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Hertha unterm Hakenkreuz

Die Spieler von Hertha BSC und von Brentford grüßen im Mai 1937 gemeinsam das Publikum mit dem Hitlergruß. Im Vordergrund die englischen Spieler, links die Herthaner

Die Spieler von Hertha BSC und von Brentford grüßen im Mai 1937 gemeinsam das Publikum mit dem Hitlergruß. Im Vordergrund die englischen Spieler, links die Herthaner
Bildquelle: Hertha BSC

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Bildquelle: Bernd Wannenmacher

Hertha unterm Hakenkreuz: Der Historiker Daniel Koerfer hat untersucht, wie die Nazis den Hauptstadtverein aus dem roten Wedding zum braunen Propaganda-Club umbauen wollten.

Hitler ist stocksauer: Warum hat er sich überreden lassen, zum Fußball zu gehen? Gegen Norwegen liegt die deutsche Mannschaft am 7. August 1936 im Viertelfinale des Olympischen Turniers mit 0:1 zurück. Bei den zeitgleich ausgetragenen Ruderwettbewerben wären reihenweise deutsche Triumphe zu feiern gewesen. Goebbels notiert: „Der Führer ist ganz erregt, ich kann ihn kaum halten. Ein richtiges Nervenbad. Das Publikum rast. Ein Kampf wie nie. Das Spiel als Massensuggestion.“

Dann fällt das 0:2. Hitler reicht es: Er tobt, verlässt das Berliner Poststadion. 55.000 Zuschauer hören Minuten später den Abpfiff; die favorisierte deutsche Mannschaft scheidet vor 55.000 Zuschauern im Berliner Poststadion aus.

Es sollte das erste und letzte Fußball-Länderspiel sein, das Hitler besuchte. Der proletarisch geprägte Sport blieb ihm suspekt: Niederlagen kommen unerwartet, Erfolg ist kaum kalkulierbar. Dennoch erkannte die Führung des Dritten Reichs, wie fasziniert die Massen vom Fußball sind. Die Machthaber wollten die Fußball-Clubs in die Propaganda-Maschinerie einbinden – und die Vereine ließen es geschehen; manchmal euphorisch, selten widerwillig, meist jedoch im Glauben an den „Führer“ und an bessere Zeiten.

Wie sehr Fußball und Nationalsozialismus verstrickt waren, zeigt auch die Arbeit von Daniel Koerfer, Honorarprofessor für Zeitgeschichte und Neuere Geschichte an der Freien Universität. Er hat untersucht, wie sehr sich der Verein Hertha BSC ins Regime einbinden ließ. Koerfer musste tief in die Geschichte des Vereins eintauchen, der damals etwa 400 Mitglieder zählte und der vom Profigeschäft heutiger Tage noch weit entfernt war.

Zwischen 1933 und 1945 spiegelt die Hertha das Mitläufertum der Deutschen: Man passt sich an, so weit man muss – oder auch so weit man überzeugt ist. Wer von der Schreckensseite des Regimes weiß, schweigt, auch weil er sich selbst und seine Familie nicht in Gefahr bringen will. „Es ist die Überlebenstechnik der kleinen Leute, die Überlebenstechnik des Vereins“, sagt Koerfer, „die Überlebenstechnik der vielen kleinen Rädchen im Nationalsozialismus, die Krieg und Völkermord möglich machten.“

Dabei liegen die Ursprünge des Vereins in Berlins Rotem Bezirk, dem Wedding. Bei den letzten freien Wahlen 1932 stimmten hier 47 Prozent für die KPD, bei den Reichtagswahlen im März 1933 noch immer 39,2 Prozent, obwohl ihre führenden Politiker schon in „Schutzhaft“ saßen. Die SPD gewann immerhin noch 22,8 Prozent der Stimmen und lag nur knapp hinter der NSDAP mit 25,9 Prozent, die im Wedding ihr schlechtestes Ergebnis in der Hauptstadt einfuhr.

Fußballerisch war die Hertha damals eine nationale Größe. Der Berliner Serienmeister von 1926-33 erspielte sich 1930 die deutsche Meisterschaft und verteidigte sie im Folgejahr. Die Spieler allerdings waren, wie damals in ganz Deutschland üblich, allesamt Amateure. Einzig das Vereinsumfeld hatte semi-professionellen Charakter: Ein Mannschaftsarzt kümmerte sich um die Spieler, das „Stadion an der Pumpe“ am S-Bahnhof Gesundbrunnen war in der kurzen Wohlstandsblüte der Goldenen Zwanziger vom Club ausgebaut worden.

Doch der Stern der dominierenden Mannschaft der Weimarer Republik sank schnell, nachdem die Nazis die Macht übernommen hatten: Die Ausgaben deckten die Einnahmen nicht, die neuen Machthaber hatten kein Interesse an Traditionsvereinen mit eigenem Charakter. Sie wollten gleichgeschaltete, linientreue Vereine, die sich um die „Wehrhaftmachung der Volksgemeinschaft“ kümmerten, also junge, trainierte Soldaten heranzüchteten. Wie würde sich die Hertha verhalten? Mitschwimmen, im Gehorsam vorauseilen oder widerstehen?

