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Der Raum der Politik

Markieren, Definieren, Differenzieren

Eva Cancik-Kirschbaum ist Professorin am Institut für Altorientalistik der Freien Universität

Eva Cancik-Kirschbaum ist Professorin am Institut für Altorientalistik der Freien Universität

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Die politische, soziale, religiöse, ökonomische wie auch kulturelle Differenzierung von Raumqualitäten erscheint uns heute ganz selbstverständlich, geradezu banal. Und doch birgt gerade dieser Bereich hohes, ja höchstes Konfliktpotenzial. Die Diskussion um den Schengen-Raum, den Maschendraht-Zaun oder um die virtuelle Privatsphäre sind nur drei prominente Beispiele der Gegenwart. Öffentlich – privat, sakral – profan, zivilisiert – chaotisch, real – virtuell, mein – dein. Welche Rolle spielen derlei Qualitäten für eine Gesellschaft? Wie werden sie konstituiert, bzw. wie manifestieren sie sich? Wie werden sie stabilisiert? Wie werden sie gegen andersgerichtete Interessen verteidigt? Und wie, so fragt man weiter, wirken sich wiederum Raumwissen und Raumerfahrung auf die konkrete Gestaltung des bewohnten, beherrschten, genutzten Raumes aus?

Die Verständigung über den Raum ist ein latentes gesellschaftliches Anliegen, Teil des bereits Jahrtausende währenden Globalisierungsprozesses und so alt wie die Menschheit selbst. Es ist der Prozess der Zivilisation, der den Wechselwirkungen von gegebenem Raum und Wissen über den Raum Dynamik verleiht. Und so sind diese Fragen heute so aktuell wie bereits vor 2000 oder 5000 Jahren. Mit dem Anwachsen der Populationen seit dem Neolithikum wird nicht nur der Raum an sich zur Existenzfrage: Die zunehmende Binnendifferenzierung der sich verdichtenden Lebensräume selbst wird zum kulturellen Programm. Markieren, Definieren, Differenzieren – die räumliche Konkretisierung von Vorstellungen und Ansprüchen hat denn auch in der gesamten Alten Welt ihre Spuren hinterlassen: Städte, Völker, Staaten konkurrieren um Ackerland und natürliche Ressourcen – vom Wasser bis zu Rohstoffen aller Art; Herrschaften grenzen ihre Territorien gegeneinander ab; innerhalb und außerhalb der Siedlungen entstehen Bereiche mit unterschiedlichem Nutzungsprofil; Sakralgebäude, Paläste, öffentliche Straßen und Plätze, Friedhöfe, tabuisierte Orte. Sie alle sind Zeugnisse einer zunehmend komplexer werdenden strukturellen Räumlichkeit. Das Phänomen der Raumqualifizierung durchdringt dabei alle Bereiche der Gesellschaft: von der Wohnkultur, in der sich soziale Stellung, Geschlecht und Herkunft ausdrücken bis hin zu Herrschaftsformen; von den Gefilden der Toten bis in die unbekannten Räume jenseits des Horizontes. Techniken und Technologien, Ressourcenbedarf, Wissenskulturen, Weltanschauungen und Religionen manifestieren sich im Raum und hinterlassen ihre Spuren, als sichtbare und unsichtbare Kerben in der Kulturlandschaft.

Von Eva Cancik-Kirschbaum