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Die Entzauberung des Weltraums

Wie Utopien vom Leben im All durch Mond- und Marsexpeditionen an Glanz verloren.

23.02.2012

„Die Erde ist die Wiege des Geistes, doch niemand lebt für immer in der Wiege.“ Für Konstantin E. Ziolkowski war die Richtung, in die sich die Menschheit eines Tages bewegen wird, klar. Der russische Raumfahrt-Pionier hatte bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts technische Abhandlungen darüber verfasst, wie man mit dem Bau von Flüssigkeitsraketen ins Weltall aufbrechen könnte. Mit seinen visionären Plänen von der Herstellung eines geeigneten Raketentreibstoffs war Ziolkowski, der 1935 starb, seiner Zeit voraus. Eigentlich nur einen Wimpernschlag, denn die 1920er und 1930er Jahre waren die Jahrzehnte, in denen der „Raketenrummel“, die Popularisierung des Weltraumdenkens, einen ersten Höhepunkt erreichte.

Während Schriftsteller und Filmemacher ihre Utopien von der Reise zum Mond und zu fernen Planeten einer breiten Öffentlichkeit präsentierten, tüftelten Wissenschaftler und Ingenieure daran, solche Raketen tatsächlich zu entwickeln. Die Grenze zwischen literarischer und filmischer Fantasterei und dem, was zukünftig wirklich möglich sein könnte, war fließend.

Älter noch als die Vision von der Reise zum Mond war die Idee einer erdnahen Raumstation, von der aus man zur Erkundung und Kolonisierung in die Weiten des Weltraums aufbricht. „Man hat früh erkannt, dass das eigentliche Problem nicht die Befahrung des Weltalls ist, sondern die Überwindung der irdischen Schwerkraft“, sagt der Historiker Alexander C. T. Geppert, der an der Freien Universität Berlin die Geschichte europäischer Weltraumvorstellungen und des außerirdischen Lebens im 20. Jahrhundert erforscht. Damals glaubte man, dass eine Weltraumstation im erdnahen Orbit als Umsteigebahnhof nötig wäre, um mit geringerem Aufwand in der Schwerelosigkeit Weltraumschiffe zusammenzusetzen und damit zum Mond, zum Mars oder noch weiter ins All zu reisen. Für Geppert, der seit 2010 eine Emmy-Noether-Nachwuchsgruppe leitet, ist es eine Ironie der Geschichte, dass mit der Internationalen Raumstation ISS Ende des 20. Jahrhunderts eine ganz alte Utopie Wirklichkeit wurde, „die uns aber nicht mehr so richtig fesselt“.

Warum übt die Internationale Raumstation – das teuerste zivile Projekt der Weltraumgeschichte –, die heute in rund 380 Kilometer Höhe um die Erde kreist, nur eine begrenzte Faszination aus? Die Forschergruppe am Friedrich-Meinecke-Institut geht der Frage nach, wie sich Träume und Hoffnungen auf eine Zukunft fernab der Erde veränderten – realhistorisch wie fiktional. Besondere Bedeutung messen sie der Zeitspanne zwischen 1957 und 1972 bei: Jenen 15 Jahren, in denen sich die Sowjetunion und die USA einen Wettlauf zum Mond lieferten. Ein Zeitraum, in dem rund 60 sowjetische und amerikanische Sonden den Mond knapp verfehlten, umkreisten, mal sanft, mal hart landend trafen. Und in dem nach Neil Armstrong und Edwin „Buzz“ Aldrin aus der Apollo-11-Crew neun weitere Menschen den Mond betraten.

In vielen Filmen, angefangen bei Fritz Langs letztem Stummfilm „Frau im Mond“ aus dem Jahr 1929, wurde die Reise zum rund 360 000 Kilometer entfernten Erdtrabanten detailliert dargestellt. „Bevor eine solche Reise 1969 tatsächlich stattfand, hatte man solche Bilder so ähnlich bereits mehrfach gesehen“, sagt Daniel Brandau, Mitarbeiter der Forschergruppe. Der nächste Schritt, der Bau einer Mondkolonie, der fiktional ebenfalls vorweggenommen wurde, erfüllte sich jedoch nicht. „Man stelle sich vor, Kolumbus hätte anno 1492 seine neue Welt entdeckt, und es wären keine Siedler dorthin gefolgt!“ So kommentierte der Schriftsteller Arthur C. Clarke, der die Romanvorlage für Stanley Kubricks Science-Fiction-Klassiker „2001 – Odyssee im Weltraum“ schuf, die ausbleibende Weltraum-Kolonisierung.

