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Medien, Politik und Terror: „Durchschaubare Reflexe“.

Interview mit Klaus Beck

13.10.2016

Wie wird hierzulande über Terror berichtet, wie ändert sich der politische Diskurs in Krisenzeiten – und wie reagieren Politik und Medien auf Anschläge? Die Betreiber des deutsch sprachigen Blogs „netzpolitik.org“, das wichtige Fragestellungen rund um Internet, Gesellschaft und Politik thematisiert, befragten dazu Klaus Beck, Professor am Institut für Publizistik- und Kommunikationsforschung der Freien Universität Berlin.

Die Terroranschläge von Paris hatten auch hierzulande Einfluss auf die Art der Berichterstattung.

Die Terroranschläge von Paris hatten auch hierzulande Einfluss auf die Art der Berichterstattung.
Bildquelle: iStockphoto.com / Flory

netzpolitik.org: Nach den Ereignissen der vergangenen Monate diskutieren wir wieder, wann Straftaten als Terroranschläge bezeichnet werden sollten. Können wir hierzulande eine Entgrenzung des Terrorbegriffes beobachten?

Klaus Beck: Ich denke schon. Das würde ich in erster Linie aber zunächst gar nicht nur auf die Medienberichterstattung beziehen. Da ist es momentan natürlich so ein bevorzugtes Schema, immer zuerst die Frage zu beantworten, ob es nun Terror – und vor allem islamistischer Terrorismus – ist oder nicht. Aber die eigentliche Entgrenzung des Terrorbegriffs findet ganz woanders statt, nämlich auf Seiten jener politischen Akteure, die mit Sicherheitsargumenten Freiheitsrechte, Bürgerrechte und Menschenrechte einschränken wollen. Der Ausgangspunkt, zumindest in der jüngeren Geschichte, ist hierfür der 11. September, mit dem darauffolgenden Krieg gegen Terror und seinen maßlosen Überziehungen, den gefälschten Beweisen als Grundlage für Interventionskriege und so weiter. Dass das funktioniert, hat sich halt herumgesprochen, und mittlerweile behaupten auch Putin oder Erdogan, dass sie unter terroristischen Bedrohungen leider gezwungen sind, Grundrechte einzuschränken, Journalisten zu verhaften und Gerichte zu entmachten.

netzpolitik.org: Lässt sich das so auch auf die Situation in Deutschland übertragen?

Klaus Beck: Auch bei uns wird das Argument, dass es eine terroristische Bedrohung gibt, die ich gar nicht leugnen möchte, genutzt, um klassische Forderungen zu erheben: eine stärkere Zusammenarbeit von Polizei und Verfassungsschutz bei Überwachungsmaßnahmen, die internationale Zusammenarbeit von Sicherheitsbehörden, die Vernetzung von europäischen Datenbanken, der Einsatz der Bundeswehr im Inneren. Nehmen wir als jüngstes Beispiel München: Da geht es gar nicht um Terrorismus, wie wir jetzt wissen, sondern um einen Amokläufer. Das hält aber diverse Politiker nicht davon ab, zu sagen, dass wir jetzt auf jeden Fall Einsätze der Bundeswehr im Inneren brauchen.

netzpolitik.org: Was macht dieses Framing mit dem politischen Diskurs, wenn jetzt so viele Ereignisse, deren Zusammenhänge wir nicht kennen, automatisch und fast ausschließlich im Rahmen von Terrorismus besprochen werden?

Klaus Beck: Wenn nur die üblichen Akteure das bekräftigen, was sie immer schon zu allen passenden und unpassenden Gelegenheiten gefordert haben, entzieht das dem politischen Diskurs die sachliche Grundlage. Jeder kocht sein Süppchen: Die Gewerkschaft der Polizei sagt, wir brauchen besser bezahlte Polizisten mit besserer Ausstattung, aber die Bundeswehr brauchen wir nicht. Die Bundeswehr sagt im Zweifel: Wir könnten aber auch etwas tun. Also alles Partialinteressen, die sich artikulieren, die aber nicht mehr wirklich in einem argumentativen Kontext miteinander stehen. Dieses Abrufen von bekannten Positionen, die häufig auch noch relativ schlecht argumentativ begründetet werden, hat zwei schädliche Folgen: Erstens werden die politischen Probleme nicht gelöst, inklusive der Sicherheitsprobleme. Und zweitens verliert die Politik weiter an Glaubwürdigkeit, weil auch wirklich jeder Rezipient durchschaut, welche Reflexe ein Gewerkschaftsvertreter, ein CSU-Politiker oder ein Polizeipräsident hat. Irgendwann erreicht das einen Punkt, an dem man das nicht mehr ernst nimmt.

netzpolitik.org: Wie könnte man den medialen Diskurs denn fruchtbarer führen? Was wären denn Alternativen, auch in der Berichterstattung?

