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Mit Schaufel, Pinsel und PC

Wie Computer die traditionelle Archäologie verändern

04.06.2010

Wie Computer die traditionelle Archäologie verändern.

Wie Computer die traditionelle Archäologie verändern.
Bildquelle: Silvia Polla

Die Archäo-Informatikerin Silvia Polla untersuchte im Schweizer Wallis mit Kollegen und Studenten die Spuren der landwirtschaftlichen Nutzung aus dem Zeitraum von Jungsteinzeit bis Postmittelalter.

Die Archäo-Informatikerin Silvia Polla untersuchte im Schweizer Wallis mit Kollegen und Studenten die Spuren der landwirtschaftlichen Nutzung aus dem Zeitraum von Jungsteinzeit bis Postmittelalter.
Bildquelle: Geodata/Swisstopo

Ruinen-Reste zeugen noch heute von der damaligen Weiden-Nutzung im Walliser Seitental Val d’Hérémence.

Ruinen-Reste zeugen noch heute von der damaligen Weiden-Nutzung im Walliser Seitental Val d’Hérémence.
Bildquelle: Silvia Polla

Das Team um Silvia Polla referenziert und kartographiert die Fundstellen systematisch mit satellitengestützten Navigations-Instrumenten.

Das Team um Silvia Polla referenziert und kartographiert die Fundstellen systematisch mit satellitengestützten Navigations-Instrumenten.
Bildquelle: Silvia Polla

In der Gegend rund um die antike Siedlung Thugga im heutigen Tunesien untersuchte Silvia Polla unter anderem Keramikfunde aus der römischen bis byzantinisch-früharabischen Siedlungszeit.

In der Gegend rund um die antike Siedlung Thugga im heutigen Tunesien untersuchte Silvia Polla unter anderem Keramikfunde aus der römischen bis byzantinisch-früharabischen Siedlungszeit.
Bildquelle: Silvia Polla

Wer früher Ausgrabungen vornehmen wollte, um der Erde alte Geheimnisse zu entlocken, der reiste an mit Pickel und Schaufel, Kelle und Pinsel. Heute haben zusätzlich Computer und naturwissenschaftliche Techniken Einzug gehalten in die Archäologie. Mit Methoden der Archäo-Informatik werden heute alte Siedlungsstrukturen untersucht, Handelsbeziehungen, Straßennetze der Antike und die dauerhafte Nutzung von Berglandschaften. Auch Silvia Polla, Juniorprofessorin für Archäo- Informatik am Institut für Klassische Archäologie, arbeitet intensiv mit Computern und Programmen, mit denen sie archäologische Daten systematisch darstellt und analysiert – etwa, um Fragen zur Siedlungsgeografie oder zur Wirtschaftsgeschichte leichter beantworten zu können. 

Eine klassische Archäologin verschlägt es nicht oft auf eine Schweizer Alm, in ein Seitental der Rhône im Wallis, das Val d‘Hérémence; Silvia Polla schon. Zusammen mit Kollegen und Studenten untersuchte sie dort die Spuren der landwirtschaftlichen Nutzung aus dem Zeitraum von Jungsteinzeit bis Postmittelalter, genauer: der „agropastoralen“ Nutzung. „Die Bauern betrieben hier im Tal in tieferen Lagen Landwirtschaft, während sie im Hochtal in Fernweidewirtschaft Ziegen, Kühe und Schafe hielten. Es geht um die sogenannte Subsistenzwirtschaft, die sich mit großer Widerstandskraft in dem Tal gehalten hat“, sagt die italienische Wissenschaftlerin, die seit April 2009 am Institut für Klassische Archäologie der Freien Universität forscht und lehrt. Was der Landwirtschaft in dem Schweizer Tal Nachhaltigkeit verlieh und wie sich die Bewirtschaftung mit der Zeit veränderte, will die Forscherin im Rahmen eines Projekts im Exzellenzcluster TOPOI – „The Formation and Transformation of Space and Knowledge in Ancient Civilizations“ – herausfinden.

