Springe direkt zu Inhalt

Von der Freiheit von den Regeln

Wie Leidenschaft in der Oper inszeniert wird

02.12.2008

„Dido and Aeneas“, eine Choreographie von Sasha Waltz, Musik von Henry Purcell, Staatsoper Berlin 2005. Clementine Deluy, Michal Mualem, Aurore Ugolin.

„Dido and Aeneas“, eine Choreographie von Sasha Waltz, Musik von Henry Purcell, Staatsoper Berlin 2005. Clementine Deluy, Michal Mualem, Aurore Ugolin.
Bildquelle: Sebastian Bolesch

Oper – das ist die Aufführung großer Gefühle. Musik und Inszenierung transportieren Trauer, Schmerz, Eifersucht oder Liebesglück. Doch nach welchen Regeln übertragen sich die dargestellten Emotionen auf das Publikum? Seit dem 17. Jahrhundert beschäftigten sich Musiktheoretiker mit dieser Frage. Die von ihnen entwickelten Affekttheorien erwiesen sich jedoch als nicht auf jede Aufführungssituation anwendbar. Denn Emotionen übertragen sich in Oper oder Theater nicht zwangsläufig; sie sind von der Individualität der Darsteller und der Zuschauer abhängig. Heute machen sich Theaterschaffende dieses Wechselspiel von Norm und Grenzüberschreitung in ihrer Arbeit zunutze. Denn erst im Zusammenspiel von Regel und Freiheit wird die Inszenierung der Gefühle wirksam.

Die Frage, „ob, warum und in welcher Weise die Musik eine Kraft hat, die Seelen der Menschen zu bewegen“, beschäftigte nicht nur den Universalgelehrten Athanasius Kircher und seine Musurgia Universalis von 1650. Die Erforschung der musikalischen und theatralen Darstellung von Leidenschaft und Emotion und deren Übertragung auf die Zuhörer ist das zentrale Thema der um 1600 neu entstehenden Gattung Oper. Schon die ersten Überlegungen über die neue Art des Komponierens erweisen sich als Formulierungen einer expliziten Wirkungsästhetik, die die Geschichte der Oper bis heute begleitet. Denn die Tatsache, dass sich Gemütsbewegungen von den Akteuren zum Rezipienten übertragen, gehört zu den bestimmenden Momenten der Aufführungspraxis in der Oper.

Physiologische Erklärungen

Doch mit welchen physiologischen Annahmen erklärte man sich das Zustandekommen dieser Gefühlsübertragung auf den Zuhörer? Das wissenschaftseuphorische 17. Jahrhundert gewährt den Fragen nach der Übertragbarkeit von Affekten eine besondere Aufmerksamkeit. Im Fahrwasser der Lust am Experiment und der Wissenschaft werden alle Kenntnisse über die Physiologie des Menschen zusammengebracht. So versucht man die Frage nach der Funktionsweise der emotionalen Regungen des Menschen sowie der Übertragung eines (zum Beispiel instrumental oder vokal) repräsentierten Gefühls von einem Darsteller auf seinen Beobachter oder Zuhörer zu beantworten.

In der Verschränkung zweier theoretischer Konzepte – einerseits die Humoralpathologie (Säftelehre) und Temperamentenlehre, andererseits die Theorie der Resonanz- oder Sympathiesaiten – wird ein physikalisches Experiment auf ein physiologisches Erklärungsmodell übertragen. Dies begründet jene Affekttheorie in Bewegung, die auch für die musikalische Kompositionspraxis zentral werden sollte. Anhand der Theoriebildung des 17. Jahrhunderts und des physiologisch-physikalischen Wissens lässt sich also ein Regel- und Wirkmechanismus für die Übertragung von Gefühlen rekonstruieren, von dem angenommen wurde, dass er den Komponisten die Gewähr dafür gäbe, bei richtiger Anwendung der Mittel die jeweils gewünschten Effekte zu erzielen.

