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Zugeflogen

Berlin ist ein bevorzugtes Einwanderungsbiotop für Federvieh aller Art

Die Vögel ergreifen Besitz von der Stadt

Die Vögel ergreifen Besitz von der Stadt
Bildquelle: Gottschalk

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Den Titel „Hauptstadt des Haussperlings“ hält Berlin unter Vogelkundlern schon länger. Aber auch andere Vögel beziehen gerne hier Quartier. Krähen, Turmfalken, Blaumeisen und Steinschmätzer finden sich in der Berliner City offenbar genauso gut zurecht wie in der freien Landschaft.

Verhaltensbiologen der Freien Universität Berlin erforschen, wie die Vögel ihr Verhalten an das Leben in der Großstadt anpassen und was die Hauptstadt als Lebensraum so attraktiv für sie macht.

Als der US-amerikanische Schriftsteller Jonathan Franzen im März 2007 am Flughafen Berlin-Tegel ankam, ging er schnurstracks zu den Bäumen am Flughafenparkplatz. Er wusste, dass sich dort einige Jahre zuvor eine neue Saatkrähenkolonie angesiedelt hatte – die wollte der Hobby-Ornithologe erst beobachten, bevor er sich ein Taxi in die Stadt nahm. Auf die Vögel scheint die Großstadt Berlin eine magnetische Wirkung zu haben. Aus Osteuropa und sogar aus Russland reisen Winterkrähen an, um hier zu überwintern. Und in Berlin ansässige Krähen bleiben der Hauptstadt zunehmend verbunden. Viele der Berliner Krähen übersiedelten früher im Winter in den Süden, heute bleiben sie sogar in der kalten Jahreszeit hier, hat PD Dr. Hans-Jürgen Stork beobachtet. Der Vogelexperte vom Institut für Biologie hat die Tegeler Krähenkolonie und die überwinternden Krähen in den vergangenen Jahren intensiv erforscht – mit dem bloßen Auge und auf dem Radar des Flughafen-Towers, auf dem er die Flugbewegungen des ganzen Schwarms verfolgen kann.

Stork möchte herausfinden, wie die Vögel sich an das Leben in Berlin anpassen, wo sie schlafen, wo sie Futter suchen und wieviel Nachwuchs sie haben. „Dabei ist es wichtig, zwischen den Berliner Krähen und den Winterkrähen zu unterscheiden“, weiß der Biologe. Die Tegeler Krähen suchen ihre Würmer während der Brutzeit vor allem auf dem Flugfeld. Um den Nachwuchs zu versorgen, brauchen sie eine nahe Futterquelle. Im Winter dagegen pendeln sie auch zwischen Stadt und Umland, um auf stadtnahen Äckern und Müllhalden Nahrung zu suchen. Nachtquartier nehmen sie in Mitte. Da haben sie sich die Gegend um den Berliner Dom ausgesucht, wo sie sich an der Abluft aus den Lüftungsschächten wärmen können.

Multikulti

Nicht nur die Krähen haben sich an das Leben in der Stadt angepasst. „In Berlin leben im Vergleich zu anderen Städten sehr viele verschiedene Vogelarten, einige davon in großer Zahl“, sagt PD Dr. Jörg Böhner, Vogelkundler und Biologe in der Arbeitsgruppe Verhaltensbiologie. Mit ihren ausgedehnten Grünflächen und Brachen, mit Wasserflächen und unrenoviertem Mauerwerk bietet die Stadt eine Vielzahl unterschiedlicher Biotope. Da ist für jeden etwas dabei. Sowohl Gebäudebrüter wie der Mauersegler als auch Steinschmätzer, eine sogenannte Offenlandart, kommen auf ihre Kosten.

In einem Forschungsprojekt im Rahmen des Graduiertenkollegs „Stadtökologische Perspektiven einer europäischen Metropole – das Beispiel Berlin“ haben die Landschaftsökologin Dr. Sonja Kübler und Böhner an verschiedenen Vogelarten untersucht, welche Gegenden der Stadt ausreichend Futter für einen guten Bruterfolg bieten. Die Forscher untersuchten dabei die bebaute Innenstadt bis hin zum locker besiedelten Stadtrand im Südosten. Die Mitglieder der Berliner Ornithologischen Arbeitsgemeinschaft (Sprecher: Jörg Böhner) sammelten parallel dazu Daten, wie sich die Vögel verbreiten, wie sich die Bestände entwickeln und wie sie wandern.

Anpassung und Integration

Das Ergebnis überraschte. „Die meisten Vögel passen sich an die Bedingungen der Innenstadt gut an, um überleben und sich fortpflanzen zu können“, sagt Böhner. Turmfalken stellen ihre Diät von Mäusen und kleinen Nagern auf Vögel um, Blaumeisen fühlen sich weder von Hochhäusern noch von Autohupen gestört, solange sie nur ein Fleckchen Grün finden. Und auch der Haussperling, dessen Bestände seit etwa 30 Jahren in den meisten west- und mitteleuropäischen Städten kontinuierlich schrumpfen, kann in der dicht bebauten Innenstadt Berlins bestehen. Das größte Problem ist der Mensch. „Generell müssen die Vögel lernen, mit der ständigen Nähe von Menschen umzugehen, wenn sie sich die Stadt als Lebensraum erschließen“, sagt Böhner. Graureiher und Habichte, die mittlerweile auch in der Stadt leben, haben diese Scheu in den letzten Jahren mehr und mehr abgelegt und lassen Menschen bis auf wenige Meter an sich heran. „Außerhalb der Stadt wäre das undenkbar“, sagt Böhner. Am Ende profitieren die Stadtvögel davon. Weniger Scheu erhöht den Zugang zu Nahrung und erleichtert es, im Winter ein warmes Plätzchen in der Nähe von Häusern zu finden.

Die Vogelkundler stellen ihre Daten aus der Welt der Stadtvögel auch der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung zur Verfügung. Sie dienen als wissenschaftliche Grundlage für Entscheidungen im städtischen Umweltschutz. Und Berlin scheint auf dem richtigen Weg zu sein, auch in Zukunft die Hauptstadt der Vögel zu bleiben. „Der Senat genehmigt Hausrenovierungen konsequent unter der Auflage, angemessenen Ersatz für vorhandene Nist- und Futterplätze der Vögel zu schaffen“, sagt Böhner. Zum Teil aber sei der artenschützerische Erfolg der Hauptstadt auch unfreiwillig, glaubt der Biologe. Denn seit über der Berliner Senatsverwaltung für Finanzen die Pleitegeier kreisen, stehen schlicht keine Mittel zur Verfügung, um die Stadt totzurenovieren. Böhner: „Berlin ist im positiven Sinne ungepflegt.“

Dennoch muss die Berliner Vogelwelt gelegentlich auch Rückschläge einstecken. Seit nämlich 2005 die offenen Mülldeponien geschlossen wurden, gibt es auch weniger Krähen in der Stadt. „Früher waren es rund 80.000, heute überwintern etwa noch 20.000 Vögel in der Stadt“, sagt Hans-Jürgen Stork. Und auch an ihrem Schlafplatz wurde es den Berliner Krähen einmal zu bunt – zum Jahreswechsel von 1990 auf 1991. Die ausgelassenen Silvester-Feiern nach der Wiedervereinigung brachten die Vögel um den Schlaf. Da verließen die Vögel die tobende Stadt. Vorübergehend.

DVR