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Segen oder Fluch?

Fossile Energieträger aus geologischer Sicht

31.05.2007

Ostküste Englands

Ostküste Englands

Seit der industriellen Revolution spielen fossile Energieträger eine zentrale Rolle, zunächst Stein- und Braunkohle, in jüngerer Zeit bevorzugt Erdgas und Erdöl. Nicht zufällig hat sich in klassischen Industriezentren Europas, wie in Birmingham und im Ruhrgebiet, ein intensiver Kohlebergbau etabliert. In Folge der von Europa ausgehenden Industrialisierung haben sich in den Industrienationen weltweit technischer Fortschritt, soziale Sicherungssysteme und ein gehobener Lebensstandard verbreitet: ein Segen für die industrialisierten Gesellschaften?

Angesichts einer in seinen Auswirkungen zunehmend spürbaren Erwärmung von ein bis zwei Grad in den letzten 100 Jahren zeichnen die Medien ein Horrorszenario eines sich verändernden Weltklimas auf, das die Menschheit – wenn nicht die ganze lebendige Welt – in seiner Existenz zu gefährden droht. Als vorrangige Ursache der Klimaerwärmung wird die hohe CO2-Produktion der Industrienationen ins Feld geführt und die Verbrennung von fossilen Energieträgern verteufelt, von Staats wegen fast schon kriminalisiert und durch erhöhte Steuerbelastungen für CO2-Sünder bestraft: Ist die Nutzung der fossilen Energieträger doch ein Fluch? Ist der Aktionismus, mit dem sich Politiker weltweit profilieren, auch aus der erdgeschichtlichen Sicht gerechtfertigt? Gerade angesichts einer begrenzten Erlebenswelt einer einzelnen Generation oder der letzten Jahrtausende?


Von den insgesamt 3,2 x 1.016 Tonnen photsynthetisch erzeugten Sauerstoffs stehen nur etwa 4 Prozent in der Atmosphäre und im Ozean für den freien Austausch zur Verfügung, der Rest ist durch die Oxidation der Sedimentgesteine gebunden. Der Sauerstoff-Menge steht eine entsprechende Masse organischer Substanz gegenüber, die neben der lebenden Biomasse vor allem in der Lithosphäre eingelagert ist.
Abb.: Keupp

Weltklima

Dass das Weltklima einer langsamen, in den letzten Jahren verstärkten Erwärmung unterliegt, deren Gradient steiler ist, als von Schwankungen in den letzten 10.000 Jahren bekannt ist, ist messbar und steht nicht in Frage. Die ersten Folgen kurzfristiger Veränderungen der Luftmassen- und Niederschlagsverteilung sind bereits spürbar. Sollte der momentane Trend längerfristig, also über Jahrhunderte anhalten – was jedoch keiner seriös voraussagen kann – müssen wir uns auf gravierende Folgen einstellen. Die Küstenregionen werden infolge des Abschmelzens von kontinentalen Eismassen durch den sukzessiv steigenden Meeresspiegel überflutet, große Mengen des Treibhausgases Methan werden durch das Auftauen der Permafrostböden freigesetzt, durch den verminderten Temperaturgradienten zwischen Äquator und den Polen werden auf dem Festland die Vegetationszonen verlagert, im Meer der Motor der Süd-Nord-Süd gerichteten Meereskonvektionen (einschließlich des Golfstroms) zunehmend vermindert. Solche durchaus realistischen Szenarien zögen langfristig weitreichende Veränderungen sämtlicher Ökosysteme nach sich und müssen eine Klimaflucht großer Anteile der Weltbevölkerung auslösen, die angesichts der aktuellen Bevölkerungsdichte weit größere Probleme bereiten wird als ähnliche Völkerwanderungen in der Geschichte.


Nebenprodukte der Photosynthese, die seit mindestens 3,8 Milliarden Jahren vor allem durch Cyanobakterien, in jüngerer erdgeschichtlicher Zeit auch durch Algen und höhere Pflanzen erfolgt, sind die Sauerstoff-Produktion und die Deponie von Kalken, oft in Form der sogenannten Stromatolithe (Jungpräkambrium aus dem Geschiebe vom Limfjord/Dänemark; Bildbreite im Original 14 Zentimeter).
Foto: Keup

Große Krisen

Die meisten der großen Krisen der Lebewelt in der Erdgeschichte, zum Beispiel an der Wende vom Erdaltertum zum Erdmittelalter (Perm/Trias vor 250 Millionen Jahren) oder der Wende vom Erdmittelalter zur Erdneuzeit (Kreide/ Tertiär vor 65 Millionen Jahren), denen mutmaßlich 75 bis 95 Prozent der Tiergattungen innerhalb weniger Millionen Jahre zum Opfer fielen, waren von deutlichen Klimaveränderungen begleitet und durch die anschließenden Radiationen ein wesentlicher Motor der Evolution.

