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Was uns zusammenhält

Zellanker, Brückenproteine und Kommunikation – die Erforschung der Moleküle, die Zellen verbinden. Eine wichtige Grundlage für das Verständnis zahlreicher Krankheitsprozesse


Aus einer einzigen befruchteten Eizelle entsteht der Mensch, der später 25 mal 10 hoch zwölf Zellen enthalten wird. Doch was hält die Zellen, diese unzähligen kleinsten lebensfähigen Einheiten des menschlichen Organismus, dann zusammen?

Wie werden zum Beispiel die Zellen stabil zusammengefügt, die unsere Haut bilden oder die die Innenwand des Darms auskleiden? „Solche Grenzschichten sind enormen Belastungen ausgesetzt, dort sind starke Zellkontakte nötig“, sagt Otmar Huber vom Institut für Klinische Chemie und Pathobiochemie am Campus Benjamin Franklin der Charité. „Einerseits sind die Haut und der Darm mechanisch hochgradig belastet. Andererseits ist es wichtig, dass Schadstoffe und Krankheitserreger aus unserer Umgebung oder aus dem keimhaltigen Darminhalt nicht in den Körper eindringen können".

Die Frage, was die Zellen zusammenhält, ist nicht allein für das Verständnis des gesunden Körpers entscheidend. Störungen der Zellkontakte sind an der Entstehung von Krankheiten wie Tumoren, Autoimmunerkrankungen oder Infektionen beteilig. Das hat in den letzten Jahren auch das klinische Interesse an den Molekülen auf der Zelloberfläche geweckt, die den Kontakt zwischen den Zellen herstellen.

Huber beschäftigt sich mit einem Calcium-abhängigen Adhäsionsmolekül, dem so genannten E-Cadherin (für: epitheliales Cadherin). In zahlreichen Geweben wie der Leber und der Brustdrüse ebenso bei den Zellen, aus denen die Innenauskleidung des Darms besteht, ist vor allem dieses Molekül für den Zell-Zell-Kontakt zuständig. Auf der Zelloberfläche tun sich einzelne E-Cadherinmoleküle zu Molekül-Paaren (Dimeren) zusammen, die dann mit den Paaren auf der Oberfläche der gegenüberliegenden Zelle nach dem Reißverschlussprinzip ineinander greifen. So sichern sie den Zusammenhalt des Zellverbandes.

„Doch diese Moleküle sind mehr als Klebstoff“, erzählt Huber. Sie haben auch gute Verbindungen ins Zellinnere. „Inzwischen weiß man, dass sie eine wichtige Signalfunktion übernehmen.“ Der Arbeitsgruppe von Rolf Kemler am Max-Planck-Institut für Immunbiologie in Freiburg, in der Huber damals mitwirkte, und Forschern um Walter Birchmeier vom Berliner Max-Delbrück-Centrum gelang 1996 die Entdeckung, dass das mit E-Cadherin zusammenwirkende Brückenmolekül Beta-Catenin im Zellkern das Wirksam-Werden von Genen steuern kann. Die Adhäsionsmoleküle dienen somit über ihre zellverbindende Funktion hinaus der Kommunikation zwischen den Zellen.

Solches Wissen wird häufig anhand von krankhaften Veränderungen gewonnen: Beim Magenkrebs haben die Adhäsions-Moleküle ihre verbindende Funktion teilweise eingebüßt. Zur unmittelbaren Folge, dass veränderte Zellen nicht festgehalten werden und ungehindert auswandern können, kommt dann hinzu, dass ein wichtiges Signal nicht übermittelt werden kann. Es ist das Signal an die Tumorzellen, ihre Teilung zu beenden. So wachsen sie ungehindert weiter. E-Cadherin ist folglich auch als Tumor-Unterdrückungs-Protein wichtig, eine Beobachtung, die erstmals Walter Birchmeier und Jürgen Behrens vom Berliner Max-Delbrück-Centrum machten. Veränderungen des Adhäsions-Moleküls ermöglichen die Auswanderung von bösartigen Zellen und die Bildung von Tochtergeschwulsten.

