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Die ganze Welt in einem Buch

Spektakuläre Neuauflage der drei Hauptwerke Alexander von Humboldts

„Was ist das für ein Mann! Ich kenne ihn so lange und bin doch von neuem über ihn in Erstaunen. Man kann sagen, er hat an Kenntnissen und lebendigem Wissen nicht seinesgleichen. Und seine Vielseitigkeit, wie sie mir gleichfalls noch nicht vorgekommen ist“, schrieb Johann Wolfgang von Goethe über seinen Zeitgenossen, den Naturforscher und Universalgelehrten Alexander von Humboldt. In seinem fast 90-jährigen Leben hatte der preußische Adlige kühn alle Grenzen überschritten.

„Trotz seiner Popularität gehört Humboldt in Deutschland zu den kaum gelesenen Autoren“, erzählt der FU-Komparatist Oliver Lubrich. Viele Werke Humboldts liegen bislang nicht in deutscher Sprache oder in verfügbaren Ausgaben vor. Das hat sich jetzt geändert: Denn der Verleger Hans Magnus Enzensberger hat sich und uns zum 20-jährigen Jubiläum „Der Anderen Bibliothek“ und zur 200-jährigen Rückkehr Humboldts aus Südamerika ein Geschenk besonderer Art gemacht: Mitte September sind Humboldts wichtigste Hauptwerke erschienen: „Kosmos, Ansichten der Natur und die Ansichten der Kordilleren und Monumente der eingeborenen Völker Amerikas“ in drei überaus liebevoll gestalteten und reich bebilderten Bänden. Enzensberger möchte damit den risikobereiten Weltbürger in Deutschland populär machen. „Dass die Ansichten der Kordilleren nach fast 200 Jahren zum ersten Mal auf Deutsch erscheinen, ist eine echte Sensation“, freut sich Lubrich, der gemeinsam mit dem Potsdamer Romanisten Ottmar Ette die Bände ediert hat. Vorbild für das erstmals vollständig auf Deutsch herausgegebene Werk „Ansichten der Kordilleren“ war ein kostbares Exemplar aus dem Botanischen Museum der Freien Universität. „Humboldt hat die Skizzen für die 69 colorierten Tafeln größtenteils selbst angefertigt“, sagt Lubrich. Gemeinsam mit seinem Pariser Freund Aimé Bonpland war Humboldt am 5. Juni 1799 von La Coruña in die Neue Welt in See gestochen, um das Gebiet der heutigen Staaten Venezuela, Kolumbien, Ecaduor, Peru, Kuba und Mexiko zu erforschen.

„Von grade zu unstillbarer und animalischer Neugier besessen“ scheuten die beiden Forscher keine Anstrengungen: Korrekt im preußischen Gehrock gekleidet, bestiegen beide 1803 beinahe den damals für den höchsten Berg der Welt gehaltenen Chimborazo. „Zur Rechten senkte sich unser Blick schaurig in einen tausend Fuß tiefen Abgrund, aus dem schneelose Felsmassen senkrecht hervorragten. Wir fingen nun nach und nach an, alle an großer Übelkeit zu leiden. Der Drang zum Erbrechen war mit etwas Schwindel verbunden und weit lästiger als die Schwierigkeit zu atmen. Wir bluteten aus dem Zahnfleisch und aus den Lippen“, notierte Humboldt in seinem Tagebuch, das er im Urwald unter Mückenschwärmen schrieb. Die Rückreise aus Südamerika führte 1804 von Havanna nach Philadelphia, wo sich Humboldt als persönlicher Gast des amerikanischen Präsidenten Thomas Jefferson aufhielt. In Frankreich glich Humboldts Rückkehr einem Triumphzug. Von der über fünfjährigen Reise brachten die Forscher vierzig Kisten mit 60 000 Pflanzen mit, darunter 3600 bis dahin unbekannte. Humboldt sprengte mit der ersten aus rein wissenschaftlichen Gründen unternommenen Reise jede Grenze: Er interessierte sich gleichzeitig für die Sprache und Kultur der Maya und Azteken, bestimmte den geografischen Ort des Casiquiare, registrierte die Abnahme der Feldstärke vom Pol zum Äquator und maß die Temperaturen des später nach ihm benannten Humboldtstroms. Es sollte Jahrzehnte dauern, bis die umfassenden Beobachtungen Humboldts über einen halben Kontinent von den einzelnen Disziplinen aufgenommen wurden.

„Immer, wenn Humboldt ein wissenschaftliches Phänomen selbst nicht erklären kann, korrespondiert er mit Fachkollegen“, sagt Oliver Lubrich. Zu Humboldts Freundeskreis zählt die ganze gebildete Welt: der Schriftsteller Honoré de Balzac, der Mathematiker Karl-Friedrich Gauß, der Chemiker Justus Liebig ebenso wie Alexander Herzen und der Kritiker des preußischen Staats Varnhagen von Ense. Rund 40 000 bis 50 000 Briefe hat der Weltbürger Humboldt in alle Himmelsrichtungen verschickt und - die doppelte Anzahl erhalten. Humboldt machte sich lustig über Berlin, das er einst als „kleine, geistig verödete, überhämische Stadt“ beschrieben hatte. Doch 1827 zwang ihn die finanzielle Lage, Paris den Rücken zu kehren und als Kammerherr Friedrich Wilhelms III. tätig zu werden.

„Ich fange den Druck meines Werkes (des Werkes meines Lebens) an. Ich habe den tollen Einfall, die ganze materielle Welt, alles was wir heute von der Erscheinung der Himmelsräume, von den Nebelsternen bis zur Geographie der Moose auf den Granitfelsen wissen, alles in Einem Werke darzustellen, und in einem Werke, das zugleich in lebendiger Sprache anregt und das Gemüth ergötzt“, schrieb der Demokrat Humboldt, dessen populärwissenschaftliche Kosmos-Vorlesungen die Keimzelle seines fünfbändigen Werkes wurden. „Von der Arbeiterschaft bis zur Hofgesellschaft“ lauschte tout Berlin, wenn der Naturwissenschaftler in der Berliner Singakademie die Komplexität der Welt in einfachen Worten erklärte. Bis zu seinem Tode 1859 arbeitete er an den Bänden des Kosmos. Als der zweite Band in den Buchhandlungen erschien „wurden Schlachten geschlagen, um in den Besitz des Werkes zu kommen“, schrieb Humboldts Verleger Georg Cotta. Sensationell für die damalige Zeit verkaufte Cotta in der ersten Auflage bereits 80 000 Exemplare. „Wir haben nun erstmals wieder den vollständigen Humboldtschen Urtext ediert“, erzählt Oliver Lubrich. „Ich finde es wunderbar, dass ein Publikumsverlag wie die Andere Bibliothek sich Humboldts angenommen hat“, freut sich der FU-Wissenschaftler. Uns freut es, dass es dem Institut für Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft außerdem noch gelungen ist, eine Komplettreproduktion der in Krakau nur schwer zugänglichen Handbibliothek Humboldts zu erwerben. Wer sich für Humboldt interessiert, wird folglich künftig um die Freie Universität nicht mehr herumkommen.