Zusammensetzung der Erdatmosphäre

Während die möglichen Folgen einer Klimaerwärmung prinzipiell übereinstimmend diskutiert werden und auch im erdgeschichtlichen Rückblick durchaus verifizierbar sind, fällt die Beantwortung der „Schuldfrage“, also die Erklärung möglicher Ursachen des Klimawandels, keineswegs mehr so eindeutig aus. Vielmehr werden aus geologisch-historischer Sicht die Einflussmöglichkeiten des Homo sapiens deutlich relativiert. Es kann deshalb keineswegs garantiert werden, dass der volkswirtschaftlich sehr teure Aktionismus zur Verminderung der CO2-Produktion, selbst bei zukünftig weit über die Ziele des derzeitigen Kyoto-Abkommens hinausgehenden Werten, den gewünschten Erfolg erzielen wird. Um diesem Problem nachzugehen, stehen vier Aspekte im Vordergrund: Schon Schidlowski hatte 1981 sehr eindrucksvoll dargestellt, dass die Erdatmosphäre einer 4,5 Milliarden Jahre dauernden Evolution unterlag, die eng mit der Entwicklung des Lebens auf der Erde gekoppelt und in den Sedimentgesteinen (seit etwa 3,8 Milliarden Jahren nachweisbar) dokumentiert ist (Abbildung links). Aufgrund der grundsätzlich reduzierenden chemischen Zusammensetzung der Erde war die Uratmosphäre frei von jeglichem freien Sauerstoff. Der heutige Anteil von knapp 21 Prozent ist biogenen Ursprungs und resultiert aus der Photosynthese photoautotropher Organismen, Bakterien und Pflanzen. Schon in den ältesten überlieferten Sedimentgesteinen (3,8 Milliarden Jahre) lässt sich geobiochemisch die Existenz von Bakterien nachweisen, die mit Hilfe des Sonnenlichts (= hv) atmosphärisches CO2 unter Freisetzung von Sauerstoff in Zucker (Biomasse) umsetzten nach folgender sehr vereinfachten Summenformel:

6 CO2 + 6 H2O + hv --> enzymat. Katalyse --> C6H12O6 + 6 O2

Das bedeutet, dass pro produziertem Zuckermolekül sechs Sauerstoff-Moleküle freigesetzt werden. Unterliegt die organische Masse dem normalen Recycling, zehrt sie nach dem Tod durch die Verwesung den freigesetzten Sauerstoff wieder auf. Wird sie jedoch durch Einbringen in die Sedimentgesteine dem Kreislauf entzogen, bleibt das entsprechende Sauerstoff-Äquivalent zurück. Insgesamt sind so etwa 3,2 x 1.016 Tonnen Sauerstoff freigesetzt worden, deren Äquivalente an biogenen Kohlenstoff- Verbindungen in der lebenden Biomasse und den Sedimentdepots vorgehalten wird. Dieser Sauerstoff wurde zunächst für die Oxydation der Erdkruste aufgezehrt (Sulfate circa 28 Prozent, Eisenoxide circa 57 Prozent). Erst nach Sättigung der oberen Lithosphäre begann die Anreicherung des Sauerstoffs im Ozean und der Atmosphäre. Vor etwa zwei Milliarden Jahren erreichte die Konzentration an freiem Sauerstoff 1 Prozent der heutigen Konzentration, ein Schwellenwert, der komplexe Lebensformen ermöglichte, eucaryotische Zellen, deren Energiebedarf nur durch die effiziente Sauerstoff-Atmung vonstatten gehen kann. Seit etwa 500 Millionen Jahren hat sich ein dynamisches Gleichgewicht zwischen der Sauerstoff-Produktion und dessen Deponie eingestellt. Die mittlere Konzentration des freien Sauerstoffs in der Atmosphäre pendelt seitdem zwischen 20 und 30 Prozent. Wenn wir nun in großem Stil fossile Energieträger verbrennen, führen wir die organische Substanz wieder in den Recycling-Kreislauf zurück und gefährden prinzipiell die Menge des frei verfügbaren Sauerstoffs. Jedoch haben die bisherigen Aktivitäten, die ja nur den geringen Anteil von wirtschaftlich gewinnbaren Kaustobiolith-Anreicherungen nutzen, das Gleichgewicht nicht spürbar gestört.

Am Rande einer CO2-reichen Treibhauswelt?

