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Europas Zukunft in den Sternen

Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Freien Universität Berlin blicken auf die Wahlen in den Niederlanden, in Frankreich und in Deutschland

17.02.2017

Zum Amtsantritt des US-amerikanischen Präsidenten Donald Trump am 20. Januar warnten mit einem Protestmarsch in Amsterdam Tausende vor einer Wahl der Partei des Rechtspopulisten Geert Wilders bei der bevorstehenden Parlamentswahl in den Niederlanden.

Zum Amtsantritt des US-amerikanischen Präsidenten Donald Trump am 20. Januar warnten mit einem Protestmarsch in Amsterdam Tausende vor einer Wahl der Partei des Rechtspopulisten Geert Wilders bei der bevorstehenden Parlamentswahl in den Niederlanden.
Bildquelle: picture-alliance / Romy Arroyo Fernandez

Die Wahl Donald Trumps zum US-amerikanischen Präsidenten war für viele Beobachter eine herbe Überraschung. Als ähnlich unwahrscheinlich galt bis vor Kurzem, dass Rechtspopulisten in Europa an die Macht kommen könnten.

Doch ausgeschlossen ist das nicht: 2017 wird in den Niederlanden (15. März), in Frankreich (23. April und 7. Mai) und in Deutschland (24. September) gewählt, und in den Ländern haben rechtspopulistische Parteien Zulauf.

Heißt das, dass wir uns nun auch in Europa auf Trumps Geschwister im Geiste als Regierende einstellen müssen? In den Niederlanden auf den rabiaten Islamgegner Geert Wilders? Auf die rechtspopulistische Euro-Kritikerin Marine Le Pen in Frankreich? Auf die AfD als tatsächliche Alternative für Deutschland?

Michael Zürn, Professor für Internationale Beziehungen an der Freien Universität und Direktor der Abteilung „Global Governance“ am Wissenschaftszentrum Berlin, ist überzeugt, dass der Vormarsch des Populismus uns auf Jahre hinaus beschäftigen wird.

Zürn versteht das Phänomen „Populismus“ als Ausdruck einer fundamentalen Differenz, einer Spaltung zwischen den Befürwortern einer kosmopolitischen und jenen einer geschlossenen Gesellschaft.

Diese Differenz lasse sich an drei Kriterien festmachen: erstens an der Frage, ob Grenzen offen oder geschlossen sein sollten, sowohl für Waren und Kapital als auch für Menschen. Zweitens an der Frage, ob Kompetenzen von den Nationalstaaten an supranationale Institutionen wie die Europäische Union (EU) abzugeben seien. Drittens geht es darum, ob die Stärkung von individualrechtlichen Freiheiten weiterzuführen oder vielmehr eine Leitkultur entlang ethnischer Kriterien an ihre Stelle zu setzen sei.

Es ist wohl kein Zufall, dass diese Kriterien mit Teilaspekten oder Folgen der Globalisierung zusammenfallen und zugleich auf die von ihr erzeugten Legitimitätsdefizite hinweisen: „Populismus“ ist Zürn zufolge auch als Reaktion auf die „Post-Demokratie“ zu begreifen, also darauf, dass viele Menschen supranationale Institutionen wie die EU für undemokratisch halten, dass sie das Überhandnehmen expertokratischer Gremien zu Lasten mehrheitsorientierter Verfahren ablehnen und dass sie sich vom Nationalstaat, in dem sie leben, im globalisierten Wettbewerb allein gelassen fühlten.

Doch derartige Motivlagen, aus denen sich die Zustimmung zu rechtspopulistischen Parteien speist, führen nicht zwangsläufig zu Wahlsiegen dieser Parteien, wie Carsten Koschmieder, promovierter wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Arbeitsstelle Empirische Politische Soziologie des Otto-Suhr-Instituts der Freien Universität, meint.

Er weist etwa auf einen Unterschied zwischen den Wahlsystemen in Deutschland und den USA hin: Es sei äußerst unwahrscheinlich, dass in Deutschland und auch anderen europäischen Ländern eine Partei wie die AfD eine Wahl gewinnen und dann allein regieren könne. Der Grund dafür sei, dass es kein Zwei-Parteien-System und deshalb keine Entweder-Oder-Entscheidungen mit nur zwei möglichen Kandidaten wie in den USA gebe.

Populismus schürt die Angst vor den Folgen der weltweiten Vernetzung

Verzweifelte Liebe: Im September 2016 demonstrierten in London Tausende gegen das Ergebnis des Brexit-Referendums, bei dem im Frühsommer die Mehrheit der britischen Wählerinnen und Wähler für einen Austritt aus der Europäischen Union gestimmt hatte.

Verzweifelte Liebe: Im September 2016 demonstrierten in London Tausende gegen das Ergebnis des Brexit-Referendums, bei dem im Frühsommer die Mehrheit der britischen Wählerinnen und Wähler für einen Austritt aus der Europäischen Union gestimmt hatte.
Bildquelle: picture-alliance / Photoshot

Koschmieder hebt allerdings eine Ausnahme hierzu in Europa hervor: Die Präsidentschaftswahlen in Frankreich. Und in der Tat könnte Marine Le Pen, die Anführerin der französischen Rechtsaußen-Partei Front National, sich Zürns Drei-Punkte-Katalog zu eigen machen: Sie will die Landesgrenzen schließen, aus dem Euro austreten und Frankreichs „Souveränität“ wiederherstellen, wie sie argumentiert.