2002 bekam Koerfer vom damaligen Hertha-Präsidenten Bernd Schiphorst, Alumnus der Freien Universität, den Auftrag, festzustellen, wie sehr der Hauptstadt-Club mit dem nationalsozialistischen Regime verbunden war. Das geplanten Vereinsmuseum sollte auch die braunen Jahre zeigen und in die Geschichte der Hertha einordnen.

Da die meisten Spieler und Funktionäre jener Zeit längst tot waren, Aufzeichnungen und Presseberichte aus der Nachkriegszeit das Thema verschwiegen, führte Koerfers erster Weg in das Archiv des Vereins: „Ich fand dort im wesentlichen ein paar Jahresbände ,Fußball-Woche’ und ‚Kicker’, dazu einige Ausgaben der Hertha-Vereinsnachrichten; eine dünne Quellenlage für ein Gutachten.“ Dennoch nahm er den Auftrag an – unter zwei Bedingungen: „Ich brauchte Geld für eine professionelle Recherche und es durfte nichts zensiert werden.“

Der Verein willigte ein, und Koerfer schickte Rechercheure in Archive und Bibliotheken, redete mit Zeitzeugen und studierte die wenigen Akten aus dem Vereinsarchiv.

Das Ergebnis der Nachforschungen ist die Geschichte eines sozialdemokratischen Ex-Präsidenten, der die Geschicke des Clubs aus zweiter Reihe lenkt, der im Krieg Woche für Woche bis zu 300 mal das Fachblatt ‚Fußball-Woche’ an seine Spieler an der Front verschickt. Es ist die Geschichte eines jüdischen Mannschaftsarztes, der entlassen wird, enteignet, verschleppt und vergast. Die Geschichte eines Vereins, in dem holländische Zwangsarbeiter im Sportdress den Berlinern noch im Januar 1945 Alltag vorgaukeln, während die britischen Fliegerstaffeln ihre Bomben wie einen Teppich über der Stadt ausbreiten.

Und was war sie, die Hertha? Ein von SS-Schergen geführter, ideologisch verblendeter Teil der NS-Struktur oder ein Verein mit bürgerlichen Wurzeln und proletarischen Anhängern, der nicht weiter aufzufallen versuchte? „Die Frage lässt sich so einfach nicht beantworten“, sagt Daniel Koerfer: „Nach außen gab man sich linientreu. Schon im Sommer 1933 änderte der Verein seine Satzung. Alle demokratischen Elemente wurden in der Satzung ersetzt durch das Führer-Prinzip.“ Intern aber sei das Vereinsleben weitestgehend intakt geblieben, sagt Koerfer. „Unter der braunen Hülle steckte weiter Herthas blauer Kern.“

Der bisherige Präsident Wilhelm Wernicke, SPD-Mitglied und Gewerkschaftsfunktionär wurde ersetzt durch seinen bisherigen Stellvertreter Hans Pfeiffer. Der nannte sich fortan „Vereinsführer“ und war schon in die NSDAP eingetreten, bevor Hitler Reichskanzler wurde. „Pfeiffer war ein durchaus überzeugter Nationalsozialist, aber kein fanatischer“, sagt Koerfer.

Starker Mann in der zweiten Reihe blieb allerdings Ex-Präsident Wernicke – und Parteigenosse Pfeiffer akzeptierte das. Wernicke, seit der Zerschlagung der Gewerkschaften am 2. Mai 1933 zwangsweise Mitglied der Deutschen Arbeitsfront, wurde erst 1935 untragbar: Als ehemaliger Vorsitzender der SPD-Ortsgruppe Wedding musste er sein Amt im Verein niederlegen. Der Posten des „Stellvertretenden Vereinsführers“ blieb zunächst unbesetzt – Wernicke zog ohne offizielles Amt die Fäden.

Das änderte sich auch nicht, als Pfeiffer 1936 wegen eines parteigerichtlichen Verfahrens zurücktrat. Die beiden nachfolgenden „Vereinsführer“ waren beide nicht in der Partei, sondern in untergeordneten NS-Organisationen.

Karl Windgassen, „Vereinsführer“ von 1940 bis 1945, war nach dem Krieg ebenso wie Wilhelm Wernicke am Wiederaufbau des Clubs beteiligt. „Mit ihm lenkt nach dem Krieg wieder der Mann die Geschicke des Vereins, der schon in der Weimarer Republik die Vaterfigur aller Herthaner war und es der NS-Diktatur blieb“, sagt Koerfer.

Der „Völkische Beobachter“ verzichtet übrigens 1936 auf einen Bericht zum Norwegen-Spiel. Erst am Tag der Halbfinalspiele heißt es lapidar: „Deutschland ist nicht dabei! Unsere Nationalelf fand in den verbissenen sich verteidigenden Norwegern einen nicht zu schlagenden Gegner.“ Hitlers Wutanfall bleibt unerwähnt.

 

Von Matthias Thiele