Springe direkt zu Inhalt

Die Stadt mit anderen Augen sehen

26.09.2013

„Remote Berlin“ führt die Zuschauer per Audioguide durch die Stadt.

„Remote Berlin“ führt die Zuschauer per Audioguide durch die Stadt.
Bildquelle: Expander

Eine Gruppe von Studenten sitzt mit Kopfhörern in der U-Bahn. Plötzlich binden sich alle gleichzeitig die Schuhe, an der nächsten Haltestelle springen sie auf den Bahnsteig und tanzen. Sind die verrückt geworden? Nur so verrückt, wie man es wohl sein muss, um sich auf die Performance-Kunst der Theatertruppe „Rimini Protokoll“ einzulassen.

Für die Teilnehmer eines Seminars am Institut für Theaterwissenschaft der Freien Universität war die Erkundungstour „Remote Berlin“ von Rimini Protokoll – einer Theaterinszenierung im „Hebbel am Ufer“, die die Zuschauer zu Schauspielern macht und durch die Stadt führt – eines der Projekte, durch die sie sich mit Kunst im öffentlichen Raum auseinandergesetzt haben. Dokumentiert sind die Erlebnisse und Reflexionen der Studierenden in einem Blog über medienkünstlerische Projekte in Berlin, der fortgeführt wird.

Seminarleiterin Professorin Annette Jael Lehmann will die Studierenden nicht nur zur Auseinandersetzung mit Kunst auf den Straßen und Plätzen der Stadt anregen, sondern auch methodisch neue Wege gehen. „Blogs sind ein Teil der Alltagskultur von Studenten, der normalerweise nicht in die Uni getragen wird. Im Seminar haben wir gemerkt, wie die Arbeit am Blog gemeinschaftsbildend wirken kann“, sagt die Theaterwissenschaftlerin.

Eine solch intensive Zusammenarbeit sei in den Geisteswissenschaften etwas Besonderes, denn in der Regel arbeiteten Studierende allein an Referaten und Hausarbeiten. Das Wissen, dass ihre Fotos und Texte im Blog für jedermann zugänglich sein werden, habe die Studierenden sehr motiviert.

Der Blog dokumentiert drei Stationen, an denen Kunst im öffentlichen Raum stattfindet: die Stadttour von Rimini Protokoll, die choreografische Installation „White Bouncy Castle“ (Weiße Hüpfburg) in der Lokhalle Schöneberg sowie eine von den Studierenden entworfene Graffiti-Erkundungstour vom S-Bahnhof Ostkreuz bis zur Kreuzberger Cuvrystraße.

Eine zentrale Frage galt der Grenze zwischen Öffentlichem und Privatem. Besonders beim Projekt von Rimini Protokoll verschwimme diese Trennung, sagt Lehmann: „Das Publikum erhält über Kopfhörer Handlungsanweisungen und wird zum Akteur. Es gibt keine klare Trennung mehr zwischen Darstellern und Rezipienten, zwischen Kunst und Leben.“

Bei der Graffiti-Tour suchten die Studierenden nach künstlerisch anspruchsvollen Graffiti in ihrer Wohngegend. „Oftmals muss man genauer hinschauen oder die Wahrnehmung schärfen, denn in einigen Stadtteilen, wie in Berlin-Friedrichshain, gehört diese Straßenkunst schon fest zur Ästhetik und lässt sich nicht mehr wegdenken“, schreiben sie im Blog.

Ein Teil des Blogs, die „Station X“, ist noch im Entstehen. Dort kann jeder Interessierte — nach Prüfung und Freischaltung durch das studentische Blog-Team — Fotos und kurze Texte über Kunst im öffentlichen Raum präsentieren. Fortsetzung folgt.

Weitere Informationen

Im Internet

www.urbanartberlin.tumblr.com

Zentrum geplant

Im Sommersemester 2014 wird Annette Jael Lehmann ein weiterführendes Seminar anbieten, in dem der Blog um neue Angebote ergänzt werden soll. Gemeinsam mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus den Geisteswissenschaften und der Informatik arbeitet die Professorin zudem daran, Methoden der Digital Humanities, der digitalen Geisteswissenschaften weiter in Forschung und Lehre zu integrieren. Ein Center for Digital Humanities an der Freien Universität soll diese Aktivitäten bündeln. Dabei geht es zum Beispiel darum, neue digitale Methoden zu entwickeln, um Daten zu bearbeiten und zu archivieren. So könnten etwa Videos direkt kommentiert und mit Bemerkungen versehen werden, und es könnten interaktive Atlanten zu Kunstprojekten entstehen.