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Die Geheimnisse der Diplomatie

Wie das internationale Parkett rutschfest wird

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Einser-Juristen und Spitzenwissenschaftler sind für den diplomatischen Dienst sicher nicht geeignet – es sei denn sie besitzen grundlegende Fähigkeiten in zwischenmenschlicher Kommunikation. Auch Personen, die entweder konfliktscheu sind oder "Durchsetzungsfähigkeit" als Brachialgewalt missverstehen, sind naturgemäß keine Spitzenkandidaten für einen Beruf, bei dem man sein Land in verschiedenen Gesellschaften und Kulturen vertreten muss.

Diplomaten sind Spezialisten für Informationsverarbeitung und Kommunikation – mit wechselnden Einsatzorten und wechselnden Arbeitsfeldern, hoch flexibel und anpassungsfähig. Die Anforderungen an fachliche und soziale Fähigkeiten sind enorm hoch. Außer einer ausgezeichneten Allgemeinbildung brauchen sie profunde Kenntnisse in Zeitgeschichte und Politik, in Völkerrecht und Volkswirtschaftslehre. Zu den sozialen Fähigkeiten gehören Kontakt- und Konfliktfähigkeit, Belastbarkeit und Führungsqualitäten, und in der Rubrik "kommunikative Fähigkeiten" sind Durchsetzungsvermögen und Verhandlungsgeschick besonders wichtig.

Doch im Grunde sind die "Geheimnisse der Diplomatie" eigentlich Selbstverständlichkeiten, die für alle Arten von Beziehungen gelten – in gewisser Weise die Mindeststandards menschlichen Miteinanders. Diplomaten müssen fähig sein, Verständnis für die Interessenlage und Perzeption des Verhandlungspartners zu entwickeln und ihn unter Achtung seiner essentiellen Interessen für die eigene Position zu gewinnen. Tragfähige Lösungen lassen sich nur erreichen, wenn beide Parteien ihr Gesicht wahren können. Genaue Kenntnis der verfügbaren faktischen Informationen und der Interessenlage der anderen Seite führt nicht weiter, wenn man keine Gespür für die Sozialisationszusammenhänge entwickelt. Ein Beispiel: Ein westeuropäischer Diplomat konnte als Austauschbeamter im amerikanischen State Department wesentlich dazu beitragen, die seit Jahren festgefahrenen Verhandlungen zwischen den USA und einem südosteuropäischen Land erfolgreich zu Ende zu führen, weil er – aus dem kontinental-europäischen Rechtskreis kommend – mehr Sinn für die Denkweise der südosteuropäischen Verhandlungspartner entwickelte als die im angelsächsischen Rechtsverständnis befangenen amerikanischen Kollegen.

Besonders auch in der "Public Diplomacy" will die Zielgruppe in ihrem Umfeld "abgeholt" werden. Als deutscher Generalkonsul in Boston habe ich in öffentlichen Vorträgen zum Beispiel versucht, vor dem Hintergrund bekannter stereotyper Vorstellungen Verständnis für die deutsche Position im Irakkrieg zu wecken, indem ich die Zuhörer aufforderte, sich eine Umkehrung der Rollen vorzustellen: Wie hätte wohl die amerikanische Öffentlichkeit reagiert, wenn die deutsche Boulevardpresse – gegen eine Anti-Kriegs-Politik der amerikanischen Regierung – mit hurra-patriotischen Kampagnen für Krieg plädiert hätte.

Dass die Sprachkenntnisse des Diplomaten ausgezeichnet sein müssen, versteht sich von selbst. Aber die technische Beherrschung der Sprache ist nicht alles. Erst wenn sie mit gutem psychologischem Gespür und gutem Gehör für mögliche Beiklänge eingesetzt wird, kann Sprache ihre Wirkung entfalten. Dies alles funktioniert natürlich nur auf einer soliden persönlichen Vertrauensbasis. Und Diplomatie ist vor allem Vertrauenssache – kein Fall für gelegentliche Besuche, Telefon oder E-Mail. Präsenz vor Ort ist unabdingbar, denn manchmal sagt ein Blick mehr als 1000 Worte.

Also ist diplomatisches Geschick gar keine Sonderkompetenz? Ja und nein. Gelegentlich die sprichwörtlich gute Miene zum bösen Spiel machen zu können, kann einem überall helfen. Aber für einen Diplomaten zwischen Tokyo, Oslo, Madrid und bei der UNO gelten schon besondere Anforderungen an die interkulturelle Kompetenz. Denn so glänzend das Parkett der internationalen Diplomatie ist, so glatt ist es auch.