Tochter von insgesamt sechs Geschwistern geboren. „Ich wollte den Spuren dieser Frau nachgehen,“ erzählt Irmela von der Lühe, die sich 1993 mit einer wissenschaftlichen, überaus lesenswerten Biografie über Erika Mann habilitierte. Dabei habe es sie weniger interessiert, die Lebensgeschichte der einstigen Ehefrau Gustaf Gründgens zu erzählen als der Frage nachzugehen, wie es Erika Mann als Schriftstellerin, Schauspielerin und Kabarettistin gelang, eigenständig gegenüber dem berühmten Vater und unabhängig von dem gefragten Bruder zu bleiben.

Thomas Mann nannte sie sein „kühnes ,herrliches‘ Kind“ und bewunderte vor allem ihre Tatkraft, ihr Durchsetzungsvermögen und ihre Kreativität. „In den Aufführungen des Anfang Januar 1933 von Erika Mann gegründeten Kabaretts „Die Pfeffermühle“ saß Thomas Mann häufig im Zuschauerraum und lachte Tränen über die satirischen Attacken, die Erika Mann und ihr Ensemble gegen das nationalsozialistische Regime richteten .

Als linksliberale Bohemienne, die in der McCarthy-Ära wegen ihrer angeblich kommunistischen Einstellung als Emigrantin in den USA in Ungnade fiel, war Erika Mann in ihrem Denken und Handeln stets radikaler als ihr Vater. So war sie es, die 1936 den Vater massiv unter Druck setzte, damit dieser öffentlich Position gegen die Nationalsozialisten bezog. „Gleichzeitig besaß Erika aber gegenüber ihrem Vater eine freche Beschützernatur,“ erzählt Irmela von der Lühe. Erika sei Thomas Manns „politisches Gewissen, die letzte Instanz, an die der ewig Zaudernde und Zögernde sich wandte, wenn er nicht weiter wusste“, schrieb der Schriftsteller Hans Sahl in „Das Exil im Exil“ über die Nachlassverwalterin ihres Vaters und Bruders.

„Genau diese intellektuelle Biografie interessiert mich,“ erläutert Irmela von der Lühe, der die Begeisterung über ihren Forschungsgegenstand deutlich anzumerken ist. Der Germanistin war es deshalb ein großes Anliegen, dem deutschen Publikum die Orginaltexte der 1936 in die Vereinigten Staaten emigrierten Bestsellerautorin bekannt zu machen, die seit März 1937 als lecturer durch ganz Amerika tourte und die Amerikaner über die Lage im Innern des Reiches und über die von Hitler ausgehende Kriegsgefahr aufzuklären versuchte. Gemeinsam mit Uwe Naumann gab Irmela von der Lühe im Jahr 2000 unter dem Titel: „Blitze überm Ozean“, Aufsätze, Reportagen und Reden Erika Manns heraus. Vor wenigen Wochen gelang der Germanistin ein weiterer Coup: Im Rowohlt-Verlag Reinbek erschien die Rückübersetzung von Erika Manns berühmtem Erzählzyklus „The lights go down“, in der deutschen Erstausgabe. 1997 hatte Irmela von der Lühe bereits das 1938 in den USA veröffentlichte Aufklärungsbuch über die Erziehung im Dritten Reich: „Zehn Millionen Kinder“ neu herausgegeben.

„Erika Mann war die erste, die die Weltöffentlichkeit über die Erziehungsmethoden der Nazis informierte,“ sagt Irmela von der Lühe, der die Lehre eine Herzensangelegenheit ist. Hierzu befähigt sie ihr eigener, für eine Professorin, eher ungewöhnlicher Lebensweg: Nach ihrer Assistentenzeit an der Freien Universität musste sie 1976 die Hochschule wegen Stellenmangels verlassen und machte aus der Not eine Tugend: An der Fichtenberg-Oberschule in Berlin-Steglitz unterrichtete sie fast 17 Jahre die Fächer Deutsch, Geschichte, Philosophie und Latein. Der Vorwurf der „Verschulung,“ der im Zusammenhang mit der Einführung universitärer BA- und MA-Studiengänge gern erhoben wird, kann ihr aufgrund dieser beruflichen Erfahrungen nur sehr bedingt einleuchten.

Nach der Habilitation 1993 kehrte Irmela von der Lühe 1995 auf eine befristete Professur an die FU zurück. 1997 erhielt sie einen Ruf an die Georg August Universität in Göttingen, wo sie bis September 2004 das Fachgebiet Neuere deutsche Literatur mit dem Schwerpunkt auf der Literatur des 20. Jahrhunderts vertrat. Zu ihren Forschungsschwerpunkten gehört neben der Literatur des 20. Jahrhunderts, und hier insbesondere der Literatur des Exils, der Inneren Emigration und der Literatur über den Holocaust, das große Gebiet der deutsch-jüdischen Literatur, der Biografie, Autobiografie und des Briefes und schließlich die Literaturgeschichte von Autorinnen. Neben den Arbeiten über Erika Mann hat Irmela von der Lühe sich in Aufsätzen und Sammelbänden mit den Schriftstellerinnen Ingeborg Bachmann und Veza Canetti, mit Franziska zu Reventlow und Grete Weil beschäftigt. Daneben stehen wissenschaftliche Arbeiten zu den Romanen und Erzählungen Theodor Fontanes und Thomas Manns.

An der FU lehrt und forscht Irmela von der Lühe seit einem Semester, sie plant den Aufbau einer Forschergruppe zum Themenbereich „Grenzgängerinnen in den Geisteswissenschaften“, also zum wissenschaftlichen Werk und Wirkungsfeld von Frauen im 20.Jahrhundert, darunter die Philosophin Hannah Arendt, die Literaturwissenschaftlerin Käte Hamburger, Margarete Susman und viele andere. In einer ersten Tagung, die unter dem Titel „Ethik und Ästhetik des Mitleids“ kürzlich an der FU stattfand, wurden die philosophisch-ethischen und die ästhetischen Dimensionen eines Affekts erörtert, über den Käte Hamburger bereits 1985 ein grundlegendes Werk veröffentlichte, das angesichts der Flutkatastrophe in Südostasien eine ganz unerwartete Aktualität gewonnen hat.

„Für Mai 2005 plane ich zusammen mit Wolfgang Heuer eine von der DFG finanzierte Konferenz zum Thema ,Dichterisch Denken. Hannah Arendt und die Künste‘,“ berichtet Irmela von der Lühe. Sichtlich gehört es zu den „runderen Rundungen des Lebens“, engagiert den wissenschaftlichen Dialog (nicht nur) an der Freien Universität zu fördern.

Erika Mann, Wenn die Lichter ausgehen. Geschichten aus dem Dritten Reich. Deutsch von Ernst Georg Richter. Nachwort von Irmela von der Lühe, Rowohlt Reinbek bei Hamburg 2005.