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Ruhe nach dem Sturm

Aschewolke, Klimawandel, Sturmschäden: Alumnus Wolfgang Kusch, 65, Präsident des Deutschen Wetterdienstes, geht in den Ruhestand – und blickt zurück auf eine Karriere voller Hochs und Tiefs

Orkan Kyrill, 17.1.2007

Orkan Kyrill, 17.1.2007
Bildquelle: Deutscher Wetterdienst

Orkan Kyrill, 17.1.2007

Orkan Kyrill, 17.1.2007
Bildquelle: Deutscher Wetterdienst

Die beiden Dinge, die Wolfgang Kusch momentan am meisten beschäftigen, kann er nicht sehen. Wenn der Präsident des Deutschen Wetterdienstes (DWD) aus dem Fenster seines Offenbacher Büros blickt, sieht er weder Klimawandel noch Aschewolke, sondern die Einflugschneise des Frankfurter Flughafens – und hat dann eben doch beide Themen direkt vor der Nase. Herr Kusch, gibt es den Klimawandel wirklich? Da sprudelt er los: „Ja, sicher. Der CO2-Gehalt in der Atmosphäre steigt an. Selbst wenn wir morgen alle Fabriken schließen, Autos und Flugzeuge stehen lassen, wird das CO2 von heute noch mindestens 20 Jahre wirken. In den letzten 130 Jahren ist die Durchschnittstemperatur in Deutschland um ein Grad gestiegen – hauptsächlich in den letzten 20 Jahren. Der vergangene strenge Winter ist überhaupt kein Gegenbeispiel. Der Trend geht nach oben, und manche Wissenschaftler haben vielleicht den Fehler gemacht, den Klimawandel als eine gerade Linie zu verkaufen.“ Da redet jemand, den das Thema bewegt, der möglichst viel Argumente in kurzer Zeit los werden will.

Wie viel er von seinem Fach versteht, das zeigt sich auch jetzt, wo immer wieder Flughäfen gesperrt werden. Fragt man Kusch nach Vulkanasche, erklärt er mühelos, welche Behörden in Montreal, Toulouse und Langen wie entscheiden müssen, bis ein Flugverbot zustande kommt – das ist fast so kompliziert wie die Modelle für eine Wettervorhersage und bringt die Luftfahrtbosse in Rage. Ende Juni geht Wolfgang Kusch in den Ruhestand – nach 37 Jahren beim DWD in Offenbach bei Frankfurt. Als Referendar fing er dort an, nun nimmt er als Präsident seinen Hut. Geboren ist er Ende 1944 in Ostpreußen, aufgewachsen in Berlin, dort blieb er bis zu seinem 27. Lebensjahr. Auf das Abitur folgte eine Zeit, die Wolfgang Kusch grinsend „Orientierungsphase“ nennt. Ein Jahr lang räumte er bei einem Discounter Regale ein – die Billigsupermärkte waren Mitte der Sechziger noch neu. Auf die Meteorologie ist er nicht zielgerichtet zugesteuert; er dachte über ein Architekturstudium oder eine künstlerische Laufbahn nach – noch heute malt und skizziert Wolfgang Kusch gern – und liebäugelte mit Physik.

Start im Zwei-Mann-Semester

Dann sah er einen Ballon. Den hatte Richard Scherhags Institut für Meteorologie an der Freien Universität steigen lassen – unten dran hing eine sogenannte „Radiosonde“, also ein Gerät, das Temperatur, Wind, Feuchte und Druck in großen Höhen misst. „Das war, wenn man so will, der Auslöser“, sagt Wolfgang Kusch. Er ließ sich beraten, hatte Interesse und nahm im Wintersemester 1965/1966 sein Studium auf.„Wir waren ein Zwei-Mann-Semester“, sagt er. Damals begannen die meisten Studenten der Meteorologie im Sommer. Wobei die Sommersemester in der Regel auch nur zehn bis zwölf Mann stark waren.

Wolfgang Kusch lernte bei Richard Scherhag, „eine synoptische Koryphäe“. Von geschmeidigen Computeranimationen war die Meteorologie damals noch weit entfernt. Die Studenten kritzelten Hochs und Tiefs auf Papierkarten, mit schwarzer und roter Tinte, trugen Parameter ein, verschlüsselten sie. Damals wie heute beruhte eine Wettervorhersage auf Modellen, auf Beobachtungen und Messungen, die man hochrechnete und mit den Gegebenheiten am Boden verknüpfte – Berg oder Flachland, Wasser oder Erde, Wald oder Acker.