Es scheint nun, als würde sich die Euphorie um die Entschlüsselung der Natur des Menschen und seines Verhaltens heute unter neuen, intensivierten Vorzeichen wiederholen. Kaum eine Woche, in der nicht über neue medizinische Erkenntnisse berichtet würde. Es wird ein neuer Glaube propagiert und praktiziert, mit Hilfe der „harten“ Wissenschaften (etwa Genetik, Hirnforschung, Neurophysiologie) alles erklären zu können – eine Unerschütterlichkeit im Glauben an die Wissenschaft, die auch das 17. Jahrhundert kennzeichnete. Wie kommt es, dass in diesem ähnlich wissenschaftseuphorischen Klima die alte Form der Barockoper neue Triumphe feiert? Sind wir als heutiges Publikum in der Lage, das Regelwerk barocker Gefühlsübertragung besser nachzuvollziehen?

Der Einfluss des Unberechenbaren

Zunächst ist offensichtlich, dass jede Form von Theater oder Oper von einer Vielzahl von Skripten (Textbuch, Partitur) bestimmt ist. Gleichzeitig ist Bühnenarbeit in ein Regelungssystem von Strategien eingepasst, um eine bestimmte Wirkung zu erzeugen und Unwägbarkeiten zu kontrollieren. Insofern mag die Opernbühne auf den ersten Blick als regelhaftes Experimentierfeld für die wissenschaftlich inspirierte Mechanik der Gefühlsübertragung dienen. Sobald man jedoch die konkrete einmalige Aufführung in den Blick nimmt, stellt sich die Frage nach dem Einfluss des Unberechenbaren und des Unvorhersehbaren. Jedem Versuch einer Vereinheitlichung erscheint die Basis zwangsläufig entzogen, da sich jede Gefühlsübertragung erst in der einmaligen und unwiederholbaren Situation der Aufführung ereignet.

Widersprüche in der Theorie

So musste bereits der Musiktheoretiker Kircher einräumen, dass der Erfolg der Affektübertragung subjektiv durchaus verschieden ausfallen kann. Er hatte beobachtet, dass ein Mensch je nach Temperamentstruktur unterschiedlich oder gar nicht auf eine Gefühlsdarstellung reagierte. Ebenso entscheide auch das Klima eines Landes oder die Beschaffenheit des Raums über die spezifische Wirkung. Besonders zu schaffen machte dem Theoretiker aber die Unberechenbarkeit der beiden Hauptverantwortlichen für den Prozess der Affektübertragung: Darsteller und Zuhörer. Kircher gibt in seinen Schriften selbst Beispiele dafür, wie auch die bestgemeinte Regelhaftigkeit einer Affektenlehre durch die Realität auf der Bühne zunichte gemacht wird. Wie kann angesichts solcher Zustände eine Affektenlehre greifen?

Für die Auflösung dieses Widerspruchs gilt es, sich die Situation von der entgegengesetzten Seite her zu vergegenwärtigen: Es ist nur die Realität einer Aufführung, die in der Lage ist, eine Gefühlsregung auszudrücken und zu übermitteln. Eine Affektübermittlung findet nur im Moment der Aufführung statt. Die Widersprüche in der Theorie deuten auf jene Qualität der Übertragung hin, die als eine performative zu beschreiben wäre – bei jeder Übertragung eines Affekts handelt es sich um eine Performance mit ungesichertem und damit unplanbarem Verlauf und Ausgang.

Die Freiheit der Akteure

Diesem Wissen um die Offenheit des Übertragungsgeschehens trugen musiktheatrale Praktiker des 17. Jahrhunderts ihrerseits Rechnung. Claudio Monteverdi etwa gibt mit dem „Lamento della Ninfa“ aus seinem 8. Madrigalbuch von 1638 zu erkennen, dass ihm die Bedeutung der individuellen Darstellung für die Entstehung des gewünschten Effekts durchaus bewusst ist. Er überträgt die Tempogestaltung ganz der Sängerin der Nymphe. In der Überschrift zum Notendruck formuliert Monteverdi: „Die drei Stimmen (der Rahmenerzählung) singen im festen, mit der Hand geschlagenen (also dirigierten, unveränderlichen) Tempo; […] die Klage der Nymphe soll im Zeitmaß ihres Seelenzustandes und nicht im festen Tempo gesungen werden.“ Hier offenbart sich ein Wissen um die Unberechenbarkeit des entscheidenden Moments der Übertragung. Das Unvorhersehbare der Affektübertragung ist als Lücke und Lizenz, quasi als Spielraum, in die Partitur eingelassen. Die Klage einer Nymphe singt sich eben nicht in festem Tempo, sondern im Zeitmaß ihres Seelenzustands.

