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Das Alter sichern

Dem Arbeits- und Beschäftigungssystems steht ein tiefgreifender Wandel bevor, mit teilweise dramatischen Auswirkungen auf die Alterssicherung. Vor allem Frauen sind von Altersarmut bedroht. Ein Problem, das Wissenschaft und Politik beschäftigt.

13.12.2013

Vor allem Frauen sind von Altersarmut bedroht. Ein Problem, das Wissenschaft und Politik beschäftigt.

Vor allem Frauen sind von Altersarmut bedroht. Ein Problem, das Wissenschaft und Politik beschäftigt.
Bildquelle: marc hericher / fotolia

Es klingt nach einer guten Nachricht: Immer mehr Frauen arbeiten. Und immer mehr Frauen sind bestens ausgebildet. Dennoch arbeiten die wenigsten von ihnen in Vollzeit- Jobs. Ein Wandel des Arbeits- und Beschäftigungssystems mit teilweise dramatischen Auswirkungen auf die Alterssicherung. Vor allem Frauen sind von Altersarmut bedroht. „Die Politik muss dieses Problem erkennen“, sagt Barbara Riedmüller, Professorin für Sozialpolitik an der Freien Universität Berlin. Wenn das Rentensystem nicht kollabieren solle, dann sei es an der Zeit, alle gut ausgebildeten Frauen in Vollbeschäftigung zu bringen. Anders könnten die Folgen des Strukturwandels im Arbeits- und Beschäftigungssystem nicht mehr bewältigt werden. Die Ergebnisse der letzten Studie der Rentenexpertin, die auf Daten des Sozioökonomischen Panels und der Rentenversicherung basieren, sollen aber nicht nur politische Akteure alarmieren. Sondern insbesondere jüngere Frauen zum Handeln ermutigen.

Noch vor 60 Jahren waren in Deutschland die Rollen klar verteilt: der Mann ging arbeiten, die Frau blieb zu Hause. Männer verstanden sich als Versorger, die sich nicht nur um die Kinder, sondern auch um die Ehefrau zu kümmern hatten. Ein Modell für Partnerschaften, in dem Fürsorge und Abhängigkeit oft dicht beieinander liegen. Oft waren Frauen nach ihrem 65. Geburtstag von der Rente des Ehemanns abhängig und damit auch von der Beziehung. Und zwar oft auch über den Punkt hinaus, an dem der Tod sie hätte scheiden können: ohne Ehemann und dessen Rente später auch keine Witwenrente.

Dieses antiquierte Frauenmodell, heute meist kurz mit dem Dreiklang „Kinder, Küche, Kirche“ zusammengefasst, hat sich mittlerweile gewandelt. Doch auch neue Rollenbilder und Modelle für Partnerschaften haben bisher nicht dafür gesorgt, dass die Abhängigkeit ebenfalls der Vergangenheit angehört. Barbara Riedmüller, Professorin für Sozialpolitik und Komparatistik, hat sich mit diesem Sachverhalt innerhalb eines Forschungsprojekts auseinandergesetzt.

In der Studie „Die Lebens- und Erwerbsverläufe von Frauen im mittleren Lebensalter. Wandel und rentenpolitische Implikation“, die von der deutschen Rentenversicherung gefördert wurde, hat sie 12.000 Haushalte nach ihren Erwerbs- und Einkommensbedingungen ausgewertet. Die Ergebnisse belegen eindrucksvoll, wie sehr sich immer mehr Frauen in den vergangenen Jahren um eine größere Teilhabe auf dem Arbeitsmarkt und ein Ende der Abhängigkeit bemüht haben.

Schon bei den Frauen in der Babyboomer-Generation lässt sich dieser Paradigmenwechsel erkennen: Blickt man auf die Biographien der heute 50- bis 60-Jährigen zurück, also jener Generation, die zu Wirtschaftswunderzeiten aufgewachsen ist, zeigt sich, dass viele dieser Frauen Teil- oder Vollzeitbeschäftigungen ausübten. Frauen machten sich immer weniger vom Einkommen ihrer Ehemänner abhängig.