Der Klimaverlauf der Erde ist durch sich abwechselnde Zyklen von relativ kurzen Kalt- und längeren Warm- zeiten geprägt, die wiederum durch untergeordnete Zyklizitäten gegliedert sind. Sie korrelieren jedoch nur teilweise mit dem CO2-Gehalt. Wir leben heute im Ausklang einer vor 34 Millionen Jahren eingeleiteten Kaltzeit. Ihren Höhepunkt erreichte sie seit etwa 900.000 Jahren (= Pleistozän) mit insgesamt neun Festlandsvereisungen und zwischengeschalteten wärmeren Phasen. Die letzte Vereisung der Nordhemisphäre, die auch die Region von Berlin überlagert hat, ging vor nur 10.000 Jahren zu Ende. Anhand der Gaseinschlüsse im Grönlandeis und durch Modellrechnungen kann man belegen, dass innerhalb der letzten 100.000 Jahre im Nordatlantik-System Temperaturschwankungen mit Amplituten von bis zu 10 °C innerhalb weniger Jahrzehnte stattfanden – zum Teil ausgelöst durch die zeitweise Verlagerung des Golfstroms. Diese regionalen Gradienten übersteigen das Ausmaß der heutigen globalen Erwärmung deutlich. Weniger dramatische Schwankungen des Klimageschehens waren auch in historischer Zeit wirksam. So wäre zum Beispiel Hannibal etwa 500 v. Chr. nicht mit seinen Elefanten über die Alpen nach Rom vorgedrungen, wenn zu dieser Zeit die Baumgrenze nicht knapp 200 Meter über der heutigen gelegen hätte; die „mittelalterliche Warmzeit“ ermöglichte unter anderem auch im Raum Regensburg (Ort Kelheimwinzer) den temporären Weinanbau.


Die CO2- und O2-Gehalte der Atmosphäre während der letzten 600 Millionen Jahre der Erdgeschichte (Phanerozoikum) zeigen im Vergleich mit heutigen Werten (gestrichelte Linien), dass wir in einer Phase ungewöhnlich niedriger CO2-Werte leben, wie sie nur im Jungpaläozoikum für etwa 60 Millionen Jahre unterschritten wurde.
Umgezeichnet durch M. Schudack nach Brenchley & Harper 1998.
Abb.: Keupp

Phanerozoikum

Royer (2006) hat für das Phanerozoikum (die letzten 540 Millionen Jahre der Erdgeschichte) durchschnittliche Korrelationen zwischen CO2- Gehalt und globaler Klimasituation dargestellt. Danach sind Phasen mit flächigen Festlandsvereisungen durch CO2-Werte unter 500 parts per million (ppm) und nicht vereiste Kaltzeiten durch Werte bis etwa 1.000 ppm gekennzeichnet. Der Icehouse-Zeit entsprechend ist der heutige CO2-Gehalt in der Atmosphäre mit 365 ppm (= 0,365 Prozent) relativ niedrig. Innerhalb des Phanerozoikums war er nur während der Eiszeit im Karbon/ Perm für einen Zeitraum von etwa 60 Millionen Jahren geringfügig unter dem heutigen Niveau.

Jedoch ist in den letzten 45 Jahren die CO2-Konzentration von 310 ppm (1960) auf 365 ppm angestiegen. In der Kreidezeit, einer typischen „Greenhouse-Zeit“ (145 bis 65 Millionen Jahre vor heute) betrug der CO2-Gehalt das Vierfache, in Spitzenzeiten möglicherweise bis das Sechsfache unseres heutigen Niveaus.

Klimarelevante Faktoren?

Der CO2-Gehalt in der Atmosphäre unterliegt auch ohne Zutun des Menschen starken natürlichen Schwankungen. Zum Beispiel hat allein der Ausbruch des Vulkans Pinatubo auf den Philippinen im Jahre 1991 etwa die gleiche Größenordnung an CO2 ausgeblasen wie der Mensch global in diesem Jahr produziert hat. Diese Vom Menschen unabhängige Schwankung verhindert – wie auch das in jüngerer Zeit zunehmend in die Betrachtungen eingeschlossene Methangas – proportional die Wärmeabstrahlung der Erde und löst den Treibhauseffekt aus. Zum Ausgleich solcher Schwankungen gibt es eine Reihe von natürlichen Puffereffekten, von denen exemplarisch zwei CO2-Senken hervorgehoben seien.

