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Wissenschaft auf Weltniveau

Die ETH Zürich gehört zu den erstklassigen Universitäten der Welt – Grund genug, sich die vorbildlichen Rahmenbedingungen genauer anzusehen, um für Berlin Neues zu wagen

Die ETH Zürich ist eine der erstklassigen Universitäten der Welt. Im „Academic Ranking of World Universities“ der Universität Shanghai steht sie auf dem 27. von 500 Plätzen. In Europa ist der Wissenschaftsstandort Zürich vorbildlich. Das Präsidium der Freien Universität fuhr mit einer Delegation von Dekanen hin, um von der Schweiz zu lernen.

Der Berliner Finanzsenator pflegt mit seinen berüchtigten Folienpräsentationen ein Benchmarking zwischen der Freien Universität Berlin und der Universität Koblenz/Landau, einer ehemaligen TH, ohne Medizin und nennenswerte Naturwissenschaften. Sein Fazit: Die FU ist teurer. Der Leistungsvorsprung interessiert da nicht. Keine Benchmarkings zieht die Berliner Politik zwischen Berliner Universitäten und einem Hochschulraum, der für Berlin vorbildlich sein muss, Zürich, mit seiner ETH, der Universität Zürich von 1833 und etlichen anderen Einrichtungen des tertiären Sektors.

Die Hochschulleitungen empfangen uns im alten Rektoratsgebäude und stehen der Delegation aus dem Entwicklungsland Berlin einen ganzen Tag für Führungen, Demonstrationen und Gespräche zur Verfügung. In einem Klima gelehrsamer Selbstverständlichkeit, bei gleichzeitig ökonomischer Präzision und Effizienzorientierung wird gelernt, wie man Spitzenuniversitäten gestaltet. Mitten in Europa,eine vergleichbare Universitätsgeschichte in der Tradition des alteuropäischen Denkens, nur eine Autostunde von wichtigen deutschen Wissenschaftszentren entfernt – und doch so unterschiedlich. Der einzigartige Erfolg resultiert aus einer Kette von völlig anderen Rahmenbedingungen eines klug agierenden Staates, der erkannt hat, dass Wissenschaft und Forschung und nicht Enzian und Alpenkäse die Zukunft der Schweiz determinieren:

Autonomie.
Die Züricher Universitäten agieren praktisch ohne Staatseingriff. Es gibt keine Hochschulverträge mit detaillistischer Outputsteuerung sondern Vertrauen. Von den Grundstücken und Bauten bis hin zu den Berufungen exzellenter Wissenschaftler entscheiden die Universitäten alles selbst.

Finanzen.
Die Universität Zürich verfügt über 900 Millionen Euro für 23.000 Studenten. Für rund 39.000 Studierende hat die Freie Universität heute 290 Millionen Euro zur Verfügung. Zum Vergleich: Das ist weniger als ein Fünftel. Die jährliche Steigerungsrate des Budgets beträgt vier Prozent. Die Absenkung der Universitätsbudgets in Berlin ist jährlich ungefähr gleich hoch.

Berufungen.
Die Berufungen befinden sich in der Hand der Hochschulleitungen. Dort werden die Berufungskommissionen in Abstimmung mit dem Fachbereich zusammengesetzt, der das Verfahren durchführt. Mit den vorgeschlagenen Kandidaten führt die Hochschulleitung vor deren Berufung Verhandlungen, damit sie weiß, ob die Forderungen und Kosten erfüllbar sind. Auf diese Weise ist eine strategische Steuerung der gesamten Universität möglich, ohne dass die fachliche Qualifikation der Fachbereiche in Frage gestellt wird. 50 Prozent aller Berufungen erfolgen über Headhunting.

Schwerpunktbildung.
Finanzmittel werden sehr gezielt und effizient eingesetzt. So verfügt nicht jede Professur über eigene Labors, in denen andere nicht forschen dürfen, sondern in einem Forschungshaus sind Ausstattungen auf höchstem Niveau konzentriert, die von allen Vertretern der gleichen Fachrichtung genutzt werden können. 200 Millionen Euro und 40 Professuren sind gezielt bis 2007 in die Biologie investiert worden. Es entsteht ein gemeinsames Netzwerk mit der oberrheinischen Tiefebene in Deutschland.

