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Götz Hoeppe: Himmelslicht

Himmelslicht

Spiegelbild des Erdklimas

Götz Hoeppe

Natürliche und künstliche Prozesse können das Licht des Himmels sichtbar verändern. Dazu gehört der Einfluss großer Vulkanausbrüche auf die Dämmerungsfarben. Vermutlich haben diese sogar in der Kunst Spuren hinterlassen. Ohne es zu ahnen, sind Maler zu Chronisten des Klimas geworden. Außerdem ist kaum bekannt, dass die blaue Stunde der Dämmerung eine sichtbare Auswirkung der Ozonschicht ist. Grund genug, um den Himmel aufmerksamer im Blick zu behalten.

Der Himmel ist täglich die Bühne für farbige Lichterscheinungen: für das Himmelsblau, die Rot- und Orange-Töne der Dämmerung sowie die Farben von Wolken und Regenbögen. Nachts ist der Himmel dunkel. Dies lässt vermuten, dass die Ursachen des farbigen Lichts des Tages- und Dämmerungshimmels im Zusammenspiel des Sonnenlichts mit der Atmosphäre der Erde liegen. Physiker und Meteorologen führen die Vielfalt atmosphärischer Lichterscheinungen auf wenige Prozesse zurück: die Streuung, Brechung und Absorption des Sonnenlichts an den Teilchen der Luft sowie an Wolken- und Regentropfen, Eiskristallen, Aerosol- und Staubteilchen.

Das Blau des unbewölkten Himmels erscheint dem menschlichen Auge unveränderlich – doch es unterscheidet sich von Ort zu Ort. Aufgrund der Luftverschmutzung verblasst der wolkenfreie Himmel in den Zentren großer Städte, während man ihn auf dem Land in einem tiefen Blau sehen kann. Die Häufigkeit der in der Atmosphäre enthaltenen Teilchen ist für die Himmelsfarbe entscheidend. Sie unterliegt zeitlichen, bisweilen kurzfristigen Schwankungen: So zeigt sich die Schwankung des Wasserdampfgehaltes an Änderungen der Bewölkung. Doch es gibt Hinweise, dass die Bewölkung des Himmels während der „kleinen Eiszeit“ (Mitte des 16. bis Mitte des 19. Jahrhunderts) anstieg, als in Europa die mittlere Lufttemperatur um bis zu einem halben Grad Celsius sank. Der Meteorologe Hans Neuberger untersuchte hierzu 12.000 Gemälde aus 41 Museen auf ihre Himmelsdarstellungen. Auf Gemälden, die zwischen 1550 und 1849 entstanden, erscheint der Himmel um zehn bis 15 Prozent mehr bewölkt, was auch an dem Malstil der Zeit liegen kann.

Dämmerungshimmel
Fischaugenfoto des unbewölkten Dämmerungshimmels. Über dem südlichen Horizont (links) ist der Mond zu erkennen.
Foto: Hoeppe

Wir betrachten zunächst die physikalischen Grundlagen des Himmelslichtes. Wie schon erwähnt, handelt es sich dabei vor allem um die Streuung des Sonnenlichts an den Teilchen (in) der Atmosphäre. Dies geschieht vor dem Hintergrund des dunklen Weltraums. Bereits am Ende des 19. Jahrhunderts hatte John William Strutt (1842–1919), der spätere Lord Rayleigh, das Blau des Tageshimmels mit der Streuung des Sonnenlichtes an den Luftmolekülen erklärt (Rayleigh-Streuung, Hoeppe 1999). Das sichtbare Sonnenlicht besteht aus Lichtwellen mit unterschiedlicher Wellenlänge: vom kurzwelligen Violett (400 Milliardstel Meter) bis zum langwelligen Rot (700 Milliardstel Meter). Die Moleküle der Luft werden von eintreffenden Wellen des Sonnenlichts zu Schwingungen angeregt und strahlen die empfangene Energie als Streulicht in alle Richtungen ab. Kurzwelliges, violettes oder blaues Licht wird eher gestreut als langwelliges Orange oder Rot. Als farbliche Mischung der in alle Richtung verteilten, kurzwelligen Lichtanteile erscheint der unbewölkte Himmel blau. Alle kleinen Schwebeteilchen können das Sonnenlicht streuen. Besonders häufig ist die Streuung an den Molekülen von Stickstoff- und Sauerstoffgas, den häufigsten permanenten Bestandteilen der Luft: In Meereshöhe enthält jeder Kubikzentimeter der Luft die unvorstellbare Anzahl von 27 Trillionen Molekülen. Die Rayleigh-Streuung erklärt auch die rote Farbe der untergehenden Sonne. Aufgrund des langen Weges der Sonnenstrahlen durch die Atmosphäre bleiben nur das langwellige Orange und Rot übrig. Die Anwesenheit von Wasserdampf und den kleinen Schwebepartikeln, den Aerosolen, kann die Rotfärbung des Westhimmels deutlicher machen. Das ist die Grundlage der Bauernregel „Morgenrot – Schlechtwetter droht“, wie Horst Malberg vom Meteorologischen Institut der Freien Universität in seinem Buch „Bauernregeln aus meteorologischer Sicht“ (1993) erläutert. Ein intensives Morgenrot ist Hinweis für einen hohen Gehalt an Wasserdampf, der sich nach der morgendlichen Erwärmung in Regenwolken verwandeln kann. Es ist ein sichtbarer Ausdruck kurzfristiger, lokaler atmosphärischer Schwankungen. Doch auch längerfristige und globale Störungen der Atmosphäre hinterlassen in der Dämmerung sichtbare Spuren.