Was Wolfgang Kusch und seine Kommilitonen noch mit der Hand eintrugen, erledigen heute Satelliten und Computer – die Grundlage aber ist dieselbe. Die verstaubten alten Wetterkarten, die heutige Meteorologie-Studenten in Seminaren zur Geschichte ihres Fachs kennenlernen, hat Wolfgang Kusch noch persönlich ausgefüllt. „Ich habe das wirklich noch von der Pike auf gelernt“, sagt er.Nach dem Vordiplom wechselte er ins Institut für theoretische Meteorologie zu Günter Warnecke, der dort Professor war und bei dem Kusch auch seine Diplomarbeit schrieb. Ein „Fan von Wettersatelliten“ sei der gewesen, sagt Kusch. 1966 schoss das Institut den ersten Satelliten ins All. „Darein setzte die Meteorologie große Hoffnungen. Und die haben sich als berechtigt erwiesen.“

Im Wintersemester 1972/73 schloss Wolfgang Kusch sein Studium ab; mit einer Diplomarbeit, die sich mit den Wolken an einem Tag im Oktober 1972 an der Nordsee befasste – genauer gesagt: mit verschiedenen Methoden, mit denen man Wolkenbewegungen und -formen in feste Parameter umrechnet. Dafür hat er alle verfügbaren Daten ausgewertet, die Bodenstationen, Satelliten und Radiosonden hergaben.„Ich habe meine Diplomarbeit auf dem einzigen Großrechner programmiert, den die Freie Universität damals zur Verfügung hatte“, erzählt er. Und er musste eine Zwangspause einlegen – mittendrin tauschte die Uni den Rechner aus. Gelöscht waren die Daten damit aber nicht: „Ich hatte sie ja auf Lochkarten gespeichert. Das war damals ein ziemlicher Aufwand: Lochkarten schreiben, rüber laufen ins Rechenzentrum, einlegen. Wenn man sich irgendwo verschrieben hatte, spuckte der Computer nur Zahlenmüll aus, und man musste eine neue Lochkarte programmieren.“ Die Rechenleistung war damals auf dem Stand der Technik – heute schafft sie jeder Heim-PC. „Wir waren die erste Studierendengruppe, die seinerzeit überhaupt am Computer gearbeitet hat.“Und dann ist er nach Offenbach gegangen. Eine rationale, wenn auch nicht ganz leichte Entscheidung: „Für einen Berliner ist es ja immer ein Riesenschritt, seine Stadt zu verlassen.“ Doch freie Stellen für Meteorologen gab es seinerzeit in Berlin kaum. „Außerdem war ich da schon verheiratet und fand, ich müsse langsam mal solide werden.“ Also stellte er sich beim Deutschen Wetterdienst vor, wurde „freundlich aufgenommen“ – und begann erstmal ein zweijähriges Referendariat mit anschließender Zweiter Staatsprüfung. Das war damals beim DWD die Regel, das Diplom entsprach einer Ersten Staatsprüfung. Heute ist das Referendariat abgeschafft.

Herr der Flugstrecken

Der Referendar Kusch besuchte Wetterstationen in ganz Deutschland, der Assessor Kusch kam nach der Prüfung in die „Analysen- und Vorhersagenzentrale, Abteilung Flugstreckenberatung“. Das klingt so bürokratisch, wie es sich gehört für eine „direkt nachgeordnete Oberbehörde“: Der DWD untersteht dem Verkehrsministerium, Peter Ramsauer ist Kuschs oberster Dienstherr. Die Abteilung für Flugstreckenberatung behielt Gewitter, Stürme und Turbulenzen weltweit im Auge und wusste also, wo man als Pilot besser nicht entlang fliegt, „wenn man es den Passagieren nicht allzu unkomfortabel machen möchte“, sagt Kusch. Ihre Informationen stellten sie den Fluggesellschaften zur Verfügung, und die legten danach die genauen Flugrouten fest.

Beim DWD tüftelten sie in den Siebzigern an „numerischen“ Wettervorhersagen. Gitterpunkte sollten die Wetterkarten wie ein Raster überziehen und die Nordhalbkugel der Erde möglichst lückenlos modellieren. „Zu Beginn war das nur ein sehr grobes Raster“, sagt Kusch. „Alle 381 Kilometer gab es Vorhersagedaten“ – heute gibt es sie alle 30 Kilometer. Wettervorhersagen beruhen auf solchen mathematisch-physi- kalischen Modellen. Man weiß zum Beispiel, wie sich ein Tief X bei Temperatur Y auf eine Landschaft Z auswirkt. Dazu kommen noch viele weitere Faktoren; die DWD-Rechner haben sie aus Langzeitbeobachtungen gespeichert. Rollt also ein solches Tief an, verknüpfen die Computer alle Faktoren und spucken für jede Region die passende Wettervorhersage aus. Auch die Radiosonde, die Wolfgang Kusch einst für die Meteorologie begeistert hatte, liefert Daten für solche Modelle.

1985 stieg Kusch auf zum Leiter seines Referats, 1994 wurde er Leiter der Abteilung Medien, die Wettervorhersagen an Radiosender, Zeitungen und Fernsehstationen verkaufte. Ab 1999 leitete Kusch den Geschäftsbereich „Klima und Umwelt“, stieg in den Vorstand auf und befasste sich später auch mit Pollenflug und Ozonwerten. Seit Anfang 2006 ist er Präsident des DWD, den er Ende Juni verlässt.Auch nach dem offiziellen Ruhestand wird er natürlich nicht auf Null schalten; er kann sich vorstellen, gelegentlich als Berater zu arbeiten oder Vorträge zu halten, und er leitet die deutsche Delegation bei der Weltorganisation für Meteorologie. Aber zuallererst fährt er mit seiner Frau und seiner Enkelin in den Urlaub – nach Usedom. Wie das Wetter da wird, weiß er natürlich schon: „Das ist eine der sonnigsten Regionen in Deutschland – die hat mich noch nie enttäuscht.“

 

Von Daniel Kastner