Parallelen und Kontraste

Diese Erkenntnis hat sich aber nicht nur in historische Partituren eingeschrieben, sondern lässt sich auch als Antrieb gegenwärtiger Theaterpraxis identifizieren, sich immer wieder mit den Szenarien des Gefühlsausdrucks vergangener Zeiten auseinanderzusetzen und neue Inszenierungen anzubieten. Wie aber gehen die Inszenierungen von heute mit den stark formalisierten musikalischen Mitteln der Oper des 17. Jahrhunderts um?

Die frühe Oper des 17. Jahrhunderts zeichnet sich dadurch aus, dass sie einen deklamatorischen Stil des Sprechens in Musik überführte und damit eine gleichsam endlose Kette von Rezitativen produzierte. Vor allem Claudio Monteverdi ist es zu verdanken, dass er diese Abfolge von Rezitativen durch andere Formen anreicherte. Damit entwarf er eine musiktheatrale Form, die aus der Abfolge von Rezitativen und sogenannten geschlossenen Formen – grob gesprochen: Arien – bestand. Eine Art Vermischung beider Stile – also des eher rezitativischen mit dem der Arie – findet sich in der ersten großen Szene von Nero und Poppea in Monteverdis 1642 in Venedig uraufgeführter Oper L’Incoronazione di Poppea: Der römische Kaiser Nero hat soeben eine Liebesnacht mit seiner nicht standesgemäßen Geliebten Poppea verbracht, die er zur Kaiserin machen möchte. Dafür muss er aber zuvor seine Gattin Ottavia verstoßen. In der betreffenden Szene versichern Nero und Poppea sich ihrer Liebe, wenngleich Poppea Zweifel aufgrund ihres Standes äußert, von Nero tatsächlich erwählt zu sein. Nach einem auch musikalisch reichen Austausch der Argumente nehmen der Kaiser und seine Geliebte voneinander Abschied, wofür Monteverdi eine ebenso schöne wie formelhaft wiederholte Abschiedssequenz geschrieben hat. Beide wiederholen mehrfach „addio“ sowie den Namen des jeweils anderen.

Diese durch die Wiederholungsstruktur der Kadenzfloskeln sehr formalisiert wirkende musikalische Abschiedsgeste hat Regisseur Klaus Michael Grüber in seiner Inszenierung im Jahr 1999 dazu animiert, auch seine beiden Protagonistinnen in ihren Körperbewegungen zu synchronisieren. In der Aufführung in Aix-en-Provence verharren Mireille Delunsch als Poppea und Anne Sofie von Otter als Nero wie zwei Statuen in annähernder S-Kurve nahezu unbeweglich in einiger Distanz. Kontakt ist nur über Blicke und Gesten möglich, nicht aber durch Berührung. Nur die Hände und Arme bewegen sich in einer tänzerisch gewundenen Pose aufeinander zu und strecken sich in einem Wechselspiel von Verführung und Anziehung nacheinander aus. Fast für die gesamte Dauer der acht „addios“ bleiben sie in dieser Pose.

In größtmöglichem musikalischen wie szenischen Kontrast dazu eröffnet Poppea nach dem Abgang Neros eine neue, vielleicht ihre eigentliche, bis dahin unterdrückte Gefühlslage. Sie demonstriert ihre Hoffnung auf gesellschaftlichen Aufstieg und eine manisch beschworene Selbstsicherheit, dass sie mit Hilfe Amors und Fortunas ihr Ziel auch erreichen wird. In der Inszenierung von Grüber kommt es hier zu einer Art Gefühlsausbruch mit Hilfe eines Mittels, das bei Monteverdi und der Darstellungspraxis des 17. Jahrhunderts kein Vorbild hat. Jedoch ist es seit dem frühen 19. Jahrhundert für jede unkontrolliert ausbrechende Emotion im Bildgedächtnis verankert. Gemeint ist das Lösen der Haare als Ausbruch der dargestellten Figur aus dem Korsett der Frisur.

