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Erkenntnisse aus der Emotionsforschung in Stichpunkten.

Kurz-fundiert

26.06.2008

Emotionen beherrschen Körper, Geist und Gedanken.

Emotionen beherrschen Körper, Geist und Gedanken.
Bildquelle: iStockphoto, Stephen Morris

Gefühle lassen unser Herz schneller schlagen, sie lassen die Augen feucht und die Kehle trocken werden, und sie lassen sich nicht abschalten – außer bei einigen Unfallopfern, deren Gehirn beschädigt ist. Emotionen beherrschen Körper, Geist und Gedanken –und die letzten drei Seiten in diesem Heft.

Woher stammt das Wort Emotion?

Eine bewegende Angelegenheit ist die Sache mit den Emotionen. Zwar übersetzt der „Duden“ das Wort „Emotion“ trocken mit „Gefühlszustand“ oder „seelischer Erregung“. Doch stammt es aus dem Französischen und seine ursprüngliche Bedeutung ist im wahrsten Sinne des Wortes bewegt. Dem gleich bedeutenden „émotion“ entlehnt, das wiederum zu „émouvoir“ für „bewegen“ und „erregen“ gehört, stammt das Wort aus dem Lateinischen: „Emovere“ bedeutet „herausbewegen“ oder „emporwühlen“.

Was ist die Definition des Wortes Gefühl?

Mit Gefühlen wie der „Liebe der Geschlechter“ befasst sich schon die französische „Encyclopédie“ aus dem 18. Jahrhundert, an der Diderot, d’Alembert und de Jaucourt gearbeitet haben. Dort heißt es poetisch: „Die Liebe ist, wo immer sie auftritt, stets die Gebieterin. Sie bildet die Seele, das Herz & den Geist, je nach ihrer Art.“ Zwar gebe es „nur eine Art von Liebe, aber tausend verschiedene Kopien von ihr“. Die wahre Liebe sei äußerst selten. „Damit verhält es sich wie mit den Geisteserscheinungen: Alle Welt spricht davon, aber nur wenige haben welche gesehen.“ Konkreter wird da der Brockhaus knapp hundertfünfzig Jahre später. Die Ausgabe von 1894 weiß zu berichten: „In der Psychologie bezeichnet Gefühl im weiteren Sinne des Wortes unter den inneren Zuständen des Bewusstseins den leidenden Anteil derselben im Gegensatz zum Wollen, Denken, Anschauen und Einbilden als dem thätigen Anteil.“

Heute wird Gefühl meist allgemein als psychische Befindlichkeit definiert, häufig als Gegensatz zur gegenständlichen Wahrnehmung. Allerdings gehen fast alle Definitionen auf die Schwierigkeit ein, den Begriff zu fassen – zu vielschichtig, zu uneinheitlich. Jedoch gilt das Gefühl sowohl in der Psychologie als auch in der Philosophie als Fundament des menschlichen Seelenlebens, das einen Charakter tiefer zu formen vermag als Verstand und Wille. Auch verweisen viele Autoren darauf, wie stark Gefühle auf die körperlichen Funktionen einwirken können: Herzklopfen, gerötete Haut, Magenschmerzen.

Dürfen Politiker Gefühle zeigen?

Die Politik ist ungerecht, vor allem gegenüber Frauen. Politikerinnen wird eine Gefühlsregung deutlich öfter negativ ausgelegt als Männern. Die zwei häufigsten Vorwürfe lauten Kalkül und Schwäche. Als Hillary Clinton im Vorwahlkampf in New Hampshire Tränen in den Augen hatte und über ihre Belastung sprach, interpretierten das viele Kommentatoren als „Stunt“, um weibliche Wähler hinter sich zu scharen – also als Kalkül.

Gerhard Schröder wiederum warf seiner Amtsnachfolgerin Angela Merkel vor, in ihrer Außen- und Menschrechtspolitik gegenüber China und Russland „zu emotional“ zu agieren. Da schwang mit, dass die Frau sich zu sehr von ihren Gefühlen leiten lasse – eine Schwäche. Schröder wiederum konnte im Wahlkampf 2005 einiges an Boden gut machen, nachdem er im Fernsehduell gegen Merkel seiner Frau Doris ein gefühliges Liebesgeständnis dargebracht hatte. Als sich allerdings im französischen Präsidentschaftswahlkampf die sozialistische Bewerberin Ségolène Royal wütend zeigte über die Benachteiligung behinderter Kinder, wurde wieder diskutiert, ob das angemessen gewesen sei. Für den Wahlsieg hat es jedenfalls weder bei Schröder noch bei Royal gereicht.

Wann und warum fühlen wir Neid?