Studierende.
Nur 19 Prozent verfügen über ein Abitur, andere sind auf anderen Qualifikationswegen studierberechtigt geworden. 40 Prozent sind Ausländer (Berlin: ca. zwölf Prozent). Der Anteil der Undergraduates wird bewusst klein gehalten, um auf dem Niveau von MA und Promotion junge talentierte Studierende und Doktoranden zu gewinnen. Dadurch ist es möglich, die Studierenden gezielt in die Forschung einzubeziehen, zum Nutzen der Forschung und der Nachwuchskräfte.

Drittmittel.
Bei der Einwerbung von Forschungsmitteln Dritter sind große Erfolge zu verzeichnen. Von jeder Professur wird nach spätestens zwei Jahren die Durchführung von ein bis zwei Drittmittelprojekten erwartet. Die Drittmitteleinwerbung wird strategisch betrieben. So bezahlt die Schweizer Regierung allein für die Züricher vier Lobbyisten in Brüssel, deren Aufgabe es ist, Drittmittel aufzuspüren und zu gewinnen. ETH-Präsident Kübler kann auf 40 Millionen Euro Privatmittel im Jahr, sechs bis acht Millionen Euro reines Sponsoring und auf die ETH-Zürich-Foundation verweisen, von der seine Universität drei Millionen Euro für Räume erhalten hat.

Evaluation.
Universität und ETH Zürich unterhalten ein verschränktes Evaluationssytem. Der Chef der Evaluationsstelle für die Universität Zürich ist nicht dort, sondern an der ETH Professor. Ihm stehen jährlich 1,5 Millionen Euro für die Anwendung ausgefeiltester Evaluationsmethoden zur Leistungsmessung und Verbesserung der Fachvertreter und Fächer zur Verfügung, der sich diese alle sechs Jahre unterziehen müssen. Dieses Instrument musste nicht gewaltsam durchgesetzt werden, sondern trifft auf große Akzeptanz, weil die Universitätsmitglieder spüren, dass sie von einer kollegialen Evaluation, die ausschließlich von ausländischen Wissenschaftlern durchgeführt wird, profitieren, weil hier nicht Noten verteilt werden, sondern aus der Stärken-/Schwächenanalyse heraus Entscheidungen vorbereitet werden.

In diesem Klima entsteht Investitionslust, Leistungseifer und Zuversicht. „Science City“, das ist deshalb auch das Schlagwort der ETH, unter dem sie Revisionen konzentriert. Die Zukunftsplanungen der Hochschule umfassen eine ganze Stadt.

Die feinfühligen und großzügigen Gastgeber lassen uns am Ende des Tages zu einer Schlussbilanz untereinander allein zurück. Die Mitglieder der Delegation versuchen ihre Eindrücke jeweils auf eine Formel zu bringen, die den Unterschied zu den deutschen, zu den Berliner Verhältnissen, markiert:

  • Völlige Autonomie;
  • Vertrauen des Staates in den Exzellenzwillen der Universitäten;
  • ein Etat, der das Dreieinhalbfache des Berliner Etats ausmacht;
  • Verantwortungsübernahme, auch auf der untersten Ebene;
  • Leistungsorientierung und Verzicht auf Selbsttäuschung durch Transparenz der Leistungen;
  • zentrale Berufungspolitik;
  • Nutzung der Internationalisierungschance aus der BA/MA-Reform;
  • eine Atmosphäre der Kooperativität und des kollegialen Miteinanders.

Letzteres spiegelt sich auch in der auffälligen Zugewandtheit der beiden Hochschulleitungen zueinander und in dem fast freundschaftlichen Verhältnis beider Präsidenten. Der Staat treibt diese Universitäten nicht in einen mörderischen Vernichtungswettbewerb, sondern er möchte beider Qualitäten blühen sehen.

Der Dekan des Fachbereichs Philosophie und Geisteswissenschaften der Freien Universität bringt es auf die treffendste Formel: Hier herrscht keine Atemlosigkeit sondern ein frappantes Maß an Gelassenheit.

Wer nach Atem ringt und wem die Hände zittern, der kann keine Hirnoperationen durchführen, keinen Laserstrahl richten und keinen klaren Gedanken fassen. Bleibt zu hoffen, dass Berliner und Berlinerinnen als Steuerzahler und Wähler uns Politiker bescheren, die das begreifen und Verunsicherung, Unruhe, Planungswirrwarr und Entmündigung nicht mit politischer Gestaltung verwechseln.

Weiteres im Internet: www.ethz.ch, www.150jahre.ethz.ch.

Von Dieter Lenzen