Wahlweise Mexiko
Im Stadtteil Pilsen in Chicago gibt es eine kleine Buchhandlung, in der die Bücher von Sandra Cisneros, die sie auf Englisch schreibt, in spanischer Übersetzung zu kaufen sind. Um Kundschaft muss man sich nicht sorgen: In Chicago lebt heute die drittgrößte mexikanische Gemeinde in den USA – weit über ein halbe Million, das sind über 18 Prozent der Stadtbevölkerung.
Und wer einst „illegal“ über die Grenze gegangen ist, muss auch hier damit rechnen, wieder abgeschoben zu werden. Aber selbst die Hardliner der Grenzsicherung wissen längst, dass man die Grenze nicht wirklich schließen kann. In einer erhitzten politischen Debatte werden die Illegalen im Übrigen oft als Illegale gebraucht, als Sündenböcke für alle Fälle, vor allem aber braucht man sie als billige Arbeitskräfte. Weite Teile der US-Wirtschaft würden zusammenbrechen, wenn man sie abschöbe, aber auch, wenn man sie „legalisierte“. Denn dann müssten die US-amerikanischen Arbeitgeber andere Löhne zahlen.
Trotz nicht nachlassender Aktionen der Washingtoner Regierung zur „Sicherung“ der Grenze leben mittlerweile über 20 Millionen Menschen mexikanischen Ursprungs in den USA, Tendenz stark steigend, und es gibt viele Gemeinden, in denen nur noch Spanisch gesprochen wird – nicht nur in Kalifornien oder in New Mexico, auch in Chicago-Pilsen, wo früher vorwiegend tschechische Einwanderer lebten. In Pilsen gibt es inzwischen mexikanische Parteien, die sich grenzüberschreitend einmischen und so auf ihre Weise Nationalstaat und Grenze in Frage stellen. Der Blick auf Staatshandeln und erste Personen allein kann viele dieser neuen grenzüberschreitenden Phänomene nicht mehr erfassen. Doch mit dem Blick auf diejenigen, die auf lokaler Ebene handeln, eröffnen sich neue Perspektiven auf die transnationale Politik.
Die „Federación des Clubes Michoacanes en Illinois“ und „Durango Unido“ haben ihren Sitz im Stadtteil Pilsen von Chicago, wo 98 Prozent der Bevölkerung mexikanischen Ursprungs sind. Ursprünglich handelte es sich um Vereinigungen von Migranten verschiedener mexikanischer Bundesstaaten, die sich sozial und kulturell engagierten, zunehmend tun sie dies aber auch politisch. Seit den 90er-Jahren streiten die Migranten in den USA um ihr Recht, in Mexiko wählen zu dürfen.
Gleichzeitig verstärkten die dortigen politischen Parteien ihre bis dahin eher losen Verbindungen zu den Migranten im Norden, seit sie sie nämlich als gewichtige Stimme erkannt haben. Neben den Federaciónes existieren inzwischen auch die drei großen mexikanischen Parteien in den USA. Deren Mitglieder wollen sich aber nicht nur dort, sondern auch in ihrem Heimatland politisch engagieren. Schon seit geraumer Zeit hatten die Migranten durch ihre remesas, die Rücküberweisungen in ihre Heimatgemeinden – nicht nur für ihre engeren Familien, sondern auch für Infrastrukturprojekte – eine bedeutende Rolle auf lokaler und regionaler Ebene gespielt, eine Rolle, die sie schließlich weiter führende Rechte selbstbewusst einfordern ließ.
Remesas machen in Mexiko einen großen Anteil an den Gesamteinnahmen des Landes aus, inzwischen konkurrieren sie mit den Einnahmen aus dem Erdölexport. Die politisch aktiven Migranten unterstützten den Demokratisierungsprozess in Mexiko, vor allem aber im Jahr 2000 die Abwahl des Partido Revolucionario Institucional (PRI) nach 71-jähriger Herrschaft. Grenzüberschreitendes Wahlrecht hatte man ihnen zwar schon Ende der 90er-Jahre zugestanden, umgesetzt wurde es aber erst bei den Präsidentschaftswahlen 2006. Inzwischen gibt es sogar schon Kongressabgeordnete in mexikanischen bundesstaatlichen Parlamenten, die ihren Hauptwohnsitz in den USA haben.
Es wäre aber verfehlt, die mexikanischen Parteien in den USA als bloße Kopien ihrer Mutterparteien anzusehen. Auch die Federaciónes können längst nicht mehr als Heimatvereine zur bloßen Brauchtumspflege angesehen werden. Vielmehr schaffen sie neue politische Räume, verbinden unterschiedliche politische Ebenen miteinander und artikulieren neue Bedürfnisse. Viele der Aktivisten engagieren sich außerdem in US-amerikanischen politischen Organisationen. Sie vor allem tragen die Proteste, die seit Frühjahr 2006 gegen die weitere Abschottung der US-Grenze laut werden, einer Grenze, die sich in transnationalen Räumen verändert. Und die wiederum beeinflussen lokale, regionale und nationale Politik.
Im Stadtteil Pilsen in Chicago gibt es eine kleine Buchhandlung, in der die Bücher von Sandra Cisneros, die sie auf Englisch schreibt, in spanischer Übersetzung zu kaufen sind. Um Kundschaft muss man sich nicht sorgen: In Chicago lebt heute die drittgrößte mexikanische Gemeinde in den USA – weit über ein halbe Million, das sind über 18 Prozent der Stadtbevölkerung. Und wer einst „illegal“ über die Grenze gegangen ist, muss auch hier damit rechnen, wieder abgeschoben zu werden. Aber selbst die Hardliner der Grenzsicherung wissen längst, dass man die Grenze nicht wirklich schließen kann. In einer erhitzten politischen Debatte werden die Illegalen im Übrigen oft als Illegale gebraucht, als Sündenböcke für alle Fälle, vor allem aber braucht man sie als billige Arbeitskräfte. Weite Teile der US-Wirtschaft würden zusammenbrechen, wenn man sie abschöbe, aber auch, wenn man sie „legalisierte“. Denn dann müssten die US-amerikanischen Arbeitgeber andere Löhne zahlen. Trotz nicht nachlassender Aktionen der Washingtoner Regierung zur „Sicherung“ der Grenze leben mittlerweile über 20 Millionen Menschen mexikanischen Ursprungs in den USA, Tendenz stark steigend, und es gibt viele Gemeinden, in denen nur noch Spanisch gesprochen wird – nicht nur in Kalifornien oder in New Mexico, auch in Chicago-Pilsen, wo früher vorwiegend tschechische Einwanderer lebten. In Pilsen gibt es inzwischen mexikanische Parteien, die sich grenzüberschreitend einmischen und so auf ihre Weise Nationalstaat und Grenze in Frage stellen.
Der Blick auf Staatshandeln und erste Personen allein kann viele dieser neuen grenzüberschreitenden Phänomene nicht mehr erfassen. Doch mit dem Blick auf diejenigen, die auf lokaler Ebene handeln, eröffnen sich neue Perspektiven auf die transnationale Politik.
Dr. Stephanie Schütze, Politikwissenschaft