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Auf dem Campus mit Walter Gropius, Anni Albers und Albert Einstein

Wissenschaftler und Studierende begleiten die Ausstellung „Black Mountain“ im Hamburger Bahnhof

08.07.2015

black mountain

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Bildquelle: North Carolina Museum of Art

Der Bauhaus-Künstler Josef Albers gibt dem angehenden expressionistischen Maler Robert DeNiro – Vater des berühmten Schauspielers – Zeichenunterricht, zwei Studenten hängen auf dem Campus Wäsche auf, und im Kurs des Architekten Buckminster Fuller bauen Studentinnen und Studenten gemeinsam an einem Modell: Archivbilder zeigen, dass das US-amerikanische Black Mountain College (BMC) eine außergewöhnliche Hochschule war. Von 1933 bis 1957 lernten und lehrten in den Hügeln North Carolinas Studierende und Dozenten, die die Kunst und Kultur der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts nachhaltig beeinflussen sollten: unter ihnen Walter Gropius, John Cage, Anni Albers und Robert Rauschenberg.

Der Hamburger Bahnhof – Museum für Gegenwart – Berlin widmet dem legendären College noch bis zum 27. September die Ausstellung „Black Mountain. Ein interdisziplinäres Experiment 1933-1945“, die kürzlich eröffnet wurde. Wissenschaftlich begleitet wird sie von der Theaterwissenschaftsprofessorin Annette Jael Lehmann und Nachwuchsforschern sowie Studierenden der Freien Universität Berlin. Seit etwa zwei Jahren sichten die Teilnehmer des an der Freien Universität angesiedelten Forschungsprojekts „Black Mountain Research“ Archivmaterialien wie College-Publikationen, Fotos, Ton und Bildaufnahmen und werten diese in Seminaren, wissenschaftlichen Beiträgen auf der Projektwebsite sowie in internationalen und fächerübergreifenden Tagungen aus.

Ganzheiltich ausbilden – wenig Bürokratie und Hierarchien

Mit ihrer Recherche haben sie die Ausstellungsmacher des Hamburger Bahnhofs unterstützt und für die Fachwelt sowie die interessierte Öffentlichkeit zusätzliche Informationen bereitgestellt. „Am meisten hat mich am BMC beeindruckt, wie sich die Studierenden auch in unbekannten Situationen selbst ausprobieren konnten“, sagt Verena Kittel. Die Masterstudentin der Kunstgeschichte und Redakteurin für die Website des an der Freien Universität angesiedelten Forschungsprojekts „Black Mountain Research“ kann sich gut vorstellen, wie sie die Freiheiten an der Hochschule genutzt hätte: „Ich hätte mich im Tanz versucht. In meinem Studium setze ich mich damit höchstens theoretisch auseinander. Am BMC wurden Lehrende und Studierende regelrecht dazu aufgefordert, Fächergrenzen zu überschreiten.“ Anna-Lena Werner, Doktorandin am Institut für Theaterwissenschaft, ergänzt: „Universitätsgründer Andrew Rice wollte Menschen ganzheitlich ausbilden und nicht nur in einzelnen Disziplinen. Deshalb wurden am BMC so viele künstlerische Inhalte geschaffen. Es gab wenig Bürokratie und Hierarchien.“

Bis heute fasziniert die legendäre US-Hochschule, wie die große Resonanz auf die Ausstellung im Hamburger Bahnhof zeigt.

Bis heute fasziniert die legendäre US-Hochschule, wie die große Resonanz auf die Ausstellung im Hamburger Bahnhof zeigt.
Bildquelle: North Carolina Museum of Art

Tatsächlich gilt das Lehrkonzept des Colleges bis heute als innovativ und bahnbrechend: Das Lernen war experimentell ausgerichtet, das heißt, jede Theorie wurde auch durch praktisches Arbeiten vermittelt. Dies war in den Anfangsjahren begründet in der Bauhaus- Tradition, der viele Dozenten entstammten, die in der Zeit des Nationalsozialismus aus Europa in die USA geflohen waren – die Grafikerin und Textilkünstlerin Anni Albers etwa und ihr Mann, der Maler und Kunstpädagoge Josef Albers, sowie der weltberühmte Architekt Walter Gropius.