Nicht immer war und ist der Grund jedoch alleine die zunehmende Emanzipation, sondern bisweilen auch schierer Pragmatismus: Wegen sinkender Einkommen mussten und müssen mittlerweile immer häufiger beide Ehepartner ihren Anteil zum gemeinsamen Haushalt beitragen. Doch trotz der stärkeren Produktivität von Frauen muss man erkennen, dass sich in vielen Fällen Frauen nur als Dazuverdiener verstehen und Billig-Jobs ausüben, obwohl sie oftmals ähnlich ausgebildet sind wie ihre männlichen Partner.

Das resultiert dann in niedrigen Sozialabgaben und in Folge dessen in einem niedrigen Rentenanspruch. Oft führt das zu einem problematischen Abhängigkeitsverhältnis – und bei Scheidung nicht zuletzt zu unerwarteter (Alters)armut. Trotzdem entscheiden sich immer noch nicht alle Frauen in Deutschland für eine Vollzeitbeschäftigung. Das liegt auch an den politischen Bedingungen. „Deutschland ist eines der frauenfeindlichen Länder Westeuropas“, sagt die Wissenschaftlerin. „Das hängt einerseits mit politischer Diskriminierung zusammen, andererseits gibt es kulturelle Paradigmen, die zu diesem Defizit führen.“

Die Borniertheit in den Köpfen hätte bis heute überlebt, obwohl sich die Zeiten geändert hätten. Die Politik müsse Anreize schaffen für eine lange und vollständige Erwerbstätigkeit der Frau. Das sei gerade jetzt entscheidend – in einer Zeit, in der der demografische Wandel das Rentensystem vor erhebliche Probleme stellt. Das System brauche gut qualifizierte Einzahler in Vollbeschäftigung.

Viele Frauen jedoch, gerade wenn sie Kinder kriegen, bleiben dem Arbeitsmarkt lange oder für immer fern. Diese Frauen würden dann zu Hause bleiben und sich trotz hervorragender Qualifikationen für die Familie entscheiden – eine Verschwendung von Ressourcen, findet Riedmüller. Die Politik fördere das: Frauen, die in der Ehe nicht oder nur geringfügig beschäftigt sind, werden von der Krankenversicherung des Ehepartners mitfinanziert.

Bei Beamten ist ein Zuverdienst der Frau von 18.000 Euro jährlich erlaubt, ohne dass der Ehemann finanzielle Steuereinbußen erleidet. „Das schafft falsche Anreize“, sagt die Rentenexpertin. Gleiches gelte für das Ehegattensplitting, das vor allem besserverdienende Männer mit erwerbslosen Frauen begünstige. Elterngeld und Erziehungszeit seien ebenso falsche Subventionsmaßnahen, die die Frauen dazu verführten, dem Arbeitsmarkt lange fernzubleiben.

„All das führt zu einer Aufrechterhaltung der ehelichen Abhängigkeit“, sagt die Wissenschaftlerin, die als Berliner Senatorin für Wissenschaft und Forschung relevante Erfahrungen in der Praxis gesammelt hat. Die Abhängigkeit endet oftmals fatal, weil immer mehr Ehen geschieden werden. Partnerschaften und Familien werden instabiler. Gleichzeitig beruht die Gesetzgebung zur Rente und die politische Behandlung von Mann und Frau immer noch auf Paradigmen aus den Fünfzigerjahren. Nach einer Scheidung steht die Frau, die statistisch gesehen weniger in die Rentenkasse einzahlt als der Mann, im Rentenalter mit einer erschreckend geringen Rente da.

Durchschnittlich bewegt sich die Rente für Frauen um die 500 Euro – also unter dem Lebensminimum. Gleiches gilt für die Witwenrente. „Wenn der gutverdienende Ehemann stirbt, rechnen viele Frauen auf hohes Hinterbliebengeld, doch in Wahrheit fällt dieses sehr gering aus“, sagt Riedmüller.

Auch hier sei Altersarmut die Folge. „Es muss also Frauen bewusst gemacht werden, dass sie sich um ihre Vorsorge selbst kümmern müssen.“ Die Rentenexpertin setzt sich für eine Reform ein, die beide Geschlechter dazu motivieren soll, gleichberechtigt am Arbeitsmarkt teilzunehmen. Die Abschaffung der Steuer- und Sozialversicherungspflicht sowie die Erhöhung der Entgeltgrenze von 325 Euro auf 400 Euro für Minijobs sei ein fatales Signal gewesen.