CO2-Bindung durch erhöhte Photosynthese-Aktivitäten und vermehrte Biomassenproduktion: Unter diesem Aspekt ist die Hand in Hand mit der CO2-Produktion erfolgende flächige Abholzung tropischer Regenwälder besonders bedenklich. Aufgrund des Lösungsgleichgewichts von Kalk (CaCO3 + H2O + CO2 ← → Ca2+ (HCO3)2-) bindet eine verminderte Kalkproduktion (zum Beispiel Rückgang der Korallenriffe) CO2 in den Weltmeeren. Umgekehrt setzt erhöhte Kalkproduktion, wie etwa durch das marine Plankton in der Kreide-Zeit, wieder CO2 frei.

Neben dem CO2-Gehalt gibt es aber eine Reihe weiterer Faktoren, die das Klima nachhaltig beeinflussen und deren Effekte ein komplexes Zusammenspiel bewirken und sich gegenseitig verstärken oder abschwächen können. So lassen sich in geschichteten Sedimenten häufig vom Klima induzierte Hell-Dunkel-Rhythmen unterscheiden, deren metrische, geochemische und paläontologische Analysen einen klaren Zusammenhang mit den zyklisch variierenden Umlaufparametern der Erde belegen. Abweichungen in der Exzentrizität der Umlaufbahn bilden Zyklen in Zeitintervallen von 98.000, 126.000, 413.000 und 1,3 Millionen Jahren, die pendelnde Schräg- stellung der Erdachse (Obliquität) bildet Zyklen von 41.000 und die Präzision der Erdachse von durchschnittlich 21.000 Jahren. Selbst der etwa elfjährige Sonnenfleckenzyklus macht sich im Klima bemerkbar.


Hell-Dunkel-Rhythmen in Mergel-Sedimenten der Unter-Kreide an der Ostküste Englands (Speeton-Clay) gehen auf Klimaschwankungen zurück, welche durch regelmäßige Oszillationen der Umlaufparameter der Erde um die Sonne (Milankovitch-Zyklen) ausgelöst werden.
Foto: Keupp

Auch die Höhe des Meeresspiegels unterliegt beachtlichen Schwankungen. Ein Meeresspiegel-Anstieg ist zum einen bedingt durch isostatische Hochlagen des aufgewärmten Meeresbodens während plattentektonisch aktiver Phasen oder durch Abschmelzen der als Eis gebundenen Wassermassen auf Kontinenten. So lag zum Beispiel während der Kreide-Warmhouse-Zeit der Meeresspiegel mehr als 200 Meter höher als heute und überflutete große Teile der Kontinente (zum Beispiel bei uns Küstenlinie entlang dem Harz-Nordrand) und verstärkte so das ausgeglichene, feuchte Treibhausklima, während zu den Maxima der vergangenen Eiszeit der Meeresspiegel zum Teil über 150 Meter unter heutigem Niveau lag. Eng gekoppelt mit dem Meeresspiegel, aber auch bestimmt durch die jeweilige Lage von Kontinenten und Ozeanen, beeinflussen Konvektionen und Strömungen der Ozeane das Klimageschehen maßgeblich. So ist der Motor nord-süd-gerichteter Strömungssysteme durch das Temperatur- und Salinitätsgefälle sehr viel effizienter als die dominant circumäquatorialen Strömungen, wie sie während des Mesozoikums dominiert haben.

Resümee

Ziehen wir ein Resümee, so wird erkennbar, dass Klimaänderungen in sich einander überlagernden Zyklen unterschiedlicher Zeitskalen ein permanent die Geschichte der Erde prägender Prozess sind, der durch ein sich gegenseitig beeinflussendes System unterschiedlicher Faktoren gestaltet wird. Er ist zugleich ein wesentlicher exogener Einflussfaktor, der die Evolution der Organismen und mit ihr die Biodiversität steuert. Das intensive Nutzen der fossilen Energieträger und die daraus resultierende CO2-Belastung der Atmosphäre ist nur einer von vielen Faktoren, welche das Klima bestimmen. Die Größenordnung der in den letzten 100 Jahren gemessenen Erderwärmung bewegt sich in erdgeschichtlich gewohnten Dimensionen, jedoch ist der rasche Anstieg – zumindest für die letzten 10.000 Jahre des Holozäns – einzigartig. Die Frage der Schuldzuweisung bleibt jedoch keineswegs eindeutig, auch wenn durchaus eine hohe Wahrscheinlichkeit besteht, dass die anthropogene CO2-Produktion hier als verstärkender Faktor beteiligt ist. Eine Zurückhaltung in der CO2- Produktion ist mit Sicherheit zur Vermeidung weiterer Kumulationseffekte geboten, sollte aber mit der nötigen Enttäuschungsprophylaxe versehen sein, wenn trotz der Anstrengungen möglicherweise die globale Erwärmung in den kommenden Jahrzehnten nicht zu stoppen sein sollte.