Am 27. August 1883 brach in der Nähe der Insel Java der Vulkan Krakatau aus. Die Eruption dauerte zwei Tage. Gewaltige Mengen von Asche, Staub und Gasen wurden in die Atmosphäre befördert. Vulkanologen schätzen heute, dass beim Ausbruch 20 Kubikkilometer Gestein, Staub und Asche in die Atmosphäre geschleudert wurden. Etwa 55 Millionen Tonnen Schwefelsäure fielen innerhalb der nächsten Jahre auf die Erde zurück (Rampino und Self 1982). Eine 40 Meter hohe Flutwelle verwüstete die Küsten benachbarter Inseln. Die vom Vulkan ausgestoßene Asche fiel im Umkreis von mehreren hundert Kilometern auf die Erde und führte zu schweren Ernteschäden. Insgesamt kostete der Vulkanausbruch etwa 36.000 Menschen das Leben.

Die Eruption hinterließ weltweit eine sichtbare Spur. Besonders in den Tropen fiel in den Wochen nach dem Ausbruch des Krakataus eine eigenartige Trübung des Himmels auf. Am Tag sah die Sonne oft grünlich und vor ihrem Untergang intensiver rötlich aus. Sonnenuntergänge waren ungewöhnlich farbenprächtig und lang andauernd. Zwei Wochen nach der Eruption bemerkte der Missionar Manley im indischen Ongole (Andhra Pradesh), 4000 Kilometer vom Krakatau entfernt:

 

Nachdem die Sonne untergegangen war, erschien helles Gelb, Orange und Rot im Westen, wobei ein sehr tiefes Rot über eine Stunde nach Sonnenuntergang sichtbar blieb; dagegen verschwinden in diesen Breiten normalerweise alle farbigen Spuren am Himmel innerhalb einer halben Stunde nachdem die Sonne untergeht.

 

Bald war das Nachleuchten der Dämmerung in Australien, Europa und Nordamerika ein auffälliges Phänomen. William Ascroft, ein Maler aus London, bemerkte:

 

Das erste starke Nachleuchten wurde am 8. November beobachtet, als ein grelles Licht eine halbe Stunde nach Sonnenuntergang gesehen wurde. Dies war so ungewöhnlich, dass einige Feuerspritzen ausfuhren. Beim Betrachten meiner Skizzenbücher sehe ich, dass sich das Nachleuchten schon vorher geäußert hat, jedoch zarter, und deshalb weniger auffallend. Die erste unzweifelhafte Reihe begann am 20. September.

 

Auch in Deutschland wurden ungewöhnliche Lichterscheinungen gesehen. Nachts war die feine Bewölkung als dünner Schleier erkennbar, durch den nur die hellsten Sterne in sonst klaren Nächten gesehen werden konnten. Eine interessante Eigenschaft dieses Schleiers entdeckte Reverend S.E. Bishop aus Honolulu (Hawaii) Anfang September 1883. Er sah einen eigenartigen Kranz um die Sonne, dessen Durchmesser er mit 20 bis 30 Grad angab. Dieser Kranz wurde später als Bishops Ring bezeichnet und war bis zum Frühjahr 1886 immer wieder sichtbar. In diese Zeit fiel auch die totale Mondfinsternis vom 4. Oktober 1884. Ein Beobachter aus Holland berichtet:

 

Während der Totalität war der Mond sehr dunkel, und die Kupferfärbung, die bei anderen Finsternissen so auffällig ist, konnte nur gelegentlich gesehen werden und dann auch nur schwach.

