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„Das Hören ist so wichtig wie das Lesen“

28.11.2013

Elisabeth Edl freut sich auf die Arbeit mit den Studierenden der Freien Universität. Das Foto zeigt die Übersetzerin in Paris.

Elisabeth Edl freut sich auf die Arbeit mit den Studierenden der Freien Universität. Das Foto zeigt die Übersetzerin in Paris.
Bildquelle: D.P. Gruffot

Übersetzerin Elisabeth Edl hat die August-Wilhelm-von-Schlegel-Gastprofessur inne

Worin liegt die Eigenart eines Schriftstellers? Worin die seiner Sprache? Wie hat der Autor gearbeitet? Warum diesen Satz so geformt und nicht anders? Kurz: Was macht Flaubert zu Flaubert? Es sind diese Fragen, die am Anfang jeder Übersetzung stehen und damit vor der eigentlichen Arbeit, sagt Elisabeth Edl. Die Österreicherin, deren Neuübersetzungen von Stendhal und Flaubert große Resonanz gefunden haben, gilt als eine der profiliertesten Übersetzerinnen aus dem Französischen. In diesem Semester übernimmt die Romanistin die August-Wilhelm-von-Schlegel-Gastprofessur für Poetik der Übersetzung an der Freien Universität.

Im Grunde passen sie nicht zueinander, das Deutsche und das Französische. In ihrer Struktur und Funktion, im Rhythmus und Klang seien die beiden Sprachen so verschieden, sagt Elisabeth Edl, dass der Weg von der einen in die andere Sprache ein „heikles, kompliziertes Ineinander und Auseinandergehen“ sei. „Madame Bovary“ von Flaubert beispielsweise stecke voller Wortspiele, Kalauer und Anspielungen. Dieser ironische Subtext sei aber in vielen alten Übersetzungen verschwunden: „Entweder weil er nicht wahrgenommen wurde oder weil es als zu schwierig erschien, die Zweideutigkeiten im Deutschen wiederzugeben.“ Dabei könne man gerade bei Flaubert, der an seinen Texten unendlich lang gearbeitet habe, davon ausgehen, „dass kein Wort zufällig dasteht“. Und deshalb auch übersetzt werden muss.

Wie schwer es ist, nicht nur das passende Vokabular zu finden, sondern auch den Stil eines Autors zu treffen, weiß die Übersetzerin. Deswegen ist es ihr wichtig, dass die Studierenden, die in diesem Semester an ihrem Seminar „Die Sprache des modernen Romans. Stendhal – Hugo – Flaubert – Proust und ihre Zeitgenossen“ teilnehmen, auch übersetzen: „Erst durch das Arbeiten stößt man auf die Schwierigkeiten.“ Wie etwa lässt sich ein Satz angemessen formulieren, der durch die Übertragung aus dem Französischen zunächst unter verschachtelten Nebensätzen, angefügten Hilfsverben und abgetrennten Präfixen leidet – „dem ganzen Wortschrott und Kleinkram, der im Deutschen mitdranhängt“?

Mit anderen Worten: Wie gelingt eine Übersetzung? Natürlich klinge ein deutscher Text niemals so wie ein französischer, sagt Elisabeth Edl. Aber das solle er ja auch gar nicht, denn die Übersetzung ist eben ein deutscher, kein französischer Text. Wenn Rhythmus und Melodie dem Original entsprächen, sei die Übertragung gelungen. Darum sage sie beim Übersetzen immer wieder Dinge laut vor sich hin: „Das Hören ist so wichtig wie das Lesen.“ Das habe sie aus ihrer Anfangszeit beibehalten, als sie das Übersetzen gemeinsam mit ihrem Mann Wolfgang Matz lernte: „Das war eine Art Ping-Pong, bei dem wir uns die Möglichkeiten, Vorschläge und Lösungen hin- und hergespielt haben.“

Fast 20 Jahre ist es her, dass Elisabeth Edl unterrichtet hat: Von 1983 bis 1995 lehrte sie an der Universität Poitiers und der École supérieure de commerce de Poitiers. Seitdem arbeitet und lebt sie in München. Sie freut sich auf die Zeit mit den Studierenden. Vor allem der gemeinsame Blick auf die Autoren, die sie bisher nicht selbst übersetzt hat – Victor Hugo und Marcel Proust –, reize sie: „Dadurch werden sich auch für mich neue Blickwinkel eröffnen.“

Die August-Wilhelm-von-Schlegel-Gastprofessur wurde 2007 am Peter-Szondi-Institut für Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft der Freien Universität Berlin nach einer Initiative des Deutschen Übersetzerfonds eingerichtet. Dieser ermöglicht die Dotation der Professur aus Mitteln des Bundesbeauftragten für Kultur und Medien und wählt gemeinsam mit Vertretern des Peter-Szondi-Instituts den Inhaber der Professur aus. Die Professur wird jeweils zum Wintersemester an renommierte Übersetzer der deutschsprachigen literarischen Öffentlichkeit verliehen und ist die erste Professur für Poetik der Übersetzung im deutschsprachigen Raum. August-Wilhelm-von-Schlegel-Gastprofessoren in den vergangen Jahren waren Rosemarie Tietze, Olaf Kühl, Susanne Lange, Stefan Weidner, Burkhart Kroeber und Frank Günther.

Weitere Gastprofessuren

Der US-amerikanische Lyriker und Übersetzer David Hinton ist in diesem Semester Samuel-Fischer-Gastprofessor für Literatur am Peter-Szondi-Institut der Freien Universität. Der mehrfach für seine Übertragungen aus dem Chinesischen ausgezeichnete Übersetzer hält ein Seminar mit dem Titel „Another Universe: Wilderness Thought in Ancient Chinese and Modern American Poetry“. Die Samuel-Fischer-Gastprofessur wird jedes Semester neu besetzt und ist 1998 von der Freien Universität Berlin gemeinsam mit der Verlagsgruppe Holtzbrinck, dem Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD) und dem S. Fischer Verlag eingerichtet worden.

Emma Lew Thomas hat die künstlerische Valeska-Gert-Gastprofessur für Tanz und Performance am Institut für Theaterwissenschaft inne. Die amerikanische Tänzerin und Professorin für Tanzgeschichte (University of California, Los Angeles) wird gemeinsam mit den Studierenden des Masterstudiengangs Tanzwissenschaft aktuelle Fragen zur Geschichtlichkeit, zu Erinnern und Gedächtnis des Ausdruckstanzes erarbeiten. Die Ergebnisse werden am 19. Dezember 2013 um 18 Uhr im Hörsaal des Instituts für Theaterwissenschaft (Grunewaldstraße 35, 12165 Berlin) präsentiert.

Die Gastprofessur, die von der Freien Universität Berlin, dem DAAD und der Akademie der Künste getragen wird und seit dem Wintersemester 2006/2007 besteht, wird jedes Semester neu besetzt. Der britische Kunsthistoriker Andrew Hemingway, Spezialist für die Geschichte der amerikanischen Kunst, ist in diesem Semester Terra Visiting Professor for American Art am John F. Kennedy-Institut für Nordamerikastudien. Er gibt zwei Kurse zu den Themen „New Deal Culture“ und „Art and Radicalism in the United States“. Die Terra-Gastprofessur für Amerikanische Kunst ist 2009 eingerichtet worden und wird jedes Semester neu besetzt. Sie ist kürzlich von der Terra Foundation for American Art um weitere zwei Jahre verlängert worden.