„Die Minijobs haben zur massiven Ausweitung der geringfügigen Beschäftigung geführt und somit zu Verdienstmöglichkeiten, bei denen keine Rentenansprüche anfallen. Auch hier sind es meistens verheiratete Frauen, die die Jobs ausüben.“ Professorin Riedmüller setzt sich deshalb für den Mindestlohn und für die Abschaffung der Geringfügigkeitsgrenze ein: „Wenn vom ersten Euro an besteuert wird, lohnt sich wieder ein hoher Zuverdienst.“ Und nur wer verdient und Abgaben zahlt, kann im Rentenalter mit einer Absicherung rechnen.

Aber wie verhält es sich mit dem Problem des demografischen Wandels? Neben der Frauenfrage müssen sich Experten mit der Frage beschäftigen, ob in 30 Jahren genug Geld zur Verfügung stehen wird, um alle Rentner zu finanzieren – selbst jene, die sich vormals in Vollzeitbeschäftigung befanden. Wenn es immer weniger Kinder gibt, die das Rentensystem stützen könnten, dann steht das ganze Rentensystem auf dem Spiel.

Frank Schirrmacher strickte aus Fakten und Bedrohungsszenarien den Bestseller „Methusalem-Komplott“. Auch andere Experten und Politiker aller politischen Lager warnen vor den Folgen des demographischen Wandels. Barbara Riedmüller hält das meiste davon für Panikmache: „Deutschland ist eines der produktivsten Länder der Welt. Die Finanzierbarkeit der Rente wäre gegeben, wenn wir alle zur Verfügung stehenden Maßnahmen ausnutzen würden.“ Das beginne schon bei den Kleinsten.

Der kürzlich verabschiedete Rechtsanspruch auf Kita-Plätze sei ein guter Anfang. Nach Ansicht der Expertin müsse man jedoch beim gesamten Bildungsmodell die Erwerbstätigkeit von Frauen berücksichtigen. „Man muss den Rechtsanspruch auch auf Ganztagsschulen ausweiten“, sagt Riedmüller. So wäre für alle Frauen eine Möglichkeit gegeben, nicht mehr zwischen Familie und Karriere entscheiden zu müssen.

Außerdem könnten Frauen dann theoretisch schon wenige Monate nach der Schwangerschaft wieder in das alte Arbeitsverhältnis zurückfinden – und dort auch bleiben. Mit positiven Auswirkungen für die Erwerbsbiografie und die Rentenkassen. „Wenn alle gut ausgebildeten Frauen vollbeschäftigt wären, wäre die Renten-Pyramide jetzt schon ein großes Stück kleiner“, sagt Riedmüller.

Wie eine umfassende Reform aussehen müsste, die die Renten von Männern und Frauen auch in Zukunft sicherstellt würde, davon hat Professor Riedmüller klare Vorstellungen. Ein Drei-Punkte-Plan zur Lösung des Rentenproblems müsste jedenfalls folgendes berücksichtigen: Eine Mindestrente, die sich über Umverteilung und staatliche Unterstützung finanzieren ließe. Mehr Vollzeitbeschäftigung von Frauen.

Und drittens Zuwanderung. Aber auch hier müsste ein Klima der Integration geschaffen werden, damit politische Initiativen nicht sinnlos verebbten. Nur wenn Ausländer am Arbeitsmarkt volle Akzeptanz fänden, würde sich Zuwanderung wirklich lohnen. Für beide Seiten. Ob es dieses Klima der Integration in Deutschland schon gibt und welche Auswirkungen die Zuwanderung für unsere Sozialsysteme hat, diese Antworten stehen noch aus. Vermutlich werden die kommenden Jahre für anstehende Forschungsprojekte eine wichtige Rolle spielen. Denn Zuwanderern ist es zu verdanken, dass die Bevölkerung in Deutschland gerade wieder wächst. Zum ersten Mal, seit vielen Jahren.