 

Die vielen Berichte über Lichterscheinungen führten dazu, dass die Londoner Royal Society eine Untersuchungskommission einsetzte, die schon bald einen Zusammenhang zwischen den farbigen Sonnenuntergängen in London und dem Vulkanausbruch im fernen Indonesien vermutete. Nach fünfjähriger Arbeit veröffentlichte die Kommission ihre Ergebnisse in dem Buch „The Eruption of Krakatoa and Subsequent Phenomena: Report of the Krakatoa Committee of the Royal Society“ (Symons 1888).

Dämmerungsfarben
Nach dem Ausbruch des Vulkans Pinatubo (Juni 1991) auf den Philippinen wurden überall auf der Erde besonders farbintensive und lang andauernde Dämmerungsfarben gesehen. Dieses Bild entstand im Oktober 1991 in New Mexico (USA).
Foto: Hoeppe

Bei großen Eruptionen, wie zuletzt beim Ausbruch des Pinatubo (Philippinen) von 1991, können neben großen Mengen von Asche und Staub auch große Mengen von Schwefeldioxid bis in die Stratosphäre gelangen. In der so genannten Junge-Schicht (etwa 20 bis 30 Kilometer über der Erdoberfläche) befindet sich ständig eine gewisse Menge von Aerosolen, die durch Vulkanausbrüche aufgefüllt wird. Zu den Aerosolteilchen gehört Schwefelsäure, die sich aus der Reaktion des vulkanischen Schwefeldioxids mit Wasserdampf ergibt und die mit Wasser mikroskopische Tröpfchen bildet. Während vulkanische Staub- und Ascheteilchen innerhalb weniger Wochen aus der Atmosphäre gewaschen werden, können sich derartige Aerosole über mehrere Jahre in der Junge-Schicht aufhalten. Wie alle anderen kleinen Teilchen in der Atmosphäre streuen auch vulkanische Aerosole das Sonnenlicht. Jedoch fallen sie besonders auf, wenn sie sich in großer Höhe befinden. Dort streuen sie das Sonnenlicht lange nachdem tiefere Schichten der Atmosphäre bereits im Schatten des gekrümmten Erdrandes liegen. So erklärt sich das nach dem Krakatau-Ausbruch beobachtete Nachleuchten.

Andererseits streuen die kleinen und reflektieren die großen Aerosole das auf die Erde einstrahlende Sonnenlicht, was zu einer Abkühlung der Atmosphäre führen kann. So wurden bei der Eruption des Pinatubo mindestens 17 Millionen Tonnen Schwefeldioxid in die Atmosphäre befördert (NASA 1996). Vermutlich haben diese Teilchen zu einer Abnahme der mittleren Temperatur um 0.6 Grad Celsius im Jahr 1992 geführt. Die Abkühlung nach dem Krakatau-Ausbruch war wahrscheinlich ähnlich stark (Rampino und Self 1982). Heute vermutet man, dass solche Auswirkungen von lokalen Klimaverhältnissen mitbestimmt werden.

Neben dem Nachleuchten lassen sich auch die anderen Erscheinungen als Folge der Aerosole deuten. Der eigenartige Kranz, den Reverend Bishop gesehen hatte, beruht auf der Lichtbeugung an gefrorenen, schwefelhaltigen Aerosolen (Sassen et al. 1994). Die Dunkelheit von Mondfinsternissen kann mit der Lichtstreuung an Aerosolen erklärt werden. Die oft als „Kupferrot“ beschriebene ungestörte Färbung dieser Finsternisse ist das auf die Mondoberfläche projizierte Licht der irdischen Dämmerung: Dunkle Finsternisse deuten auf eine hohe Aerosolbelastung der Atmosphäre hin (Keen 1983). Seit 1960 wird systematisch die Helligkeit von Finsternissen beobachtet. In diesem Zeitraum kam es nach allen großen Eruptionen zu auffallend dunklen Finsternissen.

