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Die Freiheit der Presse in den Hinterzimmern der Macht: Wie Politiker, Pressesprecher und Journalisten aushandeln, was in der Zeitung steht

02.12.2008

Wenig Licht, viel Schatten: Die Kommunikation von Journalisten und Politikern im Berliner Regierungsviertel liegt oft im Dunkeln.

Wenig Licht, viel Schatten: Die Kommunikation von Journalisten und Politikern im Berliner Regierungsviertel liegt oft im Dunkeln.
Bildquelle: iStockphoto

Die Macht im Hinterzimmer: Bei einem „Kamingespräch“ erklärt die rot-grüne Politikprominenz den Journalisten ihre Vorhaben.

Die Macht im Hinterzimmer: Bei einem „Kamingespräch“ erklärt die rot-grüne Politikprominenz den Journalisten ihre Vorhaben.
Bildquelle: Ullstein Bild

Auf offener Bühne: Bundestagspräsident Norbert Lammert spricht in der Bundespressekonferenz, sagt aber nicht so viel wie in einem Hintergrundgespräch.

Auf offener Bühne: Bundestagspräsident Norbert Lammert spricht in der Bundespressekonferenz, sagt aber nicht so viel wie in einem Hintergrundgespräch.
Bildquelle: Deutscher Bundestag/Lichtblick/Achim Melde

Politik und Journalismus in Berlin, das ist großes Theater mit festen Rollen und exakter Choreographie. Das Thema jeder Vorstellung: Streit und Konflikt. Auf der Bühne stehen sich gegenüber: Minister, Parlamentarier, Pressesprecher auf der einen, Redakteure, Korrespondenten, Berichterstatter auf der anderen Seite – die Mächtigen und ihre Kontrolleure. Ihre Waffen: verdrehte Endlos-Sätze und provozierende Fragen. Jenseits des Scheinwerferlichts, auf der Probebühne, rücken Politiker, Pressesprecher und Journalisten jedoch zusammen. In den Hinterzimmern der Macht handeln sie aus, was in der Zeitung steht – und was besser nicht; geschützt durch Vertraulichkeit und Informalität. Sie verwenden eigene Codes, und es gilt eine strikte Hausordnung. Wer sich nicht daran hält, muss draußen bleiben. Die Wissenschaft wagt nur selten einen Blick hinter die Kulissen. Aber wie steht es um die Freiheit der Presse im Verborgenen?

Sie blicken ernst, sie schütteln Hände, sie nicken, sie schütteln wieder Hände, sie sprechen einen Satz in die Kameras und Mikrofone, sie verschwinden hinter Flügeltüren. Wenn Politiker sich treffen zu Gipfeln und Konferenzen, wenn sie die wichtigen Dinge entscheiden, dann sieht das immer gleich aus und hört sich immer gleich an. Nach Stunden kommen sie wieder heraus, sie sagen jetzt mehr Sätze und längere. Manchmal verirren sie sich im Nirgendwo zwischen Sprachregelung, parteiinterner Rücksichtnahme und Festlegungsangst. Journalisten warten, fangen die Wortungetüme ein, schreiben sie auf und versenden sie. Das ist ihre Aufgabe: Ihren Lesern, Hörern und Zuschauern berichten, was Politiker entscheiden; und wenn Politiker nichts entscheiden, dann wenigstens, was sie sagen; und wenn sie nichts sagen, dann wenigstens, wie sie so tun als ob. Doch hinter der Kulisse aus Gruppenfoto und Pressekonferenz, aus Protokoll und Inszenierung gibt es einen Raum, von dem die Leser normalerweise nichts erfahren.

Nur selten öffnet sich die Tür zu diesem Raum. Dirk Kurbjuweit vom Spiegel berichtet über einen EU-Gipfel und erlaubt einen kurzen Blick hinein: „Einmal gibt es an diesen beiden Tagen von Brüssel einen emotionalen Moment. Es ist strengstens verboten, darüber zu schreiben, weil es in einem Hintergrundgespräch mit der Bundeskanzlerin passiert ist, nachts um eins, als sie vom Abendessen mit ihren Kollegen kam. Da gibt es, selten genug, einen Ausbruch von Merkel, die nahezu feurig für den Vertrag von Lissabon, die Europäische Union und die repräsentative Demokratie plädiert. Es fällt das Wort Leidenschaft. Aber, psst, von diesem schönen Ausbruch darf niemand erfahren.“

