Springe direkt zu Inhalt

Der Klang der Metropolen

16.10.2012

Mit den Lebenswelten des Menschen ändert sich sein sprachliches Kommunikationssystem. Die Wissenschaft kennt diese Abhängigkeit von Milieu und Sprache schon seit Längerem. In ländlichen Gemeinschaften erhalten sich Sprachformen unverändert über zahlreiche Jahrhunderte. Die Ortstreue der Menschen sorgt dafür, dass dialektale Ausdruckweisen und Redewendungen durch Generationen bewahrt werden. So konserviert sich sprachliche Tradition in dörflichen Gemeinden wie die Materie in Mineralen. Anders verhält es sich in modernen Großstädten. Die Sprache gehorcht hier äußeren Impulsen, die durch die Mobilität der Bewohner und die permanente Veränderung der Milieus erzeugt wird.

Die Mega-Citys des 21. Jahrhunderts wachsen in unerhörter Geschwindigkeit, und mit ihnen nimmt die Variationsbreite der Sprachen zu. Migrationsbewegungen führen zu neuen Sprach-Importen. Menschen aus aller Welt bringen ihre eigene Sprache in die ihres Gastlandes ein. Soziale Milieus vom Dienstleistungsgewerbe über die Kunstszene und das Mediengeschäft bis zu Wirtschaft und Universität bringen ihre ganz individuellen Redeformen hervor. In Berlin lässt sich diese Dynamik an verschiedensten Orten studieren – der Einfluss des „KiezDeutsch“ auf die Jugendsprache, die Durchmischung von Soziolekt und Türkisch beziehungsweise Russisch, die zunehmende Bedeutung des Englischen in diversen Arbeitsmilieus und die neuen Verständigungsformen des Social Web zeigen, dass mündliche Kommunikation eine permanente Abweichung vom Standard bedeutet. Unsere Sprache verändert sich gerade in den Ballungsgebieten der Großstadt schneller als je zuvor. Nicht immer mag das, was dabei entsteht, Puristen erfreulich erscheinen. Aber die menschliche Rede orientierte sich niemals allein an Normen; ihre Veränderlichkeit ist zugleich ein Zeichen ihrer Lebendigkeit.

An der Freien Universität hat sich Ende August eine internationale Tagung mit diesem Phänomen auseinandergesetzt (dazu auch unser Aufmacher auf dieser Seite). Die Konferenz ging der Frage nach, wie sich in den großen Metropolen der Welt von Rio bis Schanghai, von Mexico City bis Dubai die Sprache der Menschen im Sog der Globalisierung verändert. Annähernd 1000 Referentinnen und Referenten aus aller Welt boten faszinierende Einblicke in die Vitalität der Sprachen in Zeiten interkulturellen Wandels. Dabei kamen neue Gewohnheiten der Kommunikation in den Blick, die durch E-Mail, SMS, Facebook und Twitter hervorgebracht werden. Zahlreiche Vorträge untersuchten, wie sich einzelne Arbeitsmilieus mit ihren Fachterminologien und die Soziolekte von Jugendlichen oder Migranten im urbanen Rede-Duktus niederschlagen.

Anschauungsmaterial für die Dynamik der Kommunikation bietet nicht zuletzt unser Dahlemer Campus, auf dem man sich in den unterschiedlichsten Weltsprachen verständigt. Machen Sie sich selbst ein Bild und gehen Sie in diesen frühherbstlichen Oktobertagen durch die Institute neben den Dahlemer Parks. Sie werden hören, dass die Sprachen der Stadt vor allem dies sind: vielstimmig und jung.

Der Autor ist Präsident der Freien Universität.