Weltweit gibt es mehr als 600 Vulkane mit historisch überlieferten Ausbrüchen. Immer ist ein Vulkan aktiv, wenngleich die meisten Eruptionen erheblich kleiner sind als der Ausbruch des Krakataus von 1883. Vulkanische Dämmerungsfarben sind selten, denn nur bei wenigen großen Eruptionen gelangt Schwefeldioxid bis in die Junge-Schicht.

Obwohl lange Zeit verborgen blieb, dass es zwischen Vulkanausbrüchen und atmosphärischen Lichterscheinungen eine Beziehung gibt, erkannte die Kommission der Royal Society ältere Indizien dafür. Alte Aufzeichnungen zeigen, dass der Himmel in Europa 1593 stark getrübt war, wenige Wochen nachdem 1593 auf Java der Vulkan Ringgit große Mengen Staub, Asche und (vermutlich) Schwefeldioxid in die Atmosphäre befördert hatte. Sonne und Mond verblassten am Himmel. Intensive Sonnenuntergänge und die Dämmerungsfarben galten deshalb als Vorboten für Seuchen oder den drohenden Weltuntergang. So war es auch 1664 nach der Eruption des Pacaya (Guatemala). Die Lichterscheinungen galten den Menschen als Symbole der nahenden Pest, die kurz darauf London erreichte.

Mit dem Ausbruch des Eldeyjar auf Island im Mai 1783 begann weltweit eine Serie häufiger und großer Vulkanausbrüche. Noch im selben Jahr kam es zu großen Ausbrüchen des Laki (Island) und des Asama (Japan). Kurz darauf war in Europa der Himmel getrübt und man sah intensive Dämmerungsfarben. Die drei Vulkane hatten so viel Staub und Asche bis in die Stratosphäre geschleudert, dass die direkte Einstrahlung der Sonne deutlich gemindert wurde und für drei Jahre die Temperatur auf der Erdoberfläche regional um bis zu zwei Grad Celsius sank. In dieser Zeit kam es weltweit zu Ernteverlusten und Hungersnöten: Zufall oder Folge der Vulkanausbrüche? Die rot glühenden Dämmerungsfarben waren einmal mehr Botschaften des Unglücks. Zum ersten Mal wurde über eine Verbindung zwischen dem getrübten Himmel und der Eruption eines Vulkans spekuliert.

Weitere große Ausbrüche geschahen 1799 (Fuego, Guatemala), 1812 (Soufrières, Karibik und Awu, Indonesien), 1814 (Mayon, Philippinen), 1815 (Tambora, Indonesien), 1821 (Kluchev, Kamtschatka), 1822 (Galunggung, Indonesien), 1831 (Babujan, Philippinen) und 1835 (Coseguina, Nicaragua). Während dieser Jahre hat es häufig intensive Dämmerungsfarben gegeben (Lamb 1970). Da es zwei bis vier Jahre dauert, bis nach einem großen Vulkanausbruch eine normale, ungestörte Dämmerung zu sehen ist, müssen farbenprächtige Sonnenuntergänge an der Tagesordnung gewesen sein.

Wahrscheinlich haben diese Farbenspiele in der Kunst Spuren hinterlassen. 1970 wies der englische Meteorologe Hubert Lamb darauf hin, dass die große Ausbruchsserie mit der Schaffenszeit des Malers J. M. William Turner (1775–1851) zusammenfällt – dem Vorläufer der abstrakten Malerei. Mehrere Bilder Turners zeigen intensive Dämmerungsfarben, die ungefähr denjenigen der vulkanischen Dämmerung entsprechen. Die Kunsthistorikerin Ursula Seibold hält es für wahrscheinlich, dass sich Turner durch die intensiven Dämmerungsfarben seiner Zeit inspirieren ließ – was Turners Gemälde nicht zu rein naturalistischen Darstellungen degradiert. Vielmehr weicht jedes Gemälde deutlich von den meteorologischen Verhältnissen ab, die Himmelsfarben haben Turners Malerei also nur angeregt. Auch die Malerei der deutschen Romantik könnte von den vulkanischen Dämmerungsfarben beeinflusst worden sein. Aus dieser Zeit ist vor allem Caspar David Friedrich für Landschaftsdarstellungen im Dämmerungslicht bekannt (siehe Abbildung Seite 59).

