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Räume, Meilensteine, Neuanfänge

Interview mit Prof. Dr. Friederike Fless

Friederike Fless ist Professorin am Institut für Klassische Archäologie und „Topoi“-Projektsprecherin für die Freie Universität

Friederike Fless ist Professorin am Institut für Klassische Archäologie und „Topoi“-Projektsprecherin für die Freie Universität

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Friederike Fless ist Professorin am Institut für Klassische Archäologie und Projektsprecherin des Exzellenzclusters "Topoi - – The Formation and Transformation of Space and Knowledge in Ancient Civilizations" für die Freie Universität.

WIR So mancher meint vielleicht, die Antike sei gründlich erforscht und mag sich wundern, dass nun so ein großes Projekt daherkommt und noch einmal von vorn anfängt.

Friederike Fless Gerade die Anfänge sind das Spannende, und Fragen, die heute von großer Relevanz sind, spielten bereits in der Antike eine Rolle. Die Entwicklung der modernen Wissenschaften wie Geografie und Philosophie führte aber dazu, dass Dinge voneinander getrennt sind, die zusammengehören – wie zum Beispiel der Raum und das Wissen über ihn, welches wiederum auf seine Gestaltung, seine Nutzung und seine Wahrnehmung Einfluss hat. Und die veränderten Räume beeinflussen wiederum das Wissen. Es geht dabei auch um das mental mapping, um die Räume in der Vorstellung der Menschen, wenn sie im Raum handelten und ihre Umwelt gestalteten.

WIR Warum ist das relevant für die heutige Zeit?

Fless Für heute können wir nur schwer abschätzen, welche Konsequenzen unser modernes theoretisches Wissen und unsere modernen Möglichkeiten, Räume zu erfassen – etwa durch Google Earth oder GPS im Auto – ganz konkret auf unser Handeln haben. In der Antike hingegen wissen wir, wie man nach und nach Formen ausbildet, den Raum systematisch zu erfassen. Wir kennen die Ergebnisse als abgeschlossene Prozesse – auch in ihrem Scheitern. Im Hellenismus wurde bereits die Möglichkeit entwickelt, Städte auf einer als Kugel gedachten Welt zu verorten, die nach Längen- und Breitengraden geordnet war. Ob dies Auswirkungen auf das konkrete Handeln hatte, ist jedoch höchst umstritten. Die Beschäftigung mit der Antike verspricht aber auch in anderer Hinsicht Erkenntnisgewinn. Wir können nämlich zum einen sich verändernde Naturräume in großer zeitlicher Tiefe untersuchen und außerdem verschiedene Naturräume miteinander vergleichen. Wir können aber auch die Kulturen eines Zeithorizontes oder verschiedener Zeitschichten miteinander vergleichen. Denn Konzepte des Raumes sind kulturgebunden, und so ist das Zusammenspiel von Raum und Wissen entsprechend unterschiedlich.

WIR Welche Art von Räumen untersuchen Sie?

Fless Wir untersuchen zum Beispiel das Umland eines römischen Palastes in Serbien, die sakrale Topographie eines Heiligtums in den Sabiner Bergen oder auch größere Landschaftsräume. Das heißt, wir arbeiten in unterschiedlichen Skalierungen. Eine wichtige Frage ist dabei unter anderem, wie sich ein Zentrum und sein direktes Umland zueinander verhalten. Dabei spielt nicht nur die Rekonstruktion der Umweltbedingungen eine Rolle, sondern auch die bewusste Strukturierung der Landschaft. Die Meilensteine in Spanien etwa dienen nicht nur der alltäglichen Orientierung, sondern sind auch der physische Ausdruck dafür, Macht zu markieren. Man definierte seinen jeweiligen Standort in Bezug auf Rom. Denn dort stand der goldene Meilenstein, von dem aus alles gemessen wurde: „Alle Wege führen nach Rom“.

WIR Um welches Wissen geht es bei „Topoi“?

Fless Wir lesen Landvermesserschriften neu, und wir untersuchen, wie sich die griechische Dichtung nach Alexanders imperialem Ausgriff verändert. Wir werfen einen neuen Blick auf kosmische Modelle, medizinische Schriften, abstrakte philosophische Texte, auf Kartografie, Geometrie, Kosmografie, Mathematik und philosophische Raumdebatten. Zudem erleben wir bei unseren Untersuchungen insgesamt auch den Neuzuschnitt der akademischen Disziplinen. So rekonstruieren Prähistoriker beispielsweise gesellschaftliche Strukturen aus Landschaften und untersuchen deren Entwicklung in der Landschaft. Die klassische Archäologie kennt hingegen die Gesellschaftsstrukturen ihrer Kulturen in ihren Grundzügen. Um diese Bilder feiner zu zeichnen, muss sie die Landschaft als Quelle erst erschließen. Und damit die einzelnen Disziplinen nicht Gefahr laufen, nur in ihrem Feld zu arbeiten, gehen wir bei „Topoi“ anders vor: Forschergruppen arbeiten über Disziplingrenzen hinweg – und damit sind wir auch wieder in der Antike gelandet, in der der Zusammenhang der Disziplinen enger war als heute. Auch insofern ist es nicht ganz falsch zu sagen: Wir fangen noch einmal von vorn an.

Interview: Susanne Weiss