Belege für die einstige Weidenutzung im Val d‘Hérémence sind an der Oberfläche, aber auch mithilfe von Bohrungen zu finden – dazu analysiert man die Sedimente. Das Team um Silvia Polla hat dafür die Fundstellen systematisch mit satellitengestützten Navigations- Instrumenten referenziert und kartographiert. Silvia Polla analysiert im Rahmen des Projekts aber nicht nur Daten.

Weidebewirtschaftung am Computer simulieren

Zusammen mit Kollegen simuliert sie die Weidebewirtschaftung auch am Computer: Sie will herausfinden, wie lange es dauert, bis die Nährstoffe der Böden erschöpft sind. Endgültige Resultate stehen noch aus, doch die Forscherin schätzt, dass die Ergebnisse ihrer Arbeit für eine nachhaltige Bewirtschaftung des Hochtals von Bedeutung sein könnten – sogar für die Gegenwart. Die im Projekt verwendeten Methoden zählen zur Archäo-Informatik – dem Fach, das sie an ihrem Institut vertritt. Was man unter Archäo-Informatik versteht, bedarf bei dem jungen Fach noch einer Erklärung: Im Prinzip geht es darum, archäologische Fragen mithilfe von Computersoftware zu beantworten. Forscher können mit Computerprogrammen Daten in ihrer räumlichen und zeitlichen Struktur zeigen, diese systematisieren und daraus dreidimensionale Modelle entwerfen. So lassen sich zum Beispiel Lagebeziehungen und Sichtachsen in größeren Gebieten verdeutlichen.

„In der Landschafts-Archäologie nutzt man die Methoden der Archäo-Informatik vor allem dazu, um Informationen über eine ganze Region zu gewinnen, ohne die Oberfläche zu zerstören“, erläutert Silvia Polla. Muster und Tendenzen der Landschaftsstruktur – bedeutsam für siedlungsgeografische und wirtschaftshistorische Fragen – ließen sich nicht mit einzelnen Ausgrabungen ermitteln, so wertvoll die Funde vor Ort auch sein mögen, „aber man kann nicht überall graben“, sagt sie.

Ein wichtiger Teil ihrer Arbeit ist die Entwicklung von Methoden. Polla selbst schreibt zwar keine Programme, kann aber den Code von Programmierern so gut lesen, dass sie ihn nachvollziehen und ändern kann – und wirkt so an der Entwicklung neuer Algorithmen mit. Das Ziel: so viele Informationen wie möglich aus den archäologischen Daten herauszukitzeln.

Faszination für die „materielle Kultur“ der Archäologie

Schon in ihrem ersten Studienjahr – damals studierte Polla noch Latein und Griechisch – packte sie auf einer Exkursion die Faszination für die, wie sie sagt, „materielle Kultur“ der Archäologie – und sie wechselte die Fachrichtung. Überzeugt von den analytischen Möglichkeiten, die ihr die Arbeit mit Computern ermöglichte, konzentrierte sie sich immer mehr auf die Archäo-Informatik. Schon für ihre Dissertation über das Umland von Thugga im heutigen Tunesien nutzte sie deren Potenzial. Dabei untersuchte sie unter anderem Keramikfunde aus dieser Region und der römischen bis byzantinisch-früharabischen Siedlungszeit, ein Zeitraum vom 1. bis zum 7. Jahrhundert vor Christus. Nordafrika war damals für Rom die Kornkammer schlechthin, was den Wohlstand der Region mehrte.

Die Herstellung von Keramikprodukten florierte, und sie wurden überregional gehandelt: Objekte aus Tunesien fand man sogar in London.