Während die Dämmerungsfarben seit 1883 für Aufsehen gesorgt haben, sind zwei weitere Dämmerungs-Phänomene weniger bekannt: die blaue Stunde des Ozons und der so genannte Erdschatten. Die blaue Stunde ist die Zeit nach Sonnenuntergang, wenn die ersten Sterne sichtbar werden. Der Himmel ist zu dieser Zeit tiefblau, vor allem im Zenit. Das ist seltsam, denn alle Sonnenstrahlen haben zu diesem Zeitpunkt einen langen Weg durch die Atmosphäre zurückgelegt. Dadurch sollten die blauen Farbanteile aufgrund der Rayleigh-Streuung „herausgestreut“ sein. Nur die wenigen Sonnenstrahlen, die den oberen Rand der atmosphärischen Luftschichten streifen, müssten als seitwärts gestreutes, blaues Licht erscheinen. Zu erwarten wäre eine Mischung dieser blauen Strahlen mit zahlreichen gelben, orangen und roten Strahlen. Aus der Mischung würde sich im Zenit ein gelbes oder sogar leicht grünliches Licht ergeben. Doch wir sehen Blau (siehe Titelbild).

Das Blau der Dämmerung ist eine Folge der stratosphärischen Ozonschicht, die sich in einer Höhe von 20 bis 30 Kilometern über der Erdoberfläche befindet. Bei tiefem Sonnenstand wirkt diese wie ein blauer Farbfilter, der sich über den gesamten Himmel erstreckt. Wir können also die Anwesenheit der Ozonschicht mit bloßem Auge erkennen! Ein faszinierendes, aber meist übersehenes Schauspiel am Himmel. Die blaue Farbe des Ozons beruht auf der Absorption des orangen Lichtes in den so genannten Chappuis-Banden. Bekannter ist die Eigenschaft der Ozonmoleküle, ultraviolettes Licht zu absorbieren. Das ist kein Wunder, denn wir haben dieser Absorption den Schutz des Lebens vor der gefährlichen Ultraviolett-Strahlung der Sonne zu verdanken. Doch auch für die Entwicklung des Klimas ist die Ozonschicht wichtig, denn die Strahlungsabsorption bewirkt eine Erwärmung der Stratosphäre. Langfristig kann das die Zirkulation der Atmosphäre beeinflussen.

Bei der Absorption des sichtbaren Lichts wird ein Ozonmolekül zu so genannten Streckschwingungen angeregt. Das ist ein kurzlebiger Prozess, denn schon nach wenigen Picosekunden bricht das Molekül auseinander. Dieser Vorgang schlägt sich im Spektrum als breite, diffuse Absorptionsbanden nieder. Im sichtbaren Spektralbereich sind diese Banden bei etwa

600 Milliardstel Meter besonders ausgeprägt (Anderson und Mauersberger 1995). Ozon absorbiert deshalb überwiegend oranges Licht. Gelbes und rotes Licht werden vom Ozon weniger stark absorbiert. Blaues Licht bleibt dagegen unberührt und so erklären die Chappuis-Banden die blaue Farbe des Ozons.

Zum Blau des Tageshimmels trägt diese Absorption kaum bei. Sie macht sich aufgrund der kurzen Wege des Sonnenlichts in der Atmosphäre nicht bemerkbar und wird vom Blau der Rayleigh-Streuung überstrahlt. In der Dämmerung ist durch den beinahe streifenden Einfall der Weg der Sonnenstrahlen in der Atmosphäre länger. So führt der Weg der Sonnenstrahlen im Augenblick des Sonnenuntergangs durch eine 35fach größere Luftmenge, als wenn die Sonne im Zenit stünde. Aufgrund der Rayleigh-Streuung bleiben im Westen die längerwelligen gelben und roten Strahlen übrig, die für Sonnenuntergänge typisch sind. Doch auch der Einfluss der Ozonschicht auf die Farben des Himmels wächst mit sinkender Sonnenhöhe. Durch den schrägen Einfall der Lichtstrahlen durchlaufen diese nämlich eine längere Strecke der Ozonschicht, wodurch die Wirkung der Chappuis-Absorption deutlich ansteigt. Nun können sie bis zu 40 Prozent des orangen Lichts herausfiltern, was ausreicht, um am Himmel eine sichtbare Spur zu hinterlassen. Die selektive Absorption verschiebt die Farben zu den kürzeren Wellenlängen. Das Ozon in der Stratosphäre wirkt demzufolge wie ein Farbfilter, der sich über den gesamten Himmel erstreckt und ihn über unseren Köpfen bis weit nach Sonnenuntergang blau färbt.