Das Experiment war eindeutig: Vier Probanden spielen ein Glücksspiel am Computer, sie alle gewinnen Geld, allerdings unterschiedlich viel. Die Regeln lauten: Die Probanden sind durch Sichtblenden getrennt, von den anderen Mitspielern wissen sie nur, wie viel Geld die bereits gewonnen haben. Sonst erfahren sie nichts voneinander. Am Schluss kann jeder nach Hause gehen und sein Geld mitnehmen. Er kann aber auch den Gewinn der anderen reduzieren, anonym und per Mausklick.

25 Pence kostet es, ein Pfund bei jemand anderen zu vernichten. Durchgeführt wurde das Experiment an der britischen Warwick Universität. Das Ergebnis: Zwei Drittel der Kandidaten vernichteten Kapital anderer Mitspieler. Wer beim Glücksspiel besonders gut abschnitt, der wurde besonders oft Opfer der Attacken. Die Forscher folgerten daraus: Neid liegt offenbar in der Natur des Menschen. Rund um den Globus gibt es das Gefühl. Die Wissenschaft tappt bei der Neidforschung zwar noch weitestgehend im Dunkeln, doch traut sie sich einige starke Thesen zu: Weil das Gehirn immerzu vergleiche – warm, kalt; hell, dunkel; gut, schlecht – arbeite es auch im sozialen Leben so. Ständig vergleiche man sich mit anderen und zieht so Rückschlüsse für das Selbstbild. Wenn wir Schwächen im Vergleich zu anderen erkennen, gerät das Selbstbild in Gefahr. Bei Kindern löst das häufig unmittelbare Reaktionen aus, bei Erwachsenen bleibt das Gefühl häufig eher unter der Oberfläche.

Wann und warum empfinden wir Scham?

Die Neigung, sich zu schämen ist, wie die meisten Gefühle, biologisch verankert und erfüllt einen Zweck. Sie helfen dem Individuum, sich in seiner Umwelt und in seinem sozialen Leben so zu positionieren, dass es dazugehört. Außenseiter haben es evolutionär gesehen oft schwer, sich durchzusetzen. Was sich allerdings ständig ändert, sind die Schamgrenzen, sie unterscheiden sich von Kultur zu Kultur. In Japan beispielsweise schämen sich diejenigen, denen es nicht gelingt, die in sie gesetzten Erwartungen zu erfüllen – sei es am Arbeitsplatz oder in der Schule. So lässt sich die hohe Selbstmordrate dort erklären: Leistungsschwäche als Grund, sich zu schämen. In westlichen Kulturen gilt immer weniger die Nacktheit als schamhaft, sondern mehr und mehr der vermeintlich mangelhafte Körper, der zu dick, zu unsportlich oder zu unproportional geformt ist: körperliche Vielfalt als Grund, sich zu schämen.

Wo entstehen Gefühle?

Eine Karte des menschlichen Gehirns zeichnen, das ist für die moderne Wissenschaft kein Problem. Mit bildgebenden Verfahren kann sie zeigen, welches Hirnareal wann und unter welchen Bedingungen aktiv wird. Diese Bilder legen nahe, dass Emotionen keineswegs nur im sogenannten Limbischen System entstehen, den vielfach verzweigten Strukturen im Gehirn, sondern dass sie je nach Situation regelrecht zusammengebaut werden – und dass dabei ganz verschiedene Hirnareale flexibel eine Rolle spielen. Wichtig ist hierfür vor allem der präfrontale Kortex, der direkt hinter der Stirn liegt. Dieser Teil des Hirns war eines der am stärksten wachsenden und sich verändernden Teile als sich das Tier zum Menschen entwickelte. Das sogenannte Stirnhirn ist an fast allen Planungs- und Steuerungsaktionen beteiligt. Wer an diesem präfrontalen Kortex verletzt ist, der verändert sich mitunter vom liebevollen Empathen zu einem aggressiven Chaoten. Untersuchungen mit Unfallopfern, deren Kortex verletzt war, illustrieren die Bedeutung dieses Gefühlszentrums. Einige waren zu keinerlei Entscheidung mehr fähig – und zwar nicht, weil ihnen die Fähigkeit fehlte, Informationen zu verarbeiten, sondern sie emotional zu bewerten.

Gefühlsregungen im Mutterleib: Können ungeborene Kinder weinen?

Ein amerikanisch-australisches Forscherteam hat Föten untersucht von Frauen in der 28. Schwangerschaftswoche. Per Ultraschall verfolgten die Wissenschaftler, wie die Kinder auf Reizungen durch kurze tiefe Töne reagierten. Das Ergebnis: Die ungeborenen Kinder zeigten genau das gleiche Verhaltensmuster wie Neugeborene, wenn sie weinen. Sie öffneten den Mund und senkten die Zunge ab – so als würden sie ausatmen. Anschließend machten sie Bewegungen, die tiefen Atemzügen ähnelten, um sich dann wieder zu beruhigen. Es scheint, als würde sich das Weinverhalten von Kleinkindern schon vor der Geburt entwickeln.