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Private Kälte, öffentliches Gefühl

Der Film „Triumph des Willens“ und die kinematografische Bewegung

12.06.2008

Der Film „Triumph des Willens“ und die kinematografische Bewegung.

Der Film „Triumph des Willens“ und die kinematografische Bewegung.
Bildquelle: ullsteinbild

Die Regisserin Riefenstahl ist bis heute zu Recht umstritten – zu leicht stellte sie ihr Schaffen in die Dienste der Nationalsozialisten.

Die Regisserin Riefenstahl ist bis heute zu Recht umstritten – zu leicht stellte sie ihr Schaffen in die Dienste der Nationalsozialisten.
Bildquelle: ullsteinbild

Die Kunst während der nationalsozialistischen Diktatur sollte vor allem eines erzeugen: starke Emotionen. Gerade die Filmindustrie stellte Gefühle in den Mittelpunkt ihres Schaffens. Bis heute werden viele dieser Werke hierzulande nur unter Vorbehalt oder wissenschaftlich kommentiert vorgeführt. Einer dieser Filme ist „Triumph des Willens“ der umstrittenen Regisseurin Leni Riefenstahl. Er gehört zu den am meisten diskutierten nichtfiktionalen Werken der Filmgeschichte, gedreht in Adolf Hitlers Auftrag als Dokumentation des sechsten Reichsparteitags in Nürnberg. Kurz nach seiner Uraufführung im März 1935 sorgte er für Zuschauerrekorde, nach dem Zweiten Weltkrieg wurde er zum bekanntesten aller „Vorbehaltsfilme“.

Ende der 1960er Jahre sorgte der Film erneut für Aufsehen: Wissenschaftler aus dem Ausland warfen die Frage auf, ob die ästhetische Qualität dieses Films unabhängig von seiner ideologischen Intention betrachtet werden könne. Kritiker warnten, den Film nicht von Kontext und Absicht seines Entstehens zu trennen, und grenzten sich ab von den vielen Stimmen, die die ästhetische Kraft des Films bejahten – diese hatten gehofft, zu einer Anerkennung der künstlerischen Seite dieses „Gebrauchsfilm“ beitragen zu können. Auffällig an dieser Debatte war der Glaube an eine beinahe unwiderstehliche Wirkung des Films, eine Wirkung, die von beiden Seiten vorausgesetzt, aber nur in wenigen Fällen näher untersucht oder gar belegt wurde. Triumph des Willens galt vielen jedoch als Paradebeispiel des sogenannten Affektkinos.

Im Internet finden sich zwar viele Kurzkritiken, die die These der großen formalen Wirkung unterstützen, andere Kritiker machen aus der Langeweile des Films hingegen keinen Hehl. Ähnlich umstritten ist der Film in der Fachliteratur: Zahlreiche Texte stellen die emotionale Wirksamkeit in Frage, wie die Filmwissenschaftlerin Oksana Bulgakowa. Um eine sowohl hartnäckige wie tückische Angleichung zwischen der Filmarbeit Sergej M. Eisensteins und der Leni Riefenstahls zu demontieren, kontrastiert Bulgakowa ihre eigene Erfahrung der Öde dieses Films mit einer Auflistung vieler formaler Eigenschaften, die möglicherweise „affektvoll“ sein könnten.

Abgeschaut bei Eisenstein

Riefenstahl setze den freien Wechsel von Standpunkten der Kamera ein, abgeschaut bei der Arbeitsweise von Eisentein, Regisseur des Films Panzerkreuzer Potemkin. Doch anders als bei Eisenstein, bleibe diese „virtuose“ Schau wenig beeindruckend, denn es legt die Konstruktionsweise bloß: Ihr Film zeigt die Technik dieser Art des Filmemachens – und deshalb ist Triumph des Willens in voller Länge ein langweiliges motorisches Dösen.

