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Experimentieren mit dem Froschkönig

Im Projekt PROFILES erarbeiten Chemiedidaktiker und Lehrer naturwissenschaftlichen Unterricht für junge Forscher

Kreativ: Die Lehrerfortbildungsgruppe „Pro-Nawi“ präsentiert ihr naturwissenschaftliches Märchenbuch.

Kreativ: Die Lehrerfortbildungsgruppe „Pro-Nawi“ präsentiert ihr naturwissenschaftliches Märchenbuch.
Bildquelle: Sabine Streller

In weißen Laborkitteln und mit Schutzbrillen auf den Nasen beobachtet eine Gruppe Siebtklässler gespannt, wie sich ein gepelltes Ei langsam wie von Geisterhand geschoben durch eine Flaschenöffnung zwängt, nachdem sie das Gefäß mit Eiswasser gekühlt haben. Welcher physikalische Effekt dahinter stecken könnte, wird von den potenziellen Nachwuchswissenschaftlern dabei lebhaft diskutiert.

Die Lösung: Durch den Temperaturabfall in der Flasche entsteht ein Unterdruck. Außerhalb der Flasche wirkt nun ein größerer Druck auf das Ei, sodass es hineinrutscht. Bei der nächsten Versuchsstation wird einWassertornado in einer Flasche erzeugt und damit gezeigt, wie aus einer Rotationsbewegung ein Strudel entsteht. Auf diese Weise wird modellhaft
deutlich gemacht, wie durch aufsteigende und rotierende Luftmassen einTornado entstehen kann. Die Projektwoche in den Laborräumen des Instituts für Chemie der Freien Universität kommt bei den Mädchen und Jungen gut an.

Entwickelt wurde die Lehreinheit zum Thema „Tornados im weltweiten Klimageschehen“ von Bachelorstudierenden der Chemiedidaktik. „Durch die kleinen Experimente lernen die Schüler die einzelnen thermodynamischen Effekte kennen, die
einen Tornado entstehen lassen“, erklärt Lehramtsstudent Felix Kähne. „Wir wollten keinen Frontalunterricht halten, sondern die Schülerinnen und Schüler durch Versuche selbst herausfinden lassen, wie solch ein Naturphänomen entstehen kann.“

Er und seine Kommilitonen erproben als angehende Chemielehrer im Rahmen eines chemiedidaktischen Seminars mit großen Praxisanteilen gemeinsam mit Schulklassen das Konzept des sogenannten forschend-entwickelnden Unterrichts: Beim selbstständigen Experimentieren stellen die Schüler eigene Vermutungen auf und diskutieren anhand ihrer Beobachtungen, welche Hypothese stimmen könnte. So werden nicht nur fachliches Wissen vermittelt, sondern auch naturwissenschaftliche Denk- und Arbeitsweisen.

„In einer Wissensgesellschaft wie unserer, die sich ständig verändert, ist es wichtig, den Jugendlichen früh beizubringen, wie sie sich Wissen selbst aneignen können“, sagt Student Felix Kähne.

Das Ausbildungsmodul für Lehramtsstudierende der Chemiedidaktik ist im Rahmen des Programms PROFILES („Professional Reflection-Oriented Focus on Inquiry-based Learning and Education through Science“) entwickelt worden. Das in einundzwanzig Ländern angesiedelte Projekt wird mit 3,2 Millionen Euro von der Europäischen Kommission finanziert. Es fördert die Integration moderner Lehrmethoden in den Unterricht und den internationalen Austausch über die zeitgemäße Vermittlung von Naturwissenschaften.

Das Projekt wurde 2010 für die Dauer von vier Jahren ins Leben gerufen. „In den vier Jahren ist es gelungen, ein internationales Netzwerk aus Fachdidaktikern, Lehrern und Angehörigen der Schulverwaltung und Bildungspolitik aufzubauen“, sagt Professor Claus Bolte, Leiter der Arbeitsgruppe Didaktik der Chemie, der das PROFILES-Programm koordiniert.

„Im Mittelpunkt der Zusammenarbeit steht die Idee, das Konzept des forschend-entwickelnden Unterrichts im Schulalltag zu etablieren.“ Nicht nur Lehramtsstudierende profitieren von PROFILES. Auch Lehrerinnen und Lehrern wird die Möglichkeit geboten, in einjährigen Fortbildungen ihre Unterrichtsgestaltung gemeinsam mit Kollegen weiterzuentwickeln und zu verbessern. Dabei werden sie von den Fachdidaktikerinnen Sabine Streller und Manja Erb tatkräftig unterstützt.

Christine Prem-Vogt ist begeistert, die Grundschullehrerin hat das Angebot genutzt. Seit 2010 nimmt sie an einer von zwei Projektgruppen „Pro-Nawi“ an der Freien Universität teil.

Ein Jahr lang trafen sich regelmäßig zehn Lehrerinnen und Lehrer, die in fünften und sechsten Klassen das Fach Naturwissenschaften unterrichten, um gemeinsam Ideen für den eigenen Unterricht zu entwickeln und neue Unterrichtsmethoden kennenzulernen.

„Am Anfang stand die Frage, wie man Kinder an das Experimentieren heranführt und ihnen naturwissenschaftliches Beobachten beibringt“, erzählt Christine Prem-Vogt. „Unsere Treffen waren immer am praktischen Unterricht orientiert.

Naturwissenschaftliches Märchenbuch entstanden

Schließlich haben wir gemeinsam sogar Unterrichtsbausteine für ein ganzes Schuljahr konzipiert – darunter ein naturwissenschaftliches Märchenbuch mit vielen Arbeitsblättern und Unterrichtsaufgaben.“ Darin werden beispielsweise Geschichten wie die vom Froschkönig, in der der Königstochter eine goldene Kugel in den Brunnen fällt, mit Dichte-Experimenten an nachgebildeten Goldkugeln verknüpft.

Bei den Schulklassen kommt der lebendige Naturwissenschaftsunterricht gut an, wie die Evaluation des Projekts zeigt. Auf der PROFILES Abschlusskonferenz Ende August wird das Märchenbuch neben anderen entwickelten Unterrichtsmaterialien aus allen beteiligten Ländern vorgestellt.

Doch der Gedanke von PROFILES wirkt über das Programm hinaus: Als Fachbereichsleiterin gibt Christine Prem-Vogt ihr Wissen und die eigens entwickelten Materialien an ihren Kollegenkreis in der Schule weiter. Die durch das Projekt entstandenen Netzwerke werden weitergeknüpft, sagt Koordinator Claus Bolte: „Die Lehrergruppe hat eine starke Eigenverantwortung entwickelt, dauerhaft einen spannenden naturwissenschaftlichen Unterricht zu machen.

Erfolgreicher Unterricht regt auch andere Kollegen an, über Unterrichtsinnovation nachzudenken. Auch wenn es in Berlin keine Fortbildungspflicht für Lehrkräfte gibt, wäre es begrüßenswert, wenn die langfristigen und auf regelmäßigen Treffen beruhenden Lehrerfortbildungen auch in Zukunft weitergeführt würden.“

—Das naturwissenschaftliche Märchenbuch, das sich an Lehrkräfte der Naturwissenschaften in den Klassenstufen 5 und 6 richtet, kann von Anfang September an im Buchhandel erworben werden und ist über den Verlag erhältlich:
„Es wa(h)r einmal... Naturwissenschaften im Märchen“, hrsg. Von Manja Erb und Sabine Streller. Münster, Schüling-Verlag, 2014 (106 Seiten, 23,80 Euro).