Die Landschaft in der Region um Thugga hat sich gut erhalten, wie so oft im Mittelmeerraum; viele Funde liegen außerdem nah an der Oberfläche, weswegen es bei der archäologischen Erkundung nicht zu Zerstörungen kommt. Im Rahmen einer Geländeerkundung wurden die Keramikscherben zunächst gezählt, datiert und nach Typen eingeteilt. Eine petrographische und chemische Materialanalyse half herauszufinden, mit welchen Techniken die Keramiken hergestellt worden waren. Polla analysierte und strukturierte in ihrer Arbeit die Daten der Geländeerkundung, um den Wandel der Siedlung und der Landnutzung kenntlich zu machen. Ein Beispiel für die Untersuchung ist die Analyse des „Sichtbarkeitsgrades“: Archäologen wissen, dass an Stellen, an denen der Boden viel gepflügt wird, mehr Scherben gefunden werden als andernorts.

Viele Scherben sind noch kein Beweis

Das bedeutet aber keineswegs, dass dort ursprünglich auch mehr Keramik hinterlassen worden sein muss, durch das Beackern des Bodens kommen die Zeugen der Vergangenheit nur häufiger ans Licht. Polla korrigierte anhand der heutigen Landnutzung die Dichteverteilung der Scherben und stellte dies in Karten dar. Außerdem visualisierte die Forscherin einzelne historische Phasen, die räumliche Verteilung und die Chronologie der Keramik.

Ihre Arbeit zur Siedlung Thugga hatte auch handelsgeschichtliche Aspekte. Von Wrackfunden ist bekannt, dass auf römischen Handelsschiffen neben der eigentlichen Fracht auch Fein- und Kochkeramik mitgenommen wurde.

Ein weiteres Teil im archäologischen Puzzlespiel

Den Zusammenhang zwischen der Produktion technologisch hochwertiger Waren und dem Fernhandel zu rekonstruieren, ist allerdings ein sehr komplexes Puzzlespiel. Silvia Pollas Analyse der Verteilung von Keramikscherben um Thugga lieferte dafür ein neues Teil: „Die Dokumentation und Untersuchung von Beweisstücken auf der mikroregionalen Ebene kann das interund überregionale Bild der Wirtschaftsgeschichte ergänzen“, sagt sie.

Ihre Doktorarbeit half auch dabei, eine landwirtschaftliche Lehrmeinung der Antike zu überprüfen. Aus antiken Quellen wissen Historiker, dass es in Rom festgefügte Vorstellungen darüber gab, welche Stellen für die Errichtung von Bauernhöfen am meisten geeignet seien. „Am Fuß des Bergs, nach Süden schauend, an einem gesunden Ort“, sei die Ansiedlung günstig, empfahl etwa der römische Feldherr, Politiker und Geschichtsschreiber Marcus Porcius Cato in seinem Werk De Agri Cultura. Dachte man in den nordafrikanischen Provinzen genauso? 

Die Region war nicht bloß die „Kornkammer“ des Imperiums. Auf vielen Bauernhöfen rund um die Stadt Thugga wurde auch Olivenöl hergestellt. Polla untersuchte die Ortsdaten in digitalen Vektor- und Rasterdarstellungen. Tatsächlich fand sie heraus, dass eine statistisch signifikante Zahl von Bauernhöfen tief am Hang in Richtung Süden oder Südosten gebaut worden waren.

Roms langer Arm in die Provinz

Dies ist zwar noch keine Bestätigung, doch zumindest ein kleines Indiz dafür, dass die Lehrmeinung der römischen Hauptstadt auch in der Provinz Geltung besaß. „Außerdem erkennt man an dieser Analyse, dass sich die Gründe für die Siedlungsorte mit der Zeit verändern können“, sagt Silvia Polla. Auch Faktoren wie Verteidigungsfähigkeit, Gesundheit und Landwirtschaft besaßen Einfluss darauf, wo die Bauernhöfe errichtet wurden.

Neben antiken Siedlungen hat Polla in einem anderen archäo-informatischen Projekt die Straßen jener Zeit erforscht. Von 2006 bis 2008 arbeitete sie am Karman Center for Advanced Studies in the Humanities an der Universität Bern. Dort beschäftigte sie sich in einem Projekt von Professor Gerd Graßhoff mit der Rekonstruktion eines Straßennetzes in der römischen Provinz Lykien, dem heutigen Südwesten der Türkei.