Formalen Analysen und historische Wirkungen

Wie aber kann ein solcher Film so unterschiedliche Wahrnehmungen hervorrufen? Welche analytische Methode wird der Widersprüchlichkeit der Berichte zum affektiven Gehalt des Films gerecht? Kann man unter solchen Bedingungen überhaupt von einer Affektsteuerung sprechen? In seinem Buch Triumph des Willens: Rituale der Mobilmachung beschäftigt sich der Medienwissenschaftler Martin Loiperdinger mit solchen Fragen: Ihn interessiert vor allem der Zusammenhang zwischen den Erkenntnissen, die mittels einer formalen Analyse des Films gewonnen werden können, und den historischen Wirkungen, die wegen der damaligen Gleichschaltung jedoch weitgehend unbekannt sind. Die Strategie des Films besteht laut Loiperdinger darin, die völlige Übereinstimmung des Volks mit der Führung Hitlers zu inszenieren. Die Beteiligung der Parteimitglieder und der Nürnberger Bevölkerung während des Parteitags und die damit verbundene „rituelle Zustimmung“ ersetze die Beteiligung an parlamentarischen Institutionen. Das Ziel der rituellen Mobilmachung erreiche der Film durch eine Ästhetik, die an Hitlers Omnipräsenz gebunden ist: In einem Drittel der Bilder, in einem Fünftel der Tonspur und in zwei Drittel der Redezeit ist er gegenwärtig.

Sehen und Gesehenwerden werden zum Thema gemacht

Die Schnittstrategie des Films erweitert die Anwesenheit Hitlers: „Schuss-Gegenschuss-Konstruktionen“ – die abwechselnde Darstellung zweier Protagonisten – und „Pointof-View-Shots“ – eine Kameraperspektive, die das Sehen und Gesehenwerden zum Thema macht. Hitler scheint in jeder Einstellung präsent zu sein. Er fungiert in der gesamten Blickdramaturgie als „optisches Scharnier“ – und eben das prägt wohl die Wirkung des Films. Schon in der ersten Sequenz, der Empfang Hitlers in Nürnberg, wird eine komplexe Blickdramaturgie etabliert, die zwischen der Perspektive Hitlers und den Aufnahmen der jubelnden Massen wechselt. Die beabsichtigte Wirkung: Der Zuschauer solle sich virtuell „im Auge Hitlers gespiegelt“ sehen. Die Schwierigkeit einer erfolgreichen Affektsteuerung ist in genau dieser ästhetischen Strategie enthalten, eine Schwierigkeit, bei der laut Loiperdinger „eine auf Hitler bezogene Spannungsdramaturgie nur bei den Zuschauern wirkt, die sich den Film anschauen, um Hitler ausführlich und aus nächster Nähe zu sehen.“

Zeitgenossen aus dem Ausland langweilen sich

Bei zeitgenössischen ausländischen Zuschauern verfehlte der Film diese Wirkung, viele empfanden ihn als ermüdend. Auch in Deutschland waren nicht alle hingerissen. Der Lagebericht der Staatspolizeistelle Stettin von 1935 stellt fest: „Insbesondere von Zuschauern, die nicht als unmittelbare Parteigänger der NSDAP einzuschätzen sind, werden abstrahierende und personalisierende Tendenzen des Parteitagsfilms mit Zurückhaltung aufgenommen.“

Loiperdingers Wertung der filmischen Wirkung bleibt vorsichtig: Zwar könne man anhand einer formalen Analyse des Films viel über seine Argumentationsstrategie erfahren. Doch wird bei denjenigen Stellen zur Zurückhaltung geraten, bei denen von einer formalen Analyse auf die Wirkung geschlossen werden soll. Wer etwa mit dem Terminus „Propaganda“ operiert und damit eine einseitige Kommunikation meint, liegt richtig. Die politische Äußerung von Privatpersonen verschwindet in der nichtöffentlichen Volksmeinung, das staatliche Meinungsmonopol faschistischer Propaganda liefert die Vorgaben. Eine Betrachtung dieses Verhältnisses nach dem verhaltenspsychologischen Modell von Reiz und Reaktion, wie es von der Wirkungsforschung modifiziert und abgemildert nahegelegt wird, wäre jedoch verfehlt: Dafür waren und sind die Reaktionsweisen des Publikums zu unterschiedlich. Triumph des Willens ruft keine einheitliche Wirkung hervor und zeigt eine Affektsteuerung nicht einfach durch die Interaktion von Werk, Künstler und Rezipient – die sehr wohl beabsichtige Affektsteuerung lässt schlicht unterschiedliche Deutungsmöglichkeiten zu.

Militärbehörden beschlagnahmen die deutschen Kopien

Unmittelbar nach der Kapitulation Deutschlands wurden alle verfügbaren deutschen Kopien des Films von den Militärbehörden beschlagnahmt und auf ihre politische Aussage hin überprüft. Ergebnis dieser Begutachtung war eine sogenannte Verbotsliste, zunächst verwaltet von der Alliierten Hohen Kommission. 1949 wurde die Verwaltung der Mehrzahl dieser Filme an die Freiwillige Selbstkontrolle und 1966 an die Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung übertragen, die bis heute viele dieser Filme verwaltet und über die Bedingungen der Aufführung entscheidet. Triumph des Willens bildet eine Ausnahme: Riefenstahl behielt bis zu ihrem Tod 2003 die Rechte am Film, er wurde daher nicht von der Murnau-Stiftung verwaltet, durfte aber – wie die andere Vorbehaltsfilme – nur im nichtkommerziellen Bereich nach einer wissenschaftlichen Einführung gezeigt werden.

