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Rein statistisch wird Bayern Meister

Wissenschaftler der Freien Universität errechnen die Siegchancen in der Fußball-Bundesliga.

23.02.2012

Es läuft die elfte Minute beim Rückrundenauftakt der Bundesliga in Mönchengladbach: Der Borusse Patrick Herrmann, Marktwert 3,5 Millionen Euro, setzt Holger Badstuber, 17,5 Millionen, am Bayern-Strafraum unter Druck; der passt zurück auf 30-Millionen-Torwart Manuel Neuer, der am Fünf-Meter-Raum steht. Herrmann sprintet gedankenschnell weiter, setzt jetzt Neuer unter Druck und drängt ihn seitwärts zur Strafraumgrenze hin ab.

Neuer könnte das Spielgerät jetzt einfach ins Seitenaus kicken – Einwurf für Gladbach, kein Beinbruch. Doch Neuer will den Ball im Spiel halten, passt ihn in Richtung Mittelkreis. Schwach geschossen. Marco Reuss, vor zwei Jahren für eine Million Euro zu Gladbach gekommen, erläuft ihn; Bayerns Abwehr kann den Borussen nicht rechtzeitig stören, und so hebt dieser den Ball gefühlvoll aus 30 Metern ins leere Tor.

1:0 für Gladbach. „Geld schießt keine Tore“, hat Trainerlegende Otto Rehhagel einmal gesagt. Der Underdog führt gegen die Millionentruppe des Rekordmeisters.

Es sind Situationen wie diese, die den Fußball so faszinierend machen – und so unberechenbar. Dennoch gewinnt am Ende – Rehhagel hin oder her – meist die Mannschaft, die den teuersten Kader hat. Das zumindest sagt Jürgen Gerhards, Professor für Makrosoziologie an der Freien Universität Berlin. Zusammen mit Gert Wagner vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung und Michael Mutz, ebenfalls Soziologe an der Freien Universität, entwickelt er statistische Modelle, um Wahrscheinlichkeiten im Kampf um Meisterschaften und Pokale zu berechnen.

Zur Europameisterschaft vor vier Jahren probierten die Autoren ihre Prognose-Methode erstmals aus: „Als entscheidende Größe für den Erfolg nahmen wir die Qualität der Fußballer an – und die spiegelt sich im Marktwert.“

Wie vorhergesagt wurde Spanien Europameister, zwei Jahre später – wie prognostiziert, auch Weltmeister. Dennoch mussten sich die Forscher Kritik gefallen lassen: Bei der EM 2008 schieden die ebenfalls zum Titelanwärter erhobenen Franzosen und Italiener früh aus; von den vor der WM 2010 gehandelten Favoriten England, Argentinien, Brasilien, Italien und Frankreich erreichten nur die beiden südamerikanischen Mannschaften das Viertelfinale – und verloren gegen die weniger teuren Teams aus Deutschland und den Niederlanden.

„Beim Fußball fallen die Prognosen im Vergleich zu anderen Sportarten relativ ungenau aus, weil so wenige Tore ein Spiel entscheiden und der Zufall eine besondere Rolle spielt“, sagt Gerhards. Während beim Basketball manchmal mehr als 50 Körbe in einer Partie geworfen werden und eine Handballmannschaft zwei bis drei Dutzend Mal in einem Spiel punktet, fallen beim Fußball pro Partie im Schnitt nur drei Tore. „Ein einziger Treffer ist also oft spielentscheidend.“ Und: Je kürzer die Meisterschaft, desto zufälliger sind die Ergebnisse.

Während also die Prognose des Deutschen Fußballmeisters, der in 34 Spieltagen ermittelt wird, relativ zuverlässig ist, bringen bei Turnieren wie der Champions League oder der Weltmeisterschaft K.-o.-Runden die Marktwerttabellen gehörig durcheinander: „Wenn dort zwei nahezu gleichstarke Mannschaften aufeinandertreffen, ist eine Vorhersage fast unmöglich“, sagt er.

Um die Methode weiter zu verbessern, haben Gerhards, Mutz und Wagner zusätzliche Variablen für ihre Prognosen berücksichtigt. Ihre neuesten Analysen beziehen sich nicht auf die Welt- und Europameisterschaften, sondern auf die Vorhersage des Erfolgs in den verschiedenen europäischen Ligen. „Neben dem Marktwert hat die kulturelle Zusammensetzung einer Mannschaft einen Einfluss auf den Erfolg“, sagen die Forscher. Je homogener ein Team zusammengesetzt ist, desto erfolgreicher ist es. „Dabei spielt nicht nur die Menge der fremdsprachigen Spieler eine Rolle, sondern auch deren Gruppierung.“

Fünf Niederländer lassen sich tendenziell besser in eine Bundesligamannschaft integrieren, als etwa ein Italiener, zwei Türken, ein Ghanaer und ein Chinese. Die Analysen der Fußballforscher zeigen, dass mit der kulturellen und vor allem sprachlichen Vielfalt einer Mannschaft die Abstimmungsprobleme zunehmen; dies könne sich negativ auf die Erfolgschancen auswirken. Ein Vergleich der beiden Prognose-Ansätze zeigt, dass diejenige Methode, die auch den ethnischen Faktor berücksichtigt, derjenigen überlegen ist, die sich rein am Marktwert orientiert. Ganz oben in der Prognosetabelle, die die Forscher zu Beginn der Saison für die Bundesliga erstellt haben, steht der FC Bayern München, dann Dortmund und Leverkusen. „Zur Winterpause gab es eigentlich nur zwei größere Ausreißer im Vergleich mit unserer Prognose: Gladbach ist vier Plätze besser als vorhergesagt, Leverkusen vier schlechter.“

Nun wollen Gerhards und Kollegen noch eine weitere Größe einarbeiten: „Je länger ein Kader bereits zusammenspielt, desto besser wird er; Neueinkäufe müssen erst integriert werden, das dauert und geht häufig auf Kosten des schnellen Erfolgs.“ Für die großen Ligen Europas hat das Forscherteam gerade alle Daten erhoben und wertet sie nun aus.

Den Rückrundenauftakt gegen Mönchengladbach hat Bayern München am Ende mit 3:1 Toren verloren, mittlerweile sogar die Tabellenführung – die Meisterschaft nicht, glaubt Gerhards: „Bayern ist und bleibt haushoher Favorit - Dortmund hat Chancen, Schalke dürfte keine Rolle im Kampf um die Meisterschaft spielen.“ Rein statistisch gesehen, versteht sich.