Als wollte die Inszenierung diesen unkontrolliert scheinenden Affekt-Ausbruch Poppeas im Finale wieder ins Choreographische zurückführen, wirkt das berühmte Schlussduett „Pur ti miro“ wie eine abgezirkelte Bewegungsstudie. In diesem Duett singen Poppea und Nero aufeinander zu, aber im Prinzip doch musikalisch aneinander vorbei und treffen sich – im Einklang – nur ganz selten. Entsprechend der Ambivalenz dieser gefühlten Nähe und Distanz, die man dieser Komposition zusprechen kann, sind die Darsteller auch choreographiert. Die scharf aufeinander abgezirkelten Gesangsphrasen werden in Wege durch den Raum übersetzt; beide halten räumlich die Spannung der Distanz, die die Musik ihnen durch zahlreiche Vorhalts-Dissonanzen in die Stimmen legt. Die beiden Stimmen suchen sich zu umschlingen, zu vereinigen, bis sie mit dem letzten Ton endlich tatsächlich zu einer Stimme, räumlich, zumindest optisch hintereinander stehend, zu einer Figur vereinigt und verschmolzen sein werden.

Das Regelwerk der Oper

Dieses Verfahren der Überführung der strengen Form musikalischer Affektgestaltung in Bewegungsmuster kann noch intensiviert werden, wenn sich Choreographen Opern dieser Zeit annehmen. So geschehen in der Inszenierung von Henry Purcells Opernfragment Dido and Aeneas von 1689 durch die Choreographin Sasha Waltz 2005 an der Berliner Staatsoper Unter den Linden. Gleich in der ersten Arie der Dido, „Ah Belinda“, lassen sich weitere Modalitäten für die Überführung der musikalischen Form in eine choreographische nachvollziehen. In dieser Arie, in der Dido ihren Zwiespalt zwischen dem Treue-Schwur, den sie ihrem verstorbenen Mann gegeben hat, und der entbrannten Liebe zu Aeneas Ausdruck verleiht, erscheint Dido auf der Bühne der Staatsoper in dreierlei Gestalt: Körper und Stimme leiht die Sängerin Aurore Ugolin, als zwei weitere Körper erscheinen die Tänzerinnen Clementine Deluy und Michal Mualem.

Eines der faszinierendsten Momente an Sasha Waltz’ Arbeit ist, dass Sänger und Tänzer derart miteinander verschmelzen, dass häufig nicht oder erst auf den zweiten Blick erkennbar ist, wer wer ist oder wer was ist. Und doch – bei aller Verschmelzung – ist es die unterschiedliche Beschaffenheit von Stimmen und Körpern, die die Individualität der Darstellerinnen zum Vorschein und zum Klingen bringen. Trotz oder gerade wegen der Versuche, die phänomenale Leiblichkeit der Darstellerinnen in ein choreographiertes Kollektiv zu überführen, wandert die Wahrnehmung des Zuschauers immer hin und her. Einerseits ist da die choreographierte, verschmolzene Trias von Sängerin und Tänzerinnen, das Dreier-Kollektiv, andererseits die immer wieder zum Vorschein kommende Differenz der Körperlichkeit in Statur, Haltung und Bewegung sowie der Stimmlichkeit. Es ist gerade dieses Wechselspiel von kollektivem, geordneten Regelkanon und überschreitender Individualität, die für den besonderen Reiz dieser Szene wie der gesamten Aufführung verantwortlich zeichnet.