Jede Woche wandten die Studierenden beispielweise im 15-stündigen „Work Program“ ihre theoretischen Kenntnisse an: Sie webten Textilien für den Universitätsgebrauch, konstruierten Möbel oder bauten sogar Häuser selbst. Doch nicht nur künstlerische Fächer wurden gelehrt, auch Wirtschafts- und Naturwissenschaften standen auf dem interdisziplinären Kursplan – einer der Gastdozenten für Physik war Albert Einstein. Dass aus dieser kreativen Keimzelle viele der bekanntesten Künstler der Neoavantgarde hervorgingen – zum Beispiel der Tänzer und Choreograf Merce Cunningham, der Pop-Art-Wegbereiter Robert Rauschenberg oder die Bildhauerin Ruth Asawa – ist nach Meinung der wissenschaftlichen und redaktionellen Projektmitarbeiterin Verena Kittel kein Wunder: „Gerade durch die ganzheitlichen Erfahrungen jedes Einzelnen und durch die Zusammenarbeit von Personen unterschiedlicher Disziplinen am BMC entstanden Künstlerkooperationen, die für die folgenden Jahrzehnte der Kunstgeschichte maßgeblich waren.“

Lehrkonzepte des BMC auf die heutige Arbeit übertragen

Doch warum fasziniert dieses College alle, die damit in Berührung kommen, noch heute? „Weil auch bei den gegenwärtigen Studierenden ein starker Wunsch nach selbstbestimmtem Lernen über Fächergrenzen hinweg vorhanden ist“, sagt Anna-Lena Werner. Dies wurde bei der wissenschaftlichen Begleitung der Ausstellungsorganisation berücksichtigt: Der Leiterin des Forschungsprojekts „Black Mountain Research“ Annette Jael Lehmannwar es besonders wichtig, Lehrkonzepte des BMC auf ihre heutige Arbeit mit Studierenden zu übertragen. „Auch ich wollte den Teilnehmern des Seminars ,BlackMountain – Kreativitätsmodelle’ die Möglichkeit geben, praktisch zu arbeiten“, sagt die Professorin für Theaterwissenschaft. „Dies wird von den Studierenden durchweg positiv angenommen. Sie schreiben etwa wöchentlich auf der Website zum Forschungsprojekt über Hintergründe und Exponate der Ausstellung und wirken an der wissenschaftlichen Begleitung der im Hamburger Bahnhof stattfindenden Performances von Black-Mountain-Archivmaterial mit.“

Insbesondere die Kooperation zwischen der Freien Universität und dem Hamburger Bahnhof stoße unter den Studierenden auf Begeisterung. Das Museum, eine der renommiertesten Institutionen Deutschlands für zeitgenössische Kunst, zeigt in der von den Kuratoren Eugen Blume und Gabriele Knapstein sowie der wissenschaftlichen Projektleiterin Matilda Felix realisierten „Black-Mountain“-Ausstellung Archivmaterial und Kunstwerke, die am College entstanden sind. Darunter finden sich Arbeiten von Cy Twombly und Robert Rauschenberg, fotografische und filmische Dokumente sowie Web- und Keramikarbeiten und Publikationen des BMC.

Die Besucher erhalten in der architektonisch einfallsreich gestalteten Werk- und Archivschau einen umfassenden Einblick in das interdisziplinäre und experimentelle Lernen und Leben auf dem legendären Campus. Etwa 1000 Gästewaren allein zur Eröffnungsfeier gekommen. Eugen Blume, Leiter des Hamburger Bahnhof – Museum für Gegenwart – Berlin und einer der Kuratoren der Ausstellung, freut sich über das große Interesse: „Dass das Black-Mountain- College-Projekt Unterrichtsthema an der Freien Universität Berlin ist, unterstützt aktiv den Wunsch der Kuratoren, möglichst viele junge Menschen zu beteiligen. Die Zusammenarbeit zwischen der Hochschule und unserem Haus sehen wir als erfolgreichen Anfang, der hoffentlich fortgesetzt wird.“

Mehr im Internet: www.black-mountain-research.com