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Transparente Wissenschaft

Ein mit dem Lehrpreis 2016 ausgezeichnetes Projekt vermittelt Prinzipien und Methodik von „Open Science“

17.02.2017

Die Preisverleihung: Ulf Tölch (Mitte) und Professor Dirk Ostwald (rechts) mit dem Präsidenten der Freien Universität, Professor Peter-André Alt (links).

Die Preisverleihung: Ulf Tölch (Mitte) und Professor Dirk Ostwald (rechts) mit dem Präsidenten der Freien Universität, Professor Peter-André Alt (links).
Bildquelle: Patricia Kalisch

Papierkladden haben in fast allen Forschungsdisziplinen ausgedient. Im Zeitalter der Digitalisierung hat das Notebook ihre Funktion übernommen – vor allem bei Forschungsprojekten, bei denen viele Daten erhoben werden. Es speichert alles, was notwendig ist und erleichtert zugleich die Kommunikation mit Kollegen. Und selbst im Strandkorb oder auf der Berghütte lässt sich noch auf das eigene Forschungsprojekt zugreifen – vorausgesetzt, man hat Zugang zum Netz. Nach erfolgreichem Abschluss wird die Studie dann publiziert. Und eine riesige Menge an Rohdaten – auch die der nicht zum Ziel führenden „Seitenwege“ – verschwindet nach der Auswertung im Archiv des Forschers.

Dabei wären sie vielleicht für viele Fachkollegen nützlich. Es wäre also sinnvoll, alle im Projekt erhobenen Daten auf speziellen Internetplattformen hochzuladen, um sie der gesamten Wissenschaftsgemeinde zur Verfügung zu stellen.

Warum aber sollten Wissenschaftler das tun? „Zum einen wegen der Nachhaltigkeit“, sagt Dirk Ostwald. „Für Forschung werden öffentliche Mittel, also Steuergelder, eingesetzt. Die damit produzierten Datenmengen stehen bisher aber nur wenigen zur Verfügung.“

Das sei schade, denn durch Open Science könnten vielfältige Synergieeffekte entstehen: „Die Genomdatenbanken in den USA beispielsweise sind bereits öffentlich zugänglich, was die biomedizinische Forschung weltweit enorm beflügelt hat.“

Der zweite Grund hat etwas mit Glaubwürdigkeit und Verantwortung für das eigene Handeln zu tun. Immer wieder hat es aufsehenerregende Fälle von Wissenschaftsbetrug gegeben, weil Forscher, von Ehrgeiz und Eitelkeit getrieben, spektakuläre Ergebnisse publizierten, die nicht reproduzierbar waren.

Entweder, weil Daten geschönt und negative Effekte verschwiegen wurden, oder, noch schlimmer, weil gar keine Datengrundlage existierte und alles frei erfunden war.

Selbst renommierte Journale wie Science oder Nature mussten deshalb wiederholt Publikationen zurückziehen. Besonders prekär ist Betrug in der medizinischen Forschung, weil Schwerkranke oft ihre letzte Hoffnung auf allerneueste Therapiekonzepte setzen.

„Viele Fachzeitschriften werden daher bald nur noch Publikationen zulassen, die bestimmten digitalen Standards entsprechen. Dazu gehört der ungehinderte Zugang der Gutachter zu den Rohdaten und Transparenz über den gesamten Forschungsprozess“, sagt Tölch. Diese Standards gelte es jetzt in den Laboren einzuführen. Noch besser wäre aber, sie bereits Studierenden zu vermitteln, bevor sie erstmals eigenständig forschten.

Ulf Tölch ist promovierter Verhaltensbiologe, Juniorprofessor Dirk Ostwald Neurowissenschaftler. Beide sind am Center for Cognitive Neuroscience Berlin (CCNB) des Wissenschaftsbereiches Psychologie tätig. Gemeinsam haben sie ein Seminar konzipiert, um Studierende der Freien Universität theoretisch und praktisch mit den digitalen Standards von Open Science vertraut zu machen.

Das Projekt, das kürzlich mit dem Zentralen Lehrpreis 2016 ausgezeichnet worden ist, wird erstmals im kommenden Sommersemester stattfinden und steht Studierenden aller Fachbereiche offen.

Was werden sie dort lernen? „Zunächst einmal, den Weg von den Rohdaten bis zur Publikation einer Studie in einer Zeitschrift mit digitalen Hilfsmitteln wie etwa Jupyter Notebooks sehr sorgfältig zu dokumentieren“, sagt Tölch. Jupyter ist ein frei zugängliches Science-Computing-Projekt, das in mehr als 40 Programmiersprachen konzipiert ist.

Transparente Forschung beginnt bereits, bevor erste Daten generiert werden, nämlich mit der digitalen Preregistrierung eines Forschungsvorhabens oder eine Abschlussarbeit. Das dient nicht dem Abstecken des eigenen „Claims“ auf dem Forschungsgebiet, sondern – im Sinne der Transparenz – einer später nachvollziehbaren lückenlosen Dokumentation des Vorhabens.

Eine Plattform dafür gibt es schon: das Open Science Framework, initiiert von Brian Nosek, Sozialpsychologe an der Universität von Virginia und einer der Vordenker der Open-Science-Initiative. Hier können dann alle während des Forschungsprozesses entstandenen Befunde, Beobachtungen und Ergebnisse hinterlegt werden.

Wie aber schützt man dort seine Daten und verhindert, dass andere sie früher publizieren? „Die Registrierung wird mit einem Digital Object Identifyer (also einer klaren Adresse im Netz) sowie einem Time Code versehen und ist für niemanden einsehbar, außer für den Forschenden selbst“, betont Tölch. „Er oder sie allein entscheidet, wann die Daten mit anderen geteilt werden sollen.“ Das geschieht sinnvollerweise erst, wenn sie zur Publikation eingereicht werden.

„Wir wollen den Studierenden in unseren Seminaren ein Gefühl für den Prozess der Open Science vermitteln“, sagt Dirk Ostwald. „Dazu gehört auch, dass sie nach theoretischen Einführungen die Methodik in Teams auf eigene Projekte anwenden.“ Juniorprofessor Ostwald und Neurowissenschaftler Tölch hoffen, dass die Kursteilnehmerinnen und -teilnehmer im Anschluss ihre Fachbereiche mit der Idee wissenschaftlicher Transparenz „infizieren“.