Erdschatten
Aufstieg des Erdschattens am östlichen Dämmerungshimmel nach Sonnenaufgang, gesehen vom Gipfel des Roque de los Muchachos (La Palma). Der Erdschatten ist als grau-blaues Band über dem Horizont zu sehen. Darüber schließt sich der farbliche Widerschein des Dämmerungslichtes an.
Foto: Hoeppe

Diese erstaunliche Wirkung des Ozons wurde 1952 von dem amerikanischen Geophysiker Edward Hulburt (1890–1982) entdeckt, der mit Hilfe unbemannter Raketenaufstiege die Ozonschicht untersuchte. Seine Studien ergaben, dass das Himmelsblau im Zenit während des Sonnenuntergangs zu einem Drittel auf der Rayleigh-Streuung und zu zwei Dritteln auf der Chappuis-Absorption beruht. In der Dämmerung ist hingegen das gesamte blaue Licht des Himmels durch die Ozonschicht verursacht. Neuere Rechnungen und Beobachtungen geben Hulburt Recht: Trotz ihrer geringen Menge reicht die Anzahl der Ozonmoleküle aus, um das Blau der Dämmerung sichtbar zu machen (Adam, Plass und Kattawar 1974). Die blaue Stunde ist die Stunde des Ozons!

Noch vor Hulburts Entdeckung hatte der französische Meteorologe Jean Dubois an einer weiteren Farberscheinung des Dämmerungshimmels den Einfluss des Ozons bemerkt. Viele Menschen bestaunen die warmen Farben des westlichen Himmels nach dem Untergang der Sonne und übersehen dabei das faszinierende Schauspiel, das sich hinter ihrem Rücken abspielt: Der Aufstieg des Erdschattens.

Wenige Minuten nachdem die Sonne im Westen untergegangen ist, wird der Erdschatten über dem östlichen Horizont sichtbar und verrät sich als grau-blauer Bogen. Im Norden und Süden nähert er sich dem Horizont, während er im Osten am höchsten reicht. Darüber schließt sich meist der rosafarbene Widerschein des westlichen Dämmerungslichts an. Auch vor Sonnenaufgang ist der Erdschatten zu sehen, dann allerdings im Westen. Nach Sonnenuntergang sind die orangen und rötlichen Farben zum hellen Segment geschrumpft, das sich noch einige Grad über den Horizont erstreckt. Allmählich nimmt das Licht an Intensität ab. Bei zunehmender Sonnentiefe verblasst der Widerschein, und der mittlerweile aufgestiegene Erdschatten geht ohne klare obere Grenze in den tiefblauen, östlichen Abendhimmel über. Eine halbe Stunde nach Sonnenuntergang sind die letzten Spuren des Erdschattens verschwunden.

Häufig wird der Erdschatten mit einer horizontnahen Dunstschicht verwechselt. Im Gegensatz zum Erdschatten ist eine Dunstschicht bereits vor dem Sonnenuntergang zu sehen und weist nicht das charakteristische Grau-Blau des Erdschattens auf. Voraussetzung für die Beobachtung des Erdschattens ist ein freier östlicher Horizont.

Wie der Name besagt, hielt man dieses Phänomen lange für den Schatten des gekrümmten Erdrandes, den die Sonne bei ihrem Auf- oder Untergang in den gegenüberliegenden Dämmerungshimmel projiziert. Heute wissen wir, dass die Farbe des Erdschattens auf den Chappuis-Absorptionsbanden des Ozons beruht (Dubois 1951). Bei klarem Wetter sehen wir also nach Sonnenuntergang am östlichen Himmel den farbigen Schatten der Ozonschicht.

