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Die Heilung in Gedanken

Meditation hält Einzug in die Schulmedizin, dank einer Vielzahl neuer neurowissenschaftlicher Untersuchungen. Forscher und Forscherinnen der Freien Universität Berlin versuchen herauszufinden, wie Meditation bei Depressionen wirkt

08.10.2014

Forscher und Forscherinnen am Cluster „Languages of Emotion“ der Freien Universität Berlin versuchen herauszufinden, wie Meditation bei Depressionen wirkt – und wie sie Betroffene vor Rückfällen schützt

Forscher und Forscherinnen am Cluster „Languages of Emotion“ der Freien Universität Berlin versuchen herauszufinden, wie Meditation bei Depressionen wirkt – und wie sie Betroffene vor Rückfällen schützt
Bildquelle: photocase/madochab http://www.photocase.de/foto/185011-stock-photo-mensch-mann-natur-wasser-stadt-ferien-urlaub-reisen

Oft geht es um komplizierte Frau-Mann-Beziehungen, meistens um verworrene Familienkonstellationen, Sex und soziales Auf und Ab. Und immer auch um Depressionen. Wie ein grauer Faden durchziehen sie nicht nur Woody Allens Filme, sondern auch das Leben des Regisseurs und Schauspielers.

Aus seiner depressiven Neigung machte der mehrfache Oscar-Preisträger nie ein Geheimnis. Er denke täglich über den fehlenden Sinn seines Lebens nach und rechne stets mit dem Schlimmsten, sagte er einmal. Er fühle sich, als köchle er „beständig auf einer kleinflammigen Depression dahin“. Wenig verwunderlich also, dass bei der Erforschung von Depressionen und ihren Entstehungsbedingungen Anfang der Neunziger bald von einem „Woody-Allen-Gen“ die Rede war.

Mit Genen beschäftigt sich der Psychologe Thorsten Barnhofer nicht. Sondern mit der Rolle, die unser Gehirn bei der Entstehung von Depressionen spielt. Am Exzellenzcluster „Languages of Emotion“ der Freien Universität Berlin erforscht der Wissenschaftler, wie die eigenen Denkprozesse den Verlauf der Krankheit beeinflussen. Denn bei Depressionen sei vor allem die Frage entscheidend, ob die Krankheit einmalig auftritt oder wiederkommt. Epidemiologische Studien aus den USA etwa zeigten, dass jede Depression einen späteren Rückfall wahrscheinlicher macht. „Schätzungen gehen davon aus, dass schon nach drei depressiven Episoden das Risiko eines Rückfalls über 80 Prozent liegt“, sagt Thorsten Barnhofer.

Machen Depressionen also erst recht depressiv? Tatsächlich verändern sich die Auslösemechanismen bei Depressionen mit der Zeit. Während Patienten das erste Auftreten einer Depression noch mit einer Trennung, dem Verlust von Angehörigen oder einem anderen belastenden Ereignis in Verbindung bringen, ist der Auslöser bei Rückfällen längst nicht so klar erkennbar. Wer einmal in den Strudel depressiver Gedanken geraten ist, erlebt dann scheinbar grundlos wieder die Gefühle von Trauer, Niedergeschlagenheit oder Antriebslosigkeit, die typisch für eine Depression sind. „Am besten lässt sich das mit Lernprozessen erklären“, sagt Thorsten Barnhofer. Je öfter das Gehirn etwa negative Denkmuster abspult, umso schneller würden sie zur Gewohnheit. Wer also wie Woody Allen täglich grübelt und seinen negativen Gedanken nachhängt, schaltet auch schneller um in eine schwere Depression. Wie ein Autopilot, der nur ein Programm beherrscht: Den seelischen Sinkflug. Um dieses Programm gleichsam umzuschreiben und das Rückfallrisiko zu reduzieren, untersuchen Barnhofer und sein Team am „Dahlem Institute for Neuroimaging of Emotion“ jetzt die Effekte eines Trainings in Achtsamkeitsmeditation.

Aus seiner depressiven Neigung machte der mehrfache Oscar-Preisträger Woody Allen nie ein Geheimnis. Er fühle sich, als köchle er „beständig auf einer kleinflammigen Depression dahin“, sagte der Schauspieler.

Aus seiner depressiven Neigung machte der mehrfache Oscar-Preisträger Woody Allen nie ein Geheimnis. Er fühle sich, als köchle er „beständig auf einer kleinflammigen Depression dahin“, sagte der Schauspieler.
Bildquelle: iStockphoto/EdStock

Die Forschung zu dieser Art der kognitiven Therapie erlebt in den USA und in Großbritannien seit etwa zehn Jahren einen Boom. Barnhofer forschte zuletzt in Oxford am Lehrstuhl für Psychiatrie bei Professor Mark Williams, einem der Begründer der Achtsamkeitsbasierten Kognitiven Therapie, kurz MBCT. Dabei geht es vor allem darum, die eigenen Denkprozesse zunächst achtsam und ohne Wertung zu beobachten. Und selbst zu erkennen, wann die Gedanken in grundloses Grübeln abdriften. Um dann, im nächsten Schritt, bewusst aus dem Gedankenkarussell auszusteigen.