Der Drang ins All war nach den Apollo-Missionen zwar gebremst, aber nicht gestoppt: Von sowjetischem und amerikanischem Boden aus sind in den 1970er Jahren zahlreiche Sonden zum Nachbarplaneten Mars befördert worden. „Die Enttäuschung, als man auf der Marsoberfläche nicht einmal den kleinsten Beweis für Leben finden konnte, war groß“, sagt William R. Macauley, der in Gepperts Nachwuchsgruppe zur Ästhetik der europäischen Weltraumerkundung forscht. Die mit großen Erwartungen verbundenen Weltraumexpeditionen ließen den Traum vom Leben im All plötzlich unrealistisch erscheinen. „Die Öffentlichkeit wurde skeptischer und fragte nicht mehr danach, wie wir den Weltraum bereisen, sondern warum wir das überhaupt tun sollten“, sagt Macauley.

Vor dem Hintergrund der Ölkrise und der vermehrten Nutzung der Atomenergie wuchs auf beiden Seiten des Atlantiks ein kritisches globales Bewusstsein. „Der eigene Planet und der behutsame Umgang mit seinen Ressourcen geriet immer mehr in den Fokus, das Leben im All büßte von seinem Zauber ein“, sagt Geppert. Ein Zauber, der nur hält, solange man nicht da gewesen ist. In fiktionalen Kontexten hat man sich immer weiter von der Erde entfernt und die Gefahren und Begegnungen mit Außerirdischen vielfältig verarbeitet. Auch die Zukunft des eigenen Planeten wurde thematisiert, oft in apokalyptischer Form. „Die Zukunft der Erde steht auf der Kippe“ lautet ein filmisch wie literarisch wiederkehrendes Szenario. Mal ist durch die Plünderung der Rohstoffreserven des Mondes und die Erschaffung einer Ersatzerde die Rettung der Menschheit möglich, mal ist es endgültig zu spät, wie in dem 1968 erschienenen Film „Planet der Affen“. Darin hat sich die Menschheit mit Atomwaffen zugrunde gerichtet, die letzten Überlebenden werden von Schimpansen und Gorillas unterjocht.

Erst mit Beginn des 21. Jahrhunderts, seitdem auch Länder wie China und Indien im Club der Weltmächte mitspielen, wird der Weltraum und speziell der Mond als Reiseziel wieder interessant. Chinas ehrgeiziger Plan ist es, in rund zehn Jahren einen ihrer Landsleute auf den Mond zu bringen. Die US-Raumfahrtbehörde NASA bleibt vorerst bei der unbemannten Monderkundung. Zwei Sonden sind gerade unterwegs und sollen im März eine hochauflösende Karte des Gravitationsfeldes des Mondes erstellen. Allerdings erweist sich die Finanzierung weiterer drei Milliarden US-Dollar jährlich, die für ein bemanntes Programm notwendig wären, angesichts des Haushaltsdefizits als schwierig.

Dass der Weg ins All ein langwieriger ist, hat Arthur C. Clarke in seinen Zukunftsprognosen sieben Jahre vor Apollo 11 auf den Punkt gebracht: „Der Mensch war immer bereit, den Preis zu zahlen, den Expeditionen und Entdeckungsreisen forderten; und der Preis für die Erforschung des Weltraums ist Zeit und nochmals Zeit.“

Weitere Informationen

Tagung zum Thema

Vom 19. bis 21. April veranstaltet die Emmy-Noether-Forschergruppe mit dem Titel „Die Zukunft in den Sternen: Europäischer Astrofuturismus und außerirdisches Leben im 20. Jahrhundert“ ein dreitägiges Symposium. Im Rahmen von „Envisioning Limits: Outer Space and the End of Utopia“ widmen sich Wissenschaftler aus dem In- und Ausland der Frage, ob sich in den 1970er Jahren ein Ende der engen Verbindung von Weltraumdenken und Zukunftsvorstellungen beobachten lässt. Eine Teilnahme an der Konferenz nach Anmeldung ist in begrenztem Umfang möglich. Die Konferenzsprache ist englisch.Weitere Informationen im Internet unter www.limits.geschkult.fu-berlin.de.