Klaus Beck: Terrorismus funktioniert natürlich nur mit medialer Resonanz: Wenn ich Schrecken verbreiten will, brauche ich Multiplikatoren. Terroristen sind also zwingend auf Medien angewiesen, egal ob sie jetzt auf Journalisten setzen, ob sie auf eh schon isolierte Gruppen oder Individuen abzielen, bei denen sie mit ihrer Social- Media-Strategie Prozesse der Selbstradikalisierung auslösen wollen. Aber die journalistischen Medien kommen da nur sehr schwer raus, weil sie in einem konstanten Konkurrenzverhältnis stehen. Nachrichtenunterdrückung ist weder eine ökonomisch vernünftige Strategie noch ist es eine ethisch wünschenswerte. Es gibt in der Praxis schwer implementierbare Konzepte wie das des „Friedensjournalismus“, das früher im Kontexte bewaffneter zwischenstaatlicher Konflikte verhandelt wurde. Es geht davon aus, dass bewusst multiperspektivisch berichtet werden muss, ohne dass man sich direkt dem Vorwurf ausgesetzt sieht, Verständnis für Kriegsgegner oder eben Terroristen zu zeigen. Es muss möglich sein, auch die Perspektiven von Straftätern deutlich zu machen – analytisch beschreibend, nicht sympathisierend. Nur dann kann es gelingen, Konflikte zu verstehen. Das heißt ganz konkret: Wir bräuchten mehr Hintergrundberichterstattung. Aber die ist teuer, und die Finanzierungskrise des Journalismus ist bekannt. Deswegen ist das leider nicht unbedingt die realistischste Perspektive, aber ich denke, das ist die einzige Möglichkeit, dieses Schema zu durchbrechen.

netzpolitik.org: Wir erleben gleichzeitig ja eine entgegengesetzte Entwicklung, einen Zirkel der Beschleunigung. Die Online-Medien schalten auf Krisenmodus, schmeißen den Live-Ticker an und versuchen immer wieder zu erklären, was man womöglich weiß und was nicht.

Klaus Beck: Es gibt aber eben auch eine Nachfrage danach. Die Leute holen sich ihre Push-Nachrichten aufs Handy und werden dann von allen möglichen Dingen, die so aussehen wie Terror oder entsprechend geframet werden, erreicht. Und offensichtlich möchten sie das auch. Für die Anbieter bleibt es erstmal ein Wettrennen. Das ist aber auch kein völlig neues Phänomen, das verschärft sich jetzt einfach. Medien sind auch früher nicht immer der Anforderung gerecht geworden, zwischen Ereignis und Bericht eine Reflexionsphase und eine Prüfungsphase einzubauen, wie es journalistischen Qualitätskriterien entspricht.

Klaus Beck: Die Gesellschaft braucht noch viel Zeit, um eine Social-Media-Ethik zu entwickeln.

Klaus Beck: Die Gesellschaft braucht noch viel Zeit, um eine Social-Media-Ethik zu entwickeln.
Bildquelle: Bernd Wannenmacher

netzpolitik.org: Welche Rolle spielen dabei soziale Medien, wo ja nicht nur Berichterstattung stattfindet, sondern auch die emotionale Aufladung der Ereignisse, etwa dadurch, dass Menschen ihre Profilbilder anpassen oder ähnliches?

Klaus Beck: Klicktivismus ist natürlich rasch gemacht und verpflichtet einen zu nichts, wie viele Self-Marketing- Maßnahmen im Social-Web. Gerade noch während solche Ereignisse laufen, ist es aber ein unglaublicher Verstärker von Gerüchten. Wenn die Münchner Polizei aufgrund von Social-Media-Gerüchten fälschlicherweise einen Großeinsatz am Stachus durchführt, dann merkt man, dass das eben auch real schädlich sein kann. Da braucht eine Gesellschaft auch Zeit, um eine entsprechende Social-Media-Ethik zu entwickeln, von der wir noch relativ weit entfernt sind. Mir geht es dabei aber nicht darum, Social Media zu verdammen. Der Einsatz von Social Media durch die Münchner Polizei war zum Beispiel wegweisend. Das ist ein Frühwarnsystem, das den Social-Media-Strom auch ein bisschen erden kann und den Leuten eine seriöse Alternative bietet, die auch mehr Glaubwürdgkeit hat in so einer Situation.

netzpolitik.org: Stichwort Social-Media-Ethik: Was halten Sie von der Initiative, Twitter im Krisenfall mit Katzenbildern statt mit Terrorberichterstattung zu füllen?

Klaus Beck: Das ist als eine Art Notwehr, als Selbstregulierung sicher kurzfristig hilfreich. Aber das kann langfristig keine gute Strategie sein, in solchen Situationen alles mit Bedeutungslosigkeit zuzumüllen. Ich habe da aber auch kein Patentrezept, und es gibt auch niemanden, der sich jetzt hinsetzt und an Konzepten arbeitet. Bislang ist es ein Aushandlungsprozess der User untereinander.

Das Gespräch führte Ingo Dachwitz


Der Wissenschaftler

Prof. Dr. Klaus Beck

Klaus Beck ist seit 2007 Professor für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft an der Freien Universität Berlin, von 2009 bis 2011 war er dort auch Dekan des Fachbereichs Politik- und Sozialwissenschaften, von Mai 2013 bis Juli 2014 deren Vizepräsident. In seiner wissenschaftlichen Arbeit beschäftigt er sich vor allem mit Kommunikationspolitik und Medienökonomie, Medienethik, computervermittelter Kommunikation sowie mit Kommunikations- und Medientheorie. Seit 2015 leitet er unter anderem das DFG-Projekt „Regionale Pressevielfalt in Deutschland und Österreich 1995 – 2015“.

Kontakt

Freie Universität Berlin
Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft
Arbeitsstelle Kommunikationspolitik/Medienökonomie
E-Mail: klaus.beck@fu-berlin.de