Unter eins, zwei oder drei

Es ist die absolute Ausnahme, dass Leser überhaupt von der Existenz dieses Raumes erfahren, von Hintergrundgesprächen und Hintergrundkreisen. Nur wenn dort wirklich Brisantes geschieht, kann es sein, dass Journalisten das Gesetz des Schweigens brechen, das sie sich oft selbst auferlegt haben: Wenn Kurt Beck als SPDVorsitzender in einem solchen Rahmen darüber spricht, ob seine Partei in Hessen mit der Linkspartei zusammenarbeiten sollte, und das kurz vor der Bürgerschaftswahl in Hamburg, dann schafft es der Begriff „Hintergrundgespräch“ für einige Tage in die Zeitungen. Wenn eine Beraterin von Barack Obama ein Interview gibt, darin die Konkurrentin Hillary Clinton ein „Monster“ nennt und das im Nachhinein nur inoffiziell gesagt haben will, dann entbrennt eine öffentliche Diskussion über die Frage, wann und wie ein Politiker etwas „on the record“ oder „off the record“ sagen kann. Und wenn der französische Journalist Franz-Olivier Giesbert sich entscheidet, seine Karriere effektvoll zu beenden und alle Hintergrund-Informationen über Jacques Chirac, die er im Laufe seiner Karriere gesammelt hat, als Buch veröffentlicht, dann lässt sich nachlesen, wie viel Journalisten über Politiker wissen – und wie wenig sie darüber ihren Lesern mitteilen.

Doch meist bleibt der Raum streng geschützt, durch Vertraulichkeit, Geheimniskrämerei und Informalität. Es gibt einen eigenen Code, und es gilt eine strikte Hausordnung. Wer sich nicht daran hält, muss draußen bleiben. Journalisten, Pressesprecher und Politiker tauschen dort jene Informationen aus, die einerseits nicht oder nur eingeschränkt für die Öffentlichkeit bestimmt sind, andererseits aber sehr stark beeinflussen, wie und was veröffentlicht wird. Vor allem die Eliten aus Politik und Medien treffen sich häufig und regelmäßig zu Hintergrundgesprächen und in Hintergrundkreisen. Sie reden miteinander und versehen ihre Äußerungen mit der Bezeichnung „unter drei“ – dem Code für „vertraulich“. Er stammt aus der Satzung der Bundespressekonferenz, einem Verein von Hauptstadtjournalisten. In dem Statut heißt es: „Die Mitteilungen auf den Pressekonferenzen erfolgen unter 1. zu beliebiger Verwendung oder unter 2. zur Verwertung ohne Quelle und ohne Nennung des Auskunftgebenden oder unter 3. vertraulich.“ Die Informalität ist institutionalisiert, sie gehört zum Alltag des politischen Journalismus in Berlin.

Unerforschte Hinterzimmer

Die Wissenschaft nimmt zwar die Existenz des Raumes wahr, befasst sich aber nur selten mit ihm. Manchmal taucht er unter dem Begriff „politische Hinterbühne“ in der Literatur auf, geläufiger ist „Hinterzimmer“. Es gibt wenige theoretische Überlegungen zur informellen Kommunikation zwischen Politik und Medien und noch weniger empirische Untersuchungen. Denn Informalität entzieht sich häufig der Beobachtung, manchmal schirmt sie sich ab. Was sie effizient machen kann – Flexibilität, Vertraulichkeit, Nonkonformität – macht sie gleichzeitig schwer fassbar für Analyse und Einordnungen. Daher ist der Forschungsstand zur informellen politischen Kommunikation sehr überschaubar. Die Politologin Christiane Lesmeister schreibt: „Die informelle Kommunikation zwischen den Eliten aus Politik und Journalismus ist bisher weitgehend eine Black-Box in der Forschung.“

Informelle Schnittstellen zwischen Politik und Medien zu untersuchen, ist aber relevant – sowohl aus normativer Perspektive als auch aus funktionaler. Nur wer die informellen Schnittstellen zwischen Politik und Medien kennt und versteht, kann zu beurteilen versuchen, ob informelle politische Kommunikation dazu beiträgt oder verhindert, dass die Medien ihre öffentliche Aufgabe wahrnehmen, als „Verbindungs- und Kontrollorgan zwischen dem Volk und seinen gewählten Vertretern“ zu stehen, wie es das Bundesverfassungsgericht verlangt. Nehmen nicht Vertraulichkeit, informelle Absprachen und institutionalisierte Geheimniskrämerei der Presse ihr einziges Instrument, mit dem sie die Mächtigen kontrollieren kann, nämlich Öffentlichkeit? Ist gar die Freiheit der Presse in Gefahr wenn sich Journalisten in Hinterzimmer begeben?