Himmelsblau, Morgenrot, vulkanische Dämmerungsfarben und die blaue Stunde des Ozons – für jede dieser Lichterscheinungen ist die Menge und Zusammensetzung der Luft und der in ihr enthaltenen Fremdstoffe entscheidend. Es waren Lebensformen, die in den vergangenen 3,8 Milliarden Jahren sowohl die Menge als auch die Zusammensetzung der Luft geprägt haben. So ist der gesamte Sauerstoff in der Luft – immerhin 21 Prozent ihres Volumens – der Photosynthese von Pflanzen und Bakterien zu verdanken (Kasting 1993, Kasting und Siefert 2001). Dieses Gas trägt nicht nur zur Menge der lichtstreuenden Teilchen bei, sondern wirkt auch als Reinigungsmittel der Luft, das Fremdstoffe oxidiert. Und es ist Bestandteil des Ozons, denn ein Ozonmolekül besteht aus drei Sauerstoffatomen. Während bei der Photosynthese Sauerstoff in die Luft gelangt, wird das Kohlendioxid, das in der Uratmosphäre sehr häufig war, aus der Luft entfernt. Auf diese Weise hat die Photosynthese die Zahl der Streukörper in der Atmosphäre auf blau-freundliche Werte verringert. Da das Kohlendioxid in der Atmosphäre als Treibhausgas wirkt, kühlte die Abnahme dieses Gases die Erdoberfläche auf den heutigen Mittelwert von 15°C ab. So ist das Blau ein sichtbares Zeichen für die Oase geworden, die sich das Leben auf der Erde geschaffen hat. Man kann spekulieren, dass die Erde vor etwa 500 Millionen Jahren zum blauen Planeten wurde. Nachdem die Ozonschicht entstand – und mit ihr das Blau der Dämmerung – wurden die Kontinente von Tieren besiedelt, deren Vorfahren in den Meeren gelebt hatten. Das Licht des Himmels ist deshalb nicht nur ein Spiegel atmosphärischer Schwankungen, sondern auch ein Ergebnis der außergewöhnlichen Entwicklung unseres Planeten.

 

Literatur
  • Adams, C.N./Plass, G.N./Kattawar, G.W. (1974): The Influence of Ozone and Aerosols on the Brightness and Color of the Twilight Sky, Journal of the Atmospheric Sciences, 31: 1662–1674
  • Anderson, S.M./Mauersberger, K. (1995): Ozone Absorption Spectroscopy in Search of Low-lying Electronic States, Journal of Geophysical Research, D100: 3033–3048
  • „Die kleine Eiszeit“: Holländische Landschaftsmalerei im 17. Jahrhundert, Berlin: Staatliche Museen Berlin, Preussischer Kulturbesitz 2001
  • Dubois, J. (1951): Contribution a l’Étude de l’Ombre de la Terre, Annales de Géophysique, 7: 103–135
  • Hoeppe, Götz (1999): Blau: Die Farbe des Himmels, Heidelberg: Spektrum Akademischer Verlag
  • Hoeppe, Götz (2001): Die blaue Stunde des Ozons, Sterne und Weltraum, 8/2001, 632–639
  • Hulburt, E.O. (1953): Explanation of the Brightness and Color of the Sky, Particularly the Twilight Sky, Journal of the Optical Society of America, 43: 113–118
  • Kasting, James F. (1993): Earth’s Early Atmosphere, Science, 259: 920–926
  • Kasting, James F./Siefert, Janet (2001): Life and the Evolution of Earth’s Atmosphere, Science, 296: 1066–1068
  • Keen, Richard (1983): Volcanic Aerosols and Lunar Eclipses, Science, 222: 1011–1013
  • Lamb, H. H. (1970): Volcanic Dust in the Atmosphere; With a Chronology and Assessment of its Meteorological Significance, Philosophical Transactions of the Royal Society, A266: 425–533
  • Lynch, David K./Livingston, William (2001): Color and Light in Nature, Cambridge: Cambridge University Press
  • Malberg, Horst (1993): Bauernregeln aus meteorologischer Sicht, Berlin: Springer-Verlag
  • Neuberger, Hans (1970): Climate in Art, Weather, 25: 46–56
  • Rampino, M. R./Self, S. (1982): Historic Eruptions of Tambora (1815), Krakatau (1883) and Agung (1963): Their Stratospheric Aerosols and Climatic Impact, Quaternary Research, 18: 127–143
  • Sassen, K./Peter, T./Luo, B. P./Crutzen, P. J. (1994): Volcanic Bishop’s ring: Evidence for a sulfuric acid tetrahydrate
  • particle aerosol, Applied Optics, 33: 4602–4606
  • Seibold, Ursula (1990): Meteorology in Turner’s Paintings, Interdisciplinary Science Reviews, 15: 77–86
  • Symons, G. J. (1888): The Eruption of Krakatoa and Subsequent Phenomena: Report of the Krakatoa Committee of the Royal Society, London: Royal Society