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Mathematik für Überflieger

Die Berlin Mathematical School ist eine Graduiertenschule für exzellenten Nachwuchs

Das Institut für Mathematik im Zeichen der Zahl Pi

Das Institut für Mathematik im Zeichen der Zahl Pi

Das Institut für Mathematik <br/> Foto: Gottschalk

Das Institut für Mathematik Foto: Gottschalk

In zwei Phasen können mathematische Überflieger zuerst ihren Master absolvieren, um nach vier Semestern mit der Dissertation zu beginnen.

"Wozu genau brauchen wir eigentlich Mathematik ?", fragt sich so mancher und verweist auf die esoterische Wissenschaft einsam grübelnder Zahlen- Genies, die abstrakte Lösungen für abstrakte Probleme suchen, im praktischen Leben aber kaum bis drei zählen können. Doch mit derlei Vermutungen liegt der Betrachter falsch, weiß Christof Schütte, Professor am mathematischen Institut und stellvertretender Sprecher der Berlin Mathematical School (BMS), einer Graduiertenschule für mathematische Überflieger, die von den drei Berliner Universitäten Technische Universität, Freie Universität und Humboldt Universität gemeinsam getragen und im Rahmen der Exzellenzinitiative des Bundes und der Länder gefördert wird.

"Wir brauchen die besten Mathematiker, wenn wir uns in Deutschland einen internationalen Spitzenplatz bei technologischen Innovationen sichern wollen", ist Schütte überzeugt. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) bewilligte eine Förderung von über einer Million Euro pro Jahr, zunächst für die Dauer von fünf Jahren. Mit dem Fördergeld finanziert die BMS unter anderem Stipendien für ihre Studierenden, ein Servicebüro und Honorare für herausragende Gastdozenten.

Zwei Phasen während des Studiums

Das Studium an der BMS ist in zwei Phasen gegliedert. Für Studierende in der ersten Phase gibt es, zusätzlich zum normalen Vorlesungsprogramm aller drei Universitäten, die "BMS-courses", englische Vorlesungen der Sonderklasse. Nach etwa vier Semestern und einer mündlichen Prüfung können die Studierenden in der zweiten Phase ihre Dissertation schreiben.

"Es gibt ein riesiges Angebot an Vorlesungen und Kursen", freut sich Bernhard Brehm. Der 21-jährige Berliner ist BMS-Student der ersten Stunde. Im Leistungskurs Mathematik war er nicht ausgelastet und suchte neben der Kollegstufe in Vorlesungen an der Freien Universität nach kniffligeren Rechenaufgaben und tieferem Verständnis. Bis zum Abitur machte er die Scheine der ersten zwei Semester. Nach zwei weiteren Semestern Diplomstudium hielt er mit dem Vordiplom den Eintrittsschein für die frisch gegründete BMS in der Hand. "Den Tipp, mich zu bewerben, habe ich von einem meiner Professoren bekommen", erinnert sich Brehm. Ralf Kornhuber, Professor für Numerische Mathematik am mathematischen Institut, war auf den begabten Studenten aufmerksam geworden und hatte ihm empfohlen, sich zu bewerben.

Inzwischen ist Brehm im zweiten Semester der ersten Phase, und Kornhuber ist sein persönlicher Mentor – den gibt es für alle Studierenden. Die Mentoren helfen bei der Studienplanung, sollen die Talente der Studierenden bestmöglich fördern und in Absprache mit ihnen den richtigen Zeitpunkt für den Wechsel in die zweite Studienphase bestimmen. Bernhard Brehm findet den Kontakt zu seinem Mentor „entspannt“ und freut sich über die unbürokratische Verwaltung der BMS. Welche Richtung der junge Mathematiker später einschlagen möchte, weiß er noch nicht genau. „Ich studiere derzeit möglichst breit“, erklärt er. Sicher ist, dass er mit spätestens 23 Jahren mit seiner Dissertation beginnen wird und damit weit unter dem Durchschnittsalter an deutschen Universitäten liegt.

Ziel: 50 % Frauenanteil

"In der BMS soll der Sonderfall zur Regel werden", sagt Kornhuber. Die Berliner nehmen keine geringe Herausforderung an und gehen in die direkte Konkurrenz zu den hoch attraktiven Mathematik- Zentren US-amerikanischer Universitäten. 50 Prozent ausländische Studierende will man an die Spree holen. Und vor allem will man mehr junge Frauen für die Mathematik gewinnen. Die BMS hat sich auf die Fahnen geschrieben, dass in Zukunft die Hälfte aller Studierenden Frauen sein sollen. "Davon sind wir zwar noch weit entfernt", räumt Kornhuber ein, "aber wir arbeiten dran."
"Viele meiner Kommilitoninnen studieren auf Lehramt, die wenigsten wollen in die Forschung gehen", versucht Valentina Vulcanov den bislang geringen Frauenanteil zu erklären. Die 24-jährige BMS-Studentin kam 2005 aus ihrer Heimatstadt Timisoara im Westen Rumäniens im Rahmen eines Erasmus-Programms nach Berlin.

"Es gibt hier eine gute Grundlagenforschung in der Differentialgeometrie", begründet sie ihre Entscheidung. In der Arbeitsgruppe für Geometrische Analysis von Prof. Klaus Ecker am Institut für Mathematik hat sie gerade ihre Master- Arbeit abgeschlossen. Die Aufgabe war keine geringere, als sich mit dem Beweis der Poincaré-Vermutung zu befassen, den der russische Mathematiker Grigorij Perelman 2002 veröffentlicht hatte. Für diesen Beweis sollte er vergangenes Jahr die Fields-Medaille erhalten, eine Art Nobelpreis für Mathematiker. Zu medialer Berühmtheit gelangte Perelman, als er die Auszeichnung ablehnte. „Wenige wissen indessen, dass Perelman seinen Beweis der mathematischen Öffent lichkeit zum ersten Mal in einem Seminar an der FU vorgestellt hat”, offenbart Christof Schütte, Vulcanovs Mentor an der BMS. Die Studentin Vulcanov hat Teile des Beweises nachvollzogen und das Ergebnis erfolgreich auf ein der Poincaré-Vermutung verwandtes Problem angewendet.

Sobald ihre Master-Arbeit in Rumänien anerkannt ist, möchte Vulcanov sich für die zweite Studienphase an der BMS bewerben und ihre Promotion in Angriff nehmen. Dafür hat sie in Berlin die Wahl zwischen einer schier unüberschaubaren Vielfalt mathematischer Forschungsgebiete. Außer an den Universitäten können BMS-Studenten ihre Promotion auch am DFG Forschungszentrum Matheon, am Konrad-Zuse-Zentrum für Informationstechnik, am Weierstrass-Institut für Angewandte Analysis und Stochastik oder im Rahmen einer Graduiertenschule am Max Planck Institut für Molekulare Genetik durchführen.

BMS-Friday

Zur beliebten Institution sind inzwischen die BMS-Fridays geworden. Sie verschaffen nicht nur einen Überblick über die Forschungslandschaft und Einblicke in die Hintergründe der mathematischen Forschungsarbeit. Jeden zweiten Freitag gibt es im Kolloquium an der Urania Vorträge, häufig von Gastdozenten berühmter Institute aus aller Welt. Zudem sind die „Fridays“ der Schmierstoff für das soziale Gefüge der Graduiertenschule. Studenten aus beiden Studienphasen treffen sich hier und können gemeinsam mit den Professoren bei Tee und Gebäck fachsimpeln und neue Ideen diskutieren. Und nebenbei immer neue Antworten auf die Frage finden, wozu man Mathematik braucht.

von Dietrich von Richthofen