„Wenn Journalisten Politiker zu vertraulichen Gesprächen einladen, dann sprechen sie hinter verschlossenen Türen mit denen, über die sie die Öffentlichkeit informieren sollen: ein Widerspruch“, schreibt Tissy Bruns vom Tagesspiegel. Andererseits dominiert in der Wissenschaft die Ansicht, dass sich zwischen Politik und Medien eine Tauschbeziehung etabliert hat, bei der „Information gegen Publizität – und umgekehrt – eingetauscht wird“, wie der Politologe Ulrich Sarcinelli schreibt, ein symbiotisches Verhältnis also. Wenn aber eine Information über eine informelle Schnittstelle weitergegeben wird, also nicht veröffentlicht werden darf, verliert sie dann nicht ihren Wert als Tauschobjekt, weil keine Publizität entsteht? Lässt sich die Funktionsweise informeller Schnittstellen mit der Annahme einer symbiotischen Tauschbeziehung überhaupt in Einklang bringen? Oder birgt nicht erst „die angemessene Dosierung an Vertraulichkeit“ erhebliche Effizienzchancen, wie Sarcinelli weiter schreibt.

Kuriose Kreise

Drei informelle Schnittstellen kennt die Wissenschaft: den Hintergrundkreis, das Hintergrundgespräch und die Indiskretion. Das Konzept von Hintergrundkreisen ist einfach: Da nur wenige Journalisten enge oder persönliche Kontakte zu hochrangigen Politikern haben, bündeln sie ihre Interessen. Sie laden abseits der Pflichttermine einen Spitzenpolitiker ein, manchmal nach Hause zu einem Journalisten ins Wohnzimmer. Die Kreise haben kuriose Namen und feste Mitglieder, die sie nach verschiedenen Kriterien auswählen: Die sozial-liberale „Gelbe Karte“ rekrutiert eher linke Journalisten; bei den „Millionären“ treffen sich Korrespondenten der auflagenstarken Regionalzeitungen. „Außenverteidiger“ nennt sich ein Kreis von Journalisten, die über Verteidigungspolitik berichten. Hintergrundgespräche wiederum sind gewissermaßen eine Über-Kategorie: Jedes Telefonat, jeder Gedankenaustausch auf einer Reise, jeder gemeinsame Kneipenabend von Politikern und Journalisten kann als Hintergrundgespräch gelten, jedenfalls wenn durch Absprache oder stilles Einverständnis geklärt ist, dass man vertraulich miteinander redet. In Befragungen gaben Politiker an, sie würden Hintergrundgespräche nur mit einzelnen Journalisten führen, nie mit einer Gruppe. Demnach sind Hintergrundgespräche exklusiv und vertraulich als Hintergrundkreise. In Hintergrundkreisen und -gesprächen erklären Politiker und ihre Sprecher im günstigsten Fall ihre Politik, erläutern komplizierte Gesetzesvorhaben, äußern sich offener – ohne Angst haben zu müssen, dass unbedacht Gesagtes sofort nach draußen dringt.

Leicht abgrenzen von den anderen Schnittstellen lässt sich die Indiskretion, auch bekannt als „Durchstecherei“ oder „Leck“. Hier gilt immer die „Unter-zwei“- Regel aus der Bundespressekonferenz: Ein Politiker oder ein Pressesprecher gibt Informationen weiter und will, dass sie veröffentlicht werden – nur ohne, dass der Name des Informanten auftaucht. In der Zeitung steht dann: „Aus gut unterrichteten Kreisen heißt es ...“ oder „Wie aus Regierungskreisen zu hören ist ...“ Hier lästern Politiker und Sprecher gerne über Parteifreunde, die sie offen nie kritisieren würden.

Den Politikern geht es dabei um Machtgewinn und Machterhalt. Mit Hintergrundinformationen ködern sie Journalisten und wollen sie zu möglichst loyalen Unterstützern machen. Manchmal hoffen sie auch auf Rat und wollen wissen, wie ein Thema bei den Journalisten ankommt. Journalisten wiederum sind auf der Jagd nach Exklusiv-Informationen, mit denen sie ihren eigenen Wert in der Redaktion und das Ansehen ihres Mediums steigern können. Sie wollen sich Kompliziertes erklären und Vermutungen bestätigen lassen. Dabei entwickeln sie ein ganz eigenes Verständnis davon, was „vertraulich“ eigentlich heißt: „Unter-Drei“-Informationen lassen sie oft in Kommentare und Reportagen einfließen.