Andererseits ist es für die normalen Umbauprozesse des Körpers nötig, dass die Adhäsionsmoleküle in ihrer Funktion flexibel sind. Nach Verletzungen wäre es nicht zuträglich, wenn sie unbestechlich wie ein gewöhnlicher Alleskleber für festen Zusammenhalt sorgen würden. Wundheilung verlangt schließlich, dass Zellen vom Rand des verletzten Gebiets her einwandern können, um neues Gewebe zu bilden. Für einen kurzen Zeitraum muss deshalb die Anheftungs-Funktion gedämpft werden, um wieder eine stabile Gewebeschicht herstellen zu können. Es sind, wie Huber kürzlich zeigen konnte, neben anderen Steuerungsmechanismen die wie ein Kleeblatt gefalteten TFF-Peptide, die diese Einwanderung zeitweilig durch eine Schwächung der Anheftungsfunktion ermöglichen. Die Auflockerung der Zellstruktur ist jedoch riskant, die Wanderung ist zugleich eine Gratwanderung. „Die richtige Modulation der Anheftungs-Funktion ist der eigentlich kritische Punkt.

Für notwendige flexible Zell-Zell-Verbindungen besitzt der Körper offensichtlich zusätzlich besonders konstruierte Adhäsionsmoleküle. Ein solches stellt LI-Cadherin dar, das von Reinhard Gessner vom Institut für Laboratoriumsmedizin und Pathobiochemie, Campus Virchow-Klinikum, und von dem Vizepräsidenten der Freien Universität, Rudolf Tauber vom Institut für Klinische Chemie und Pathobiochemie, Campus Benjamin Franklin, der Charité entdeckt wurde. In der Schleimhaut, die den Innenraum des Darms auskleidet, ermöglicht dieses Molekül wahrscheinlich die Wanderung der ständig nachwachsenden Zellen, die für die Integrität des Darms von zentraler Bedeutung sind.

Während Cadherine mechanisch feste Verbindungen von Zelle zu Zelle aufbauen, ermöglicht eine weitere Gruppe von Adhäsionsmolekülen kurzzeitige Zellkontakte. Diese Proteine mit Zuckeranteil, die in der Arbeitsgruppe von Rudolf Tauber und Jens Dernedde vom Institut für Klinische Chemie und Pathobiochemie am Campus Benjamin Franklin der Charité erforscht werden, tragen den schönen Namen Selektine, denn sie sind wählerisch. Sie spielen bei Entzündungsprozessen eine wichtige Rolle. Hierbei sorgen sie dafür, dass die für die Abwehr von Krankheitserregern zuständigen weißen Blutkörperchen (Leukozyten), die im Blut zirkulieren, an die Orte des Körpers wandern, wo sie für diese Abwehrprozesse gebraucht werden. Dort heften sie sich an Zellen an, die die Innenauskleidung der Blutgefäße bilden, und wandern dann in ein entzündetes Gewebe aus. Wenn die in der Abwehr aktiven Zellen dort gebraucht werden, ist das sinnvoll und nötig. „Ein Problem sind aber die Entzündungsprozesse am falschen Ort und zur falschen Zeit“, erklärt Tauber. Bei Asthma oder bei Abstoßungsreaktion nach Transplantationen etwa führen die Angriffe der Leukozyten zu Schäden und rufen Krankheiten hervor. Gezielt „designte“ chemische Verbindungen, die sich an die Selektine binden und ihre Aktivität bremsen, könnten bei einer Vielzahl von krankhaften entzündlichen Reaktionen helfen. Sie sollen in einem Projekt im Rahmen einer DFG-Forschergruppe, die innovativen Therapeutika gewidmet ist, entwickelt werden. Adhäsionsmoleküle können aber auch diagnostische Aufgaben erfüllen. So kann man Selektine nutzen, um mit Hilfe bildgebender Sonden Entzündungsprozesse im Körper nachzuweisen und zu lokaliseren.

„Es ist faszinierend, die Vielzahl von Angriffspunkten für Therapie und Diagnostik von Krankheiten zu sehen und auf molekularer Ebene erkennen zu können“, freut sich Tauber. Zugleich aber dürfe man sich vom Erwartungsdruck, der der Forschung immer wieder aus der Öffentlichkeit entgegenkommt, aber nicht zu vorschnellen Versprechungen auf neue Medikamente hinreißen lassen. „In einem intakten Zellverband müssen die vielfältigen Adhäsionsmoleküle der Zelloberfläche und die Signalwege innerhalb der Zellen wie ein gut auf einander abgestimmtes Orchester funktionieren. Man muss die ganze Partitur verstehen, bevor man an einzelnen Stellen eingreifen kann.“

 

Von Adelheid Müller-Lissner