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Die hohe Kunst der Komplexitätsreduktion

Bei der mathematischen Modellierung muss man verzichten können

Rupert Klein ist Professor am II. MAthematischen Institut der FU und Leiter der Arbeitsgruppe "Data and Computation" am Potsdam Institut für Klimaforschung (PIK), Foto: von Richthofen

Rupert Klein ist Professor am II. MAthematischen Institut der FU und Leiter der Arbeitsgruppe "Data and Computation" am Potsdam Institut für Klimaforschung (PIK), Foto: von Richthofen

Rupert Klein

Rupert Klein

Die detaillierte Simulation kleinräumiger und kurzzeitiger atmosphärischer Luftbewegungen über dem Dahlemer Campus der Freien Universität ist nicht das Mittel der Wahl, wenn man sich für die zeitliche Entwicklung der jährlichen, bodennahen Mitteltemperaturen in ihrer groben Verteilung über den Kontinenten interessiert. Ein geschickt konstruiertes Modell würde eher darauf abzielen, nur die so genannten großskaligen Verteilungen der wichtigsten energetischen Größen darzustellen.

Auch wenn wir wissen, dass zum Beispiel kleinräumige Luftbewegungen wie etwa Winde, die täglich durch Hoch- und Tiefdruckgebiete entstehen, erheblich zur Energieverteilung auf dem Erdball beitragen, werden sie keinen direkten Eingang in die Simulation finden. Vielmehr treten sie in solchen Modellen nur in Form von Näherungsformeln in Erscheinung, die ihren Netto effekt über lange Zeit und große räumliche Gebiete darstellen. Umgekehrt sind Hoch und Tief druckgebiete mitsamt ihrer zeitlichen Entwicklung bei der Wettervorhersage gerade wichtig. Globale Klimaverhältnisse, die sich über Jahrtausende hinweg ändern, interessieren hier erst einmal nicht. So kann man auch hier vereinfachte Modelle konstruieren, die zum Beispiel darauf verzichten, die globale Entwicklung der Vegetation zu beschreiben. Für die Atmosphäre ist zwar die Vegetation von großer Bedeutung, weil sie Einfluss auf die Strahlungseigenschaften und die Feuchtespeicherfähigkeit der Erde hat. Da sie sich aber nur sehr langsam verändert, arbeiten Wettermodelle mit aktuellen Messdaten zur Vegetationsbedeckung der Erde, anstatt sie selbst zu simulieren. In einem globalen Klimamodell wäre ein solches Vorgehen gar nicht zulässig, schon allein deshalb, weil wir keine Messdaten über sehr lange Zeiträume haben.

Simulation des zukünftigen Klimas

Bei der Simulation des zukünftigen Klimas wird es noch komplizierter. Über die Tatsache, dass der Mensch das Klima beeinflusst, streitet heute niemand mehr. Wir wissen, dass der CO2-Gehalt der Erde auch aufgrund der Verbrennung fossiler Brennstoffe steigt. Will man aber relevante politisch-ökonomische Steuerungsmöglichkeiten identifizieren und bewerten – zum Beispiel in Bezug auf den noch verbleibenen Zeitrahmen zum Umsteuern – braucht man Modelle, die auch die sozio-ökonomische Entwicklung beschreiben.
In solchen Modellen müssten nicht nur Atmosphären-, Vegetations- und Ozeanmodelle gekoppelt sein. Sie müssten auch Annahmen über zukünftige politische Entwicklungen enthalten und deren Konsequenzen für die übrigen Systemkomponenten korrekt darstellen. Zu erkennen, was man bei solchen Modellentwicklungen weglassen kann, um die Komplexität auf ein noch handhabbares Maß zu beschränken, ist eine der großen Herausforderungen bei der Modellierung solcher Systeme. Man muss Komplexität reduzieren, um noch rechnen zu können. Man muss aber vor allem in der Lage sein einzuschätzen, was man nicht weglassen kann, will man die wesentlichen Zusammenhänge noch erfassen. Hier liegt die wohl wichtigste Schnittstelle für interdisziplinäre Kooperation in diesem Forschungsgebiet.

Prof. Dr. Rupert Klein