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Ethnologisches Museum der Moderne

Eine Ausstellung und eine Konferenz im Haus der Kulturen der Welt widmen sich dem Thema Animismus.

23.02.2012

Die Haltung des Animismus künstlerisch umgesetzt: Die Fotografin Candida Höfer inszenierte für die Ausstellung im Haus der Kulturen der Welt eine Szene, in der sich Restauratoren in Schutzanzügen außereuropäischen Exponaten nähern.

Die Haltung des Animismus künstlerisch umgesetzt: Die Fotografin Candida Höfer inszenierte für die Ausstellung im Haus der Kulturen der Welt eine Szene, in der sich Restauratoren in Schutzanzügen außereuropäischen Exponaten nähern.
Bildquelle: Candida Höfer, Köln; VG Bild-Kunst, Bonn 2012

Lange Zeit dominierte in ethnologischen Museen ein eurozentristischer Blick. So etikettierte man die ausgestellten Gegenstände aus außereuropäischen Kulturen gern als „Fetische“, um zu veranschaulichen, dass fremde Kulturen in den Dingen – zum Beispiel in Masken – eine Seele sehen und beseelte Geister im Kosmos vermuten. Für diese Vorstellung prägte die Ethnologie Ende des 19. Jahrhunderts den Begriff Animismus. Zugleich sprach man sich selbst von solchen vermeintlich irrigen Ansichten frei. Im 20. Jahrhundert distanzierte sich die Wissenschaft wiederum deutlich von dieser eurozentrischen Perspektive und versuchte den Animismus-Begriff, der zwischen „primitiven“ und „modernen“ Kulturen unterscheidet, nicht weiter zu verwenden.

Mit einer Ausstellung im Haus der Kulturen der Welt will die Literaturwissenschaftlerin der Freien Universität, Irene Albers, nun eine neue Herangehensweise wagen und gemeinsam mit dem Kurator Anselm Franke zeigen, dass das keinesfalls unumstrittene Animismus-Konzept sich dazu eignet, die für uns selbstverständliche Trennung zwischen Subjekt und Objekt, Akteuren und Dingen, Kultur und Natur kritisch zu reflektieren.

„Es stimmt: Der Animismus-Begriff ist, so wie er im 19. Jahrhundert verwendet wurde, Ausdruck einer kolonialistischen Überheblichkeit, denn er suggeriert, dass es auf der einen Seite die rationalen, aufgeklärten, westlichen Menschen gäbe und auf der anderen die mystisch veranlagten ,Primitiven‘“, sagt Irene Albers vom Peter Szondi-Institut für Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft der Freien Universität Berlin. Wer im 19. Jahrhundert modern war und auch so dachte, teilte die Welt strikt in Seele und Körper, Geist und Materie auf. Animierte Objekte gab es fortan nur noch in der Kunst und in der Literatur, man denke etwa an die berühmten Dingmärchen von Hans Christian Andersen oder die Literatur der Phantastik.

Kein Wunder, dass die Ethnologie des 20. Jahrhunderts mit dem Animismus-Begriff nichts mehr zu tun haben wollte. „Viele Ethnologen reagieren heute noch allergisch, wenn man den Begriff Animismus gebraucht", sagt Irene Albers. In ihrem Forschungsprojekt befasst sich die Wissenschaftlerin mit den in Deutschland noch kaum bekannten jüngeren Versuchen, den Animismus neu zu bewerten, ohne in die Positionen des 19. Jahrhunderts zurückzufallen. Mit einer Ausstellung im Haus der Kulturen der Welt, die von der Kulturstiftung des Bundes finanziert wird, sollen unter anderem künstlerische Positionen zum Thema präsentiert werden. Ungewöhnlich ist das Vorhaben auch deshalb, weil es wissenschaftliche Forschung und kuratorische Praxis verbindet.

Vom 16. März bis 6. Mai können die Besucher im Haus der Kulturen der Welt ein „ethnologisches Museum der Moderne“ erleben. Arbeiten von mehr als 30 internationalen Künstlern befassen sich dann nicht mit dem Animismus anderer Kulturen, sondern mit den Grenzziehungen, die dem Konzept innewohnen: der Grenze zwischen Geist und Materie, Kultur und Natur, aber auch zwischen Leben und Nicht-Leben. Was wäre, fragen die Ausstellungsmacher, wenn die Grenzen nicht so klar wären, wie wir annehmen? Inwiefern spiegelt der Animismus grundsätzliche Paradigmen der Moderne, also unsere eigene Wirklichkeit?

„Genau hier setzt die Ausstellung an“, sagt Sonja Oehler, Mitarbeiterin im Haus der Kulturen der Welt. „Wir zeigen Künstler, die in Bereichen animistische Eigenheiten aufspüren, wo man sie gemeinhin nicht erwartet.“ Die Fotografin Candida Höfer beispielsweise statuiert ein Exempel, wenn sie zwei Restauratoren auf einem Foto zeigt, die im Berliner Ethnologischen Museum in Schutzanzügen außereuropäische Ausstellungsstücke katalogisieren. Bei näherer Betrachtung der Fotografie, die in der Ausstellung zu sehen sein wird, wirken die beiden wie Schamanen, wie Außerirdische, die die Objekte mit größter Ehrfurcht behandeln und versuchen, sie zugleich zu verstehen und zu ordnen.

„Museen sind einerseits Mausoleen und stehen andererseits für die Fantasie von der Wiederbelebung ,toter‘ Gegenstände“, sagt Irene Albers. „Dieses Paradox wollten wir nicht nur wissenschaftlich reflektieren.“ Gemeinsam mit Teilnehmern aus ihrem Seminar „Animismus (in) der Literatur“ will die Wissenschaftlerin Ausstellungsführungen speziell für Studierende anbieten. Außerdem findet am 16. und 17. März auf einer internationalen Konferenz im Haus der Kulturen der Welt mit Vertretern unterschiedlicher Fächer eine disziplinenübergreifende Diskussion über den Animismus statt. Ein von Albers und Franke herausgegebenes Buch mit dem Titel „Animismus – Revisionen der Moderne“ erscheint zur Eröffnung der Ausstellung. Der Intendant des Hauses der Kulturen der Welt, Bernd Scherer, zeigt sich begeistert von der Verbindung wissenschaftlicher Forschung mit künstlerischer Praxis. „Allein die Frage, wie die Beziehungen zur natürlichen Umwelt neu zu denken sind, enthält eine politische Provokation“, sagt Scherer.

Weitere Informationen

Die Ausstellung ist vom 16. März bis 6. Mai 2012 im Haus der Kulturen der Welt (HKW) zu sehen. „Student's Day“ mit Führungen durch Studierende der Freien Universität und freiem Eintritt für Studierende am 25. April ab 15 Uhr; die Konferenz „Animismus“ im HKW findet am 16. und 17. März statt.

Im Internet: www.hkw.de