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Amerikanisches Nord-Südgefälle (I. Teil)

In Nordamerika spielt man keinen Fußball, man spielt Soccer

Dr. Petra Dolata-Kreuzkamp

Dr. Petra Dolata-Kreuzkamp

Dr. Petra Dolata-Kreutzkamp ist Historikerin am John F. Kennedy-Institut, Foto: von Richthofen

Dr. Petra Dolata-Kreutzkamp ist Historikerin am John F. Kennedy-Institut, Foto: von Richthofen

„Football“ ist hingegen eine Sportart, bei der man mit einen eiförmigen Ball in den Armen über das Spielfeld rennt. „Soccer“ entstammt der zweiten Silbe des Wortes Association (Verband). Im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert nannte man Fußball „Association Football“, nach der im Jahre 1863 in England gegründeten Football Association.

In Amerika spielt Mann keinen Fußball. In Amerika wird zwar Fußball gespielt – aber zumeist von Kindern und Frauen. Der amerikanische Frauenfußball ist sehr erfolgreich, und die US-Kickerinnen zählen zu den weltweit besten Teams. 1999 waren sie sogar Weltmeister. Längst ist das Fußballtraining integraler Bestandteil des Lebens einer durchschnittlichen amerikanischen Mittelstandsfamilie. Die so genannten Soccer Moms, nicht erwerbstätige Vorstadtmütter, die ihre wohlbehüteten Kinder zum Training fahren und sie bei den Spielen anfeuern, sind bereits zum Objekt soziologischer Studien geworden.

In Amerika spielt man keinen Fußball. Doch, man spielt zwar, aber man spricht nicht darüber. Fußball eignet sich nicht für den Small Talk im Büro oder auf der Cocktail Party. Und im Fernsehen schaut man sich die „großen Dreieinhalb“ an: Football, Baseball, Basketball und – das Halbe – Hockey. Hier werden Mythen geschrieben, hier triumphiert Amerika! Und darüber redet man! Fußball gehört einfach nicht dazu. Es gibt nicht die Emotionen und Rituale, wie man sie beim Baseball oder – in Kanada – beim Hockey kennt. Über Fußball definiert die Nation sich nicht.

Trotz Globalisierung stehen die USA dem Rest der Welt in Sachen Fußball-Enthusiasmus nach. Amerikanische Popkultur breitet sich bis in die entlegensten Ecken der Welt aus. Menschen in Berlin, Rio de Janeiro und New York lesen dieselben Bücher, hören dieselbe Musik und sehen dieselben Filme, aber sie begeistern sich nicht für den selben Sport. Hier manifestiert sich ein zentraler Unterschied zwischen Nordamerika und Europa, ja dem Rest der Welt. Wie kam es dazu?

Unamerikanische Spieltriebe

Amerikanische Begründungen sind ganz unterschiedlich: Fußball ist langweilig, ineffizient, defensiv, kurz ein un-amerikanischer Sport. Denn schließlich ist man selbst zielstrebig, ergebnisorientiert, offensiv, risikofreudig. Es kommt kaum zu Toren und zu vielen unentschiedenen Ergebnissen, und es gibt auch nur wenige Pausen während eines Spiels – ein Todesurteil im kommerzialisierten Amerika! Auch für die geliebte Statistik gibt der Sport nichts her. Qualitative Aspekte wie spielerische Anmut, perfekte Raumaufteilung, genaue Pässe, Taktik und Strategie spielen keine Rolle.

In Anlehnung an Werner Sombarts berühmten Aufsatz von 1906 „Warum gibt es in den Vereinigten Staaten keinen Sozialismus“ hat der Soziologe Andrei S. Markovits untersucht, warum es in den USA keinen Fußball gibt. Für ihn war Fußball als Sportart in der entscheidenden Formationsphase amerikanischer Massenkultur von 1870-1930 schlecht positioniert. In Amerika habe sich eine Bürgerlichkeit entwickelt, die sich nicht in Abgrenzung zur Aristokratie definieren musste. Im Mutterland des Fußballs war dies einer der Gründe für den erfolgreichen Aufstieg. Außerdem galt in Zeiten eines aufkeimenden Nationalismus Fußball als fremd und als verhasst englisch. Das waren zwar auch die „amerikanischen“ Sportarten Football und Baseball, die auf das englische Rugby und Rounders zurückgingen, aber hier konnten erfolgreich nationale amerikanische Mythen konstruiert werden, so dass bis heute Baseball als amerikanische Erfindung gilt. Fußball galt zudem als Sport der Einwanderer – wer ein „echter“ Amerikaner sein wollte, spielte Baseball, Football oder den 1891 erfundenen US-Sport Basketball.

Doch noch ist Amerika nicht verloren. Irgendwann kommen all die fußballspielenden Kinder in die Jahre. Vielleicht kehren ja auch die Amerikaner mit einem Achtungserfolg von der WM zurück, und die Kinder lernen, dass man Fußball auch im Garten, auf dem Hinterhof und auf der Straße spielen kann – ohne Soccer Mom, ohne Trainer und ohne Regelwerk. Außerdem macht die schnell wachsende Bevölkerungsgruppe der Hispanics den Fußball immer populärer und verspricht Zuwachs für die Zukunft. Da könnte es doch sein, dass bald in den USA kein Soccer mehr gespielt wird. Sondern Futbol!