Die Übungen trainieren eine aufmerksame Haltung, die auf die Gegenwart gerichtet ist – und nicht auf Vergangenheit oder Zukunft. Wie bei jeder Form der Meditation macht auch bei MBCT erst Übung den Meister. Denn der „mentale Muskel“ wachse erst durch gewisse Regelmäßigkeit und Ausdauer, sagt Barnhofer. Etwa eine Stunde täglich müssten Programmteilnehmer täglich trainieren, bis das Gehirn seine alten Denkmuster Stück für Stück durch neue ersetze. Dass sich der Aufwand lohnt und das Verfahren wirksam ist, belegen mittlerweile viele Studien.

Wissenschaftliches Aufsehen erregten vor allem die anglo-amerikanischen Forschungsergebnisse, die in den Jahren 2000 und 2004 veröffentlicht wurden, unter anderem im renommierten Journal of Consulting and Clinical Psychology. Mit dem mehrwöchigen Meditationsprogramm konnten die Studienteilnehmer mit Depressionen ihr Rückfallrisiko beinahe halbieren. Mittlerweile hat MBCT als Therapie in einigen Ländern einen Siegeszug angetreten. Vor allem im streng durchkalkulierten, evidenzbasierten Gesundheitssystem Großbritanniens gelten achtsamkeitsbasierte Verfahren als große Hoffnung im Kampf gegen psychische Erkrankungen, sagt Barnhofer. Schließlich könne das vergleichsweise kostengünstige Verfahren nicht nur bei Depressionen eingesetzt werden.

Auch bei Angst, Stress, ADHS und Schmerzen zeigten Studien gute Erfolge. „Es ist eine der größten wissenschaftlichen Erfolgsgeschichten der letzten zwanzig Jahre“, sagt Barnhofer. Die Studie, die Thorsten Barnhofer mit seinem Team jetzt an der Freien Universität durchführt, soll zu einen Teil der großen Frage beantworten, warum Meditation offenbar dort Erfolg hat, wo Psychopharmaka und andere Therapieformen versagen. Dazu wurden Patienten mit Depressionen gesucht, die an einem 14-tägigen Training in Achtsamkeitsmeditation teilnahmen. Vor und nach dem Programm wurden ihre Denkprozesse und ihre Fähigkeit zur Aufmerksamkeit genau untersucht – unter anderem mit Fragebögen, Reaktionstests oder funktioneller Magnetresonanztomographie (fMRT). Die Bilder, die das Gerät liefert, zeigten zum Beispiel, welche Bereiche des Gehirns im Ruhezustand besonders aktiv sind. Sie geben Aufschluss über automatische Prozesse wie das Wandern des Geistes oder das Abgleiten ins Grübeln, von Fachleuten auch Rumination genannt.

Die Berliner Wissenschaftler interessieren sich speziell für die allerersten Veränderungen, die die Achtsamkeitsmeditation im Gehirn bewirkt – und wo sie ansetzen. Auf den Bildern aus dem fMRT analysieren die Forscher deshalb vor allem Hirnareale, die bei der Entstehung von Depressionen eine Rolle zu spielen scheinen. Im Blick haben sie etwa eine Region, in der unser sogenanntes Konfliktmonitoring abläuft: den anterioren cingulären Kortex (ACC). Er dient als wichtige Vermittlungsstation zwischen sensorischen und regulatorischen Prozessen. Verarbeitet werden hier zum Beispiel unterschiedliche Handlungsmöglichkeiten, aber auch die Diskrepanz zwischen dem, was ist und dem, was sein soll. „Schon nach wenigen Stunden Training in Achtsamkeitsmeditation kann man in diesem Areal veränderte Muster erkennen“, sagt Barnhofer.

Die Ergebnisse der von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderten Studie sollen 2015 publiziert werden. Bis die Achtsamkeitsforschung in Deutschland ähnliche Aufmerksamkeit genießt wie in Großbritannien oder den USA, wird es sicher noch länger dauern. Thorsten Barnhofer ist jedoch überzeugt, dass auch in Deutschland das Potenzial von Achtsamkeitstrainings in Forschung und Anwendung entdeckt werden wird. Auch dabei geht es schließlich um Denkmuster. Und die können sich ändern. Mit der Zeit.

 

Der Wissenschaftler

Dr. Thorsten Barnhofer

Acht Jahre lang arbeitete Dr. Thorsten Barnhofer in Oxford am Department of Psychiatry an der klinischen Erforschung der Mindfulness-Based Cognitive Therapy (MBCT). Zuletzt forschte er zu Achtsamkeits-basierten Verfahren am Institute of Psychiatry des Londoner King’s College. Als Heisenberg- Stipendiat arbeitet er nun am Dahlem Institute for Neuroimaging of Emotion der Freien Universität Berlin zu Achtsamkeits- basierten Verfahren in der Behandlung emotionaler Störungen.

Kontakt: Freie Universität Berlin Forschungszentrum Languages of Emotion E-Mail: thorsten.barnhofer@fu-berlin.de