Und sie wirft ihren Gegenkandidaten vor, entweder offen oder heimlich für die Globalisierung einzutreten, wogegen sie ihren „patriotisme décomplexé“, ihren unverkrampften Patriotismus, in Stellung bringt.

Sabine von Oppeln, stellvertretende Leiterin der Arbeitsstelle Europäische Integration am Otto-Suhr-Institut der Freien Universität Berlin, geht davon aus, dass Marine Le Pen damit zumindest in die Stichwahl der Präsidentschaftswahlen am 7. Mai kommen wird.

Mehr noch: Von Oppeln ist sich nicht mehr sicher, ob dann die Allianz aller anderen Parteien und Gegenkandidaten von Marine Le Pen genauso halten wird, wie das 2002 gegen ihren Vater Jean-Marie Le Pen der Fall war. Damals hatte sich in der Stichwahl der dann parteiübergreifend gegen den Front National getragene Amtsinhaber Jacques Chirac durchgesetzt, mit mehr als 80 Prozent der Stimmen.

Aber woher rührt der anhaltende Erfolg des Front National, der in Umfragen als stärkste Partei ermittelt wird? Für Sabine von Oppeln erklärt sich dieser aus der Enttäuschung und Wut der Franzosen über ihre politischen Eliten, aus der Schwäche der anderen Parteien, allen voran der Sozialistischen Partei, aber auch aus sozialen Fragen, der Ungleichheit und Arbeitslosigkeit, die der Front National wirkungsvoll anspreche.

Und, so betont Sabine von Oppeln: Marine Le Pen habe es geschafft, durch ihre Strategie der „dédiabolisation“ – der „Entdämonisierung“ – den Front National salonfähig zu machen.

Da agiert Marine Le Pen anders als ihr niederländisches Pendant, der Vorsitzende der Partij voor de Vrijheid, Geert Wilders: Wilders, der den Koran verbieten, Moscheen schließen und das Recht auf Asyl für Muslime abschaffen will, führt in den Umfragen derzeit genau wie Le Pen, und er könnte mit seiner Partei am 15. März als stärkste Kraft in das niederländische Parlament einziehen.

Allerdings sei es erst recht unwahrscheinlich, dass Geert Wilders Teil der nächsten niederländischen Regierung sein wird, wie Philipp Krämer, promovierter Niederlandist und wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Freien Universität, vermutet. Krämer hält den Umstand für bezeichnend, dass Wilders und die Frage, wie man mit ihm umgehen sollte, trotzdem die Berichterstattung dominiere: Wilders bestimme die Debatte und so auch die Wahlkampfthemen.

Wilders Kniff besteht nach Ansicht Krämers darin, sich als einsamer Kämpfer gegen das Establishment darzustellen: etwa, wenn er die drei traditionell moderaten Großparteien in den Niederlanden – also Christdemokraten, Sozialdemokraten und Liberale – zugleich rechts und links überhole, indem er zum einen gegen marokkanische Einwanderer hetze und zum anderen fordere, Mieten zu senken und Kürzungen in der Pflege zurückzunehmen.

Dennoch gelte es, im Auge zu behalten, dass Geert Wilders Partei, obwohl möglicherweise stärkste Fraktion, wohl nur um die 20 Prozent der Stimmen erhalten und mangels Bündnispartner in der Opposition verbleiben werde, sagt Philipp Krämer.

Ein Aspekt des Phänomens „Wilders“ könnte allerdings in Zukunft bedeutsam bleiben, auch im Umgang mit anderen Rechtspopulisten: die Art, wie Wilders sich der neuen sozialen Medien bedient, wie er – darin Donald Trump sehr ähnlich – beständig plakativ-zuspitzende Tweets in der medialen Welt verbreitet.

Joachim Trebbe, Professor für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft an der Freien Universität, sieht darin eine Dialektik der sozialen Medien: Während bis vor Kurzem vor allem ihr demokratieförderliches Potenzial im Vordergrund stand, weil sie enge, von Eliten geleitete Meinungsbildungsprozesse aufbrachen und partizipatorisch ausweiteten, sehe man heute, dass die Möglichkeiten der sozialen Netzwerke eben auch von Populisten und Demagogen höchst wirksam für deren Zwecke eingesetzt werden.

Aber Joachim Trebbe ist kein Pessimist. Er ist der Ansicht, dass etwa der Sieg Trumps, der zum Teil auf seine Kommunikationsstrategie in den sozialen Medien zurückgeht, vor allem eine Art Überraschungssieg gewesen sei, eine Überrumpelung der Kontrahenten, die auf Trumps „Spielweise“ nicht vorbereitet gewesen seien. Sobald sich die politischen Gegner darauf einstellten und die öffentliche Auseinandersetzung darauf regiere, sagt der Kommunkationswissenschaftler, sei auch der unaufhaltsame Aufstieg des Populismus – oder zumindest sein Vorsprung in den medialen Mitteln – gebremst.