Verhandelbare Regeln

Bisher dominiert in der Wissenschaft die Ansicht, dass Politiker, Pressesprecher und Journalisten stillschweigend davon ausgehen, dass in der informellen Kommunikation fast immer die „Unter-Drei“-Regel gilt, dass also eigentlich alles vertraulich ist. Eine aktuelle Befragung unter Bundespolitikern, unter den Sprechern hoher Verfassungsorgane wie der Bundesregierung und unter Hauptstadtkorrespondenten von Leitmedien deutet aber in eine andere Richtung. Demnach verhandeln die Akteure intensiv und jedes Mal neu, welche Regel nun gilt. Journalisten versuchen normalerweise möglichst viel „unter eins“ zu bekommen oder wenigstens „unter zwei“, weil sie solche Informationen direkt verwenden können. Politiker versuchen die Kontrolle über das Gesagte zu behalten, indem sie möglichst viel als „unter drei“ einstufen. Sowohl Politiker und Sprecher als auch Journalisten sehen die Verhandlungen über die Vertraulichkeitsstufe als Teil des professionellen und fairen Umgangs miteinander. Politiker müssen Journalisten kennen und wissen, dass sie für ein relevantes oder seriöses Medium arbeiten, bevor sie mit ihm informell sprechen. „Mit Super-Illu führe ich kein Hintergrundgespräch“, sagt ein befragter Politiker.

Wer sich nicht an die vereinbarte Vertraulichkeitsregel hält, muss damit rechnen, bestraft zu werden. Journalisten werden nicht mehr eingeladen zu Hintergrundgesprächen, ihre Anfragen werden nicht mehr bearbeitet, oder man füttert sie nur noch mit den offiziellen Sprachregelungen – abgeschnitten vom Informationsstrom. Die Härte der Sanktion hängt manchmal ab von der Schärfe der Kritik. „Das ist das Verlogene dabei: Die Bundeskanzlerin, oder wer auch immer, will ja eine gute Presse haben. Wenn man was Gutes aus einem Hintergrundgespräch schreibt, dann beschwert sich nie einer. Wenn aber jemand als sehr kritisch und negativ auffällt, dann gibt’s großen Ärger“, sagt ein befragter Journalist. Oft müssen die Journalisten erahnen und ausprobieren, wie weit sie gehen, wie viel sie berichten können. Manchmal reichen Politikern auch die drei Vertraulichkeitsregeln nicht: „Wenn die Bundeskanzlerin will, dass etwas wirklich nicht verwendet wird, dann sagt sie: Das ist jetzt aber ganz besonders drei. Oder: Das ist jetzt unter fünf “, sagt ein Journalist.

Die Verhandlungen über die Vertraulichkeitsregeln scheinen der Schlüssel zu sein, um die Funktionsweise informeller Schnittstellen zu verstehen. Sie sind der zentrale Mechanismus. Die Vertraulichkeitsverhandlungen setzen das symbiotische Tauschverhältnis ins Werk, von dem die Wissenschaft glaubt, dass es zwischen Politik und Medien besteht. Die Akteure verhandeln darüber, was veröffentlicht wird und was nicht – sie tauschen Informationen gegen Publizität; auch negative Publizität, wenn etwa über die Fehltritte eines Parteifreundes berichtet wird.

Kein Legitimationsdefizit

Die Freiheit der Presse ist in den Hinterzimmern nicht unbedingt bedroht, wenn es Vertraulichkeitsverhandlungen gibt. Zwar gilt Öffentlichkeit in der Demokratie als ein hohes Gut. Doch ist normativ auch ein gewisses Maß an Vertraulichkeit gewollt: Totaltransparenz würde zu kollektiver Konfusion und Irritation führen. Banales und Relevantes ergäbe ein undurchschaubares Durcheinander. Ein Überblick über die politischen Angebote wäre dann kaum mehr möglich. Auch deswegen werden Koalitionsverhandlungen hinter verschlossenen Türen geführt, auch deswegen tagen Vermittlungsausschüsse unter Ausschluss der Öffentlichkeit, auch deswegen wird der Bundesregierung durch Urteil des Bundesverfassungsgerichtes ein „Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung“ zugebilligt – ein Diskretionsraum, der vor der Einsicht des Parlaments und der Öffentlichkeit geschützt ist. Informalität an sich bedeutet also noch kein Legitimationsdefizit, selbst dann, wenn sie mit Vertraulichkeit einhergeht.

Auf den ersten Blick erscheint es widersinnig, dieselben Maßstäbe für Journalisten anzulegen. Schließlich sind sie die Hersteller von Öffentlichkeit. Beraubt man sie nicht ihres wichtigsten Instruments, wenn man in die Herstellung von Öffentlichkeit durch Verhandlung eingreift? Ist es zulässig, dass sich ausgerechnet Politiker und Sprecher, die eigentlich beobachtet und kontrolliert werden sollen, an den Verhandlungen beteiligen?