Bebilderte Erinnerungen an die Diktatur

Triumph des Willens ist der wohl berühmteste „Vorbehaltsfilm“, denn fast jede audiovisuelle Darstellung des Nationalsozialismus orientiert sich an dessen Bildern. Die Nutzung von Riefenstahls Film als Fundus für die Dokumentation des sogenannten Dritten Reiches begann schon zur Zeit des Zweiten Weltkriegs und setzt sich bis heute fort, mit dem Resultat, dass der Film als „meistzitiertes Werk des Kompilationsfilms“ gilt. Damit ist er – in Ausschnitten – zu einem wesentlichen Bestandteil des kulturellen Gedächtnisses und der bebilderten Erinnerung an jene Zeit geworden.

Der britische Wissenschaftler Nicholas Reeves kann in seinem Buch The Power of Film Propaganda. Myth or Reality? deshalb behaupten: „Wahrscheinlich wurde kein anderer Nazi-Film seit dem Zweiten Weltkrieg so oft gezeigt, und viele der bleibenden Eindrücke des Regimes und seines Führers stammen aus Riefenstahls Film.“ Trägt diese bruchstückhafte Rezeption zu einer Verstärkung des Zuschauereindrucks bei, indem die Langatmigkeit des Films so selten erfahren wurde?

Die Zuschauer sind zwiegespalten

Selbst wenn sich Wissenschaftler mit dem ganzen Film auseinandersetzen, bleibt oft unklar, ob sie über ihre eigenen Affekterfahrungen referieren. Der Filmwissenschaftler Richard Barsam beschrieb 1975 das heute bekannte zwiegespaltene Verhältnis des Zuschauers als allgemeines Phänomen: „Manche Zuschauer mögen die Aufrichtigkeit der Gefühle der Massen bei den Kundgebungen infrage stellen oder die Partei-Rhethorik befremdlich finden, aber die meisten stimmen der kinematografischen Kraft des Films zu. Letztlich ist das moderne Publikum aber fassungslos angesichts der künstlerischen Kraft und des politischen Inhalts.“ Doch um wessen Reaktion geht es überhaupt? In ihrer Analyse der faschistischen Ästhetik schildert die amerikanische Schriftstellerin Susan Sontag deren Charakteristika: Es gehe um eine Affektsteuerung, von der man sich distanzieren kann: „Für den Durchschnittsbürger in Deutschland mag der Reiz der Nazi-Kunst darin gelegen haben, daß sie einfach, bilderreich, emotional war, nicht intellektuell; eine Wohltat im Vergleich zur anstrengenden Komplexität modernistischer Kunst. Für ein anspruchsvolleres Publikum ergibt sich der Reiz zum Teil aus der gegenwärtig grassierenden Sucht, alle Stile der Vergangenheit, vor allem die am meisten angeprangerten, wieder hervorzuholen. Eine Renaissance der Nazi-Kunst im Gefolge der Renaissance von Art Nouveau, präraffaelistischer Malerei und Art Déco ist jedoch höchst unwahrscheinlich. Bilder und Skulpturen jenes Stils sind nicht bloß überzogen, sie sind auch als Kunstwerke erstaunlich schwach. Aber gerade das veranlasst die Menschen, Nazi-Kunst mit der Distanz der Wissenden und leicht Amüsierten wie eine Form von Pop Art zu betrachten.“

War das zeitgenössische Publikum naiv?

Bezeugt diese Art von distanzierter Rezeption das Affektpotenzial des Films? War das zeitgenössische Publikum so ungebildet und naiv? Können wir heutzutage als distanzierte Zuschauer die gleiche affektive Wirkung des Films nicht mehr erleben? Und wie kann man die Reaktion des Publikums beschreiben, wenn die vorhandenen Quellen der NS-Zeit nicht vertrauenswürdig sind? Zumal eine beispiellose Werbemaschinerie gestartet wurde: Eine Fülle von Zeitungsartikeln erschien zur Premiere am 28. März 1935, der „Film-Kurier“ bezeichnete den Besuch des Films als Ehrenpflicht jeden Bürgers, und der Film erhielt das Prädikat „staatspolitisch und künstlerisch besonders wertvoll“.