Dieses Doppelte des Affektausdrucks, die Etablierung und Wahrung einer Regel bei gleichzeitiger Überschreitung, prägt im Übrigen auch schon die Vertonung Purcells. Ähnliches, wie im Falle Monteverdis formuliert wurde, dass nämlich die Erlaubnis und Freiheit zur Regelüberschreitung sogar Eingang in die Partitur gefunden hat, lässt sich auch über Purcells Vertonung der Arie „Ah Belinda“ sagen.

Auffällig an dieser Arie ist die Gleichzeitigkeit zweier unterschiedlicher Gestaltungsebenen in Gesang einerseits und instrumentaler Begleitung andererseits. Der Bass folgt einer klar und streng formalisierten Wiederholungsstruktur: eine viertaktige Phrase, die insgesamt 16 Mal wiederholt wird. Diese Phrase kann als Chaconne, also als einer der sogenannten Tanzbässe, identifiziert werden. Hauptcharakteristikum der Bass-Chaconne ist die Spannung zur Oberstimme. Das reizvolle Wechselspiel entsteht aus der streng musikalischen Form des instrumentalen Basses und der gesungenen Oberstimme, die innerhalb dieses Gerüsts rhythmisch und melodisch sehr frei gesetzt sein kann. Dies kann sich – wie hier bei „Ah Belinda“ – in einer Gesangsstimme manifestieren, die aus unregelmäßigen, unterbrochenen und der sprachlichen Deklamation nahe stehenden, einzelnen kurzen Motiven besteht, darunter auch die bekannten sogenannten Seufzer, natürlich vor allem auf das Wort „A-ah“.

Stellt die musikalische Ebene zwischen instrumentalem Bass und Sängerin schon eine Spannung von Regel und Überschreitung dar, so fügt Sasha Waltz auf der Ebene der Sängerin durch ihre Choreographie noch eine weitere Spannung hinzu: Sie lässt die singende Dido gerade zu ihren unregelmäßig platzierten „Ahs“ wiederholt eine formalisiert strenge Armbewegung ausführen, in der der rechte Arm angewinkelt in einem Bogen zur Seite geführt wird. Der in der Gesangslinie beschworene subjektive Gefühlsausbruch wird damit durch die Bewegung choreographisch überformt und erhält durch die regelhafte Armdrehung einen starken Kontrast.

Wechselspiel von Regel und Lizenz

Die Gegenüberstellung der Theorie des 17. Jahrhunderts und der Aufführungspraktiken der Gegenwart hat gezeigt, dass sich im Wechselspiel von Regel und Überschreitung eine Verbindung über die Zeiten hinweg erkennen lässt. Die Spannung zwischen Formalisierung einerseits und Lizenz, Ausbruch und Freiheit andererseits, zwischen dem physiologisch begründeten Regel- und Wirkmechanismus einerseits und der Überschreitung durch die je individuellen Körper und Stimmen der Darstellung auf der anderen Seite, die als grundlegend für Theorien der Affektübertragung wie für Kompositionen des 17. Jahrhunderts beschrieben wurde, fordert heutige Aufführungen geradezu heraus, diese Spannung auf vielen Ebenen der Darstellung zu realisieren. Gegenwärtige Auseinandersetzungen mit den Affektszenarien des 17. Jahrhunderts sind offenbar genau daran interessiert, die scheinbaren Gültigkeiten im Wissen um die Beschaffenheit des Menschen immer wieder neu zu hinterfragen und herauszufordern. Intensität der Gefühlsdarstellung und -übertragung stellt sich insbesondere dann ein, wenn der Moment provoziert wird, in dem die Aufführung die Regel (die Strategien der Inszenierung) überschreitet. Den Zuschauern und Zuhörern ermöglicht dies neue Anregungen im schillernden Feld von Regel und Regelüberschreitung, Norm und Freiheit, Distanz und Nähe, Historizität und Aktualität. Es ist genau dieses Wechselspiel von behaupteter oder inszenierter Regel und der Lizenz, diese zu überschreiten, die sowohl die Theoretiker und Komponisten des 17. Jahrhunderts als auch die Theaterschaffenden der Gegenwart an den Affekten fasziniert und die die Oper immer und immer wieder als ganz besonderen Ort großer Gefühle auszeichnet.