Doch selbst den Herstellern von Öffentlichkeit kann aus normativer Sicht Vertraulichkeit nicht gänzlich verboten werden, jedenfalls nicht jede Form von Vertraulichkeit. Das Recht auf Zeugnisverweigerung ist verfassungsmäßig garantiert und der Informantenschutz normativ geboten. „Die vereinbarte Vertraulichkeit ist grundsätzlich zu wahren“, heißt es im Pressekodex, also den publizistischen Grundsätzen, die die Berufsethik der Presse festhalten. Journalisten können ihre Aufgabe als Verbindungs- und Kontrollorgan nur wahrnehmen, wenn sie an Informationen gelangen, die aus abgeschirmten, verborgenen Räumen stammen. Totaltransparenz würde hier dazu führen, dass alle Informationsquellen versiegen.

Es kommt allerdings auf die Form der Vertraulichkeit an. Dient sie dem Zweck, eine relevantere Information an die Öffentlichkeit zu bringen, als nur den Namen der Quelle? Dann kann es legitim und nötig sein, informell zu kommunizieren und diskrete Absprachen zu treffen. Das erfordert eine gewissenhafte Abwägung und Prüfung. Beim Aufdecken offensichtlicher Skandale fällt die Abwägung weitaus leichter als im alltäglichen Hauptstadtjournalismus. Es tauchen schließlich nicht dauernd Geheimkonten zur Parteifinanzierung oder falsche Abrechnungen von Flugmeilen auf – und selbst dann ist das Ergebnis solcher Abwägungen nicht immer eindeutig.

Eine Frage des Ethos

In den Redaktionen finden Informationen aus Hintergrundkreisen und Hintergrundgesprächen häufig ihren Weg in die Kommentare von Journalisten. „Dort wird nicht nur bewertet, was im Bericht auf der Seite daneben steht, sondern der Kommentar verarbeitet zusätzliche Hintergrundinformationen“, schreibt der Sozialwissenschaftler Jochen Hoffmann. Die Trennung von Bericht und Meinung wird teilweise aufgehoben. Hier wird es problematisch: Übernimmt der Journalist die Einschätzung eines Politikers und gibt sie als seine eigene aus, ohne darauf hinzuweisen? Oder schützt er seine Quelle, indem er sich selbst zum Vater des Gedanken macht?

Die Existenz von Vertraulichkeitsverhandlungen allein lässt noch keine Bewertung zu. Sie kann einerseits zu illegitimen Absprachen führen und zu Kumpanei. Sie kann andererseits auch Ausdruck der verschiedenen Interessen der Akteure sein, Ausdruck des Ringens der Journalisten um möglichst viel Öffentlichkeit. Die Aussagen aller Befragten, nicht nur die der Journalisten, deuten aber darauf hin, dass nur wenige Journalisten ihre Position in den Vertraulichkeitsverhandlungen leichtfertig aufgeben. In der Regel versuchen sie, möglichst viele Informationen „unter eins“ oder wenigstens „unter zwei“ zu bekommen. Letztlich hängt es vom Berufsethos des einzelnen Journalisten ab, ob er sich instrumentalisieren lässt; von seiner Urteilskraft, ob er erkennt, wann ein Thema so relevant ist, dass er darüber schreiben muss; von seinem Geschick, sich in Verhandlungen durchzusetzen, auch in den Hinterzimmern der Macht. „Ich finde, dass der Unterschied zwischen meinem Wissen und dem, was der Leser erfahren darf, nicht zu groß sein darf. Wenn ich alles weiß, der Leser aber wenig, dann habe ich meinen Job nicht richtig gemacht“, sagt ein befragter Journalist.

Weder aus demokratietheoretischer noch aus funktionaler Perspektive gibt es eine sinnvolle Alternative zur Kommunikation über informelle Schnittstellen. Nur wenn Journalisten an Informationen aus den geschützten Räumen der Informalität gelangen, besteht überhaupt die Chance, dass die Öffentlichkeit von ihnen erfährt. Kommunizierten Politik und Medien ausschließlich auf offiziellem Wege, würden sich Politiker und Sprecher, auch die offenen und auskunftsbereiten unter ihnen, vermutlich noch strikter an Sprachregelungen halten. Verlautbarungen erzeugen Verlautbarungsjournalismus, wenn keine anderen Quellen zur Verfügung stehen. Daher müssen Journalisten in die Hinterzimmer gehen – als dreiste Besucher, die möglichst viel mitzunehmen gedenken.