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Literaten auf der Leinwand

Der Literatur- und Medienwissenschaftler Stefan Keppler-Tasaki untersucht, wie Autoren den frühen Film für sich nutzten

25.11.2016

Frühe Medienhelden: Der Physiker Albert Einstein und der Schriftsteller Thomas Mann 1938 im amerikanischen Exil in Princeton.

Frühe Medienhelden: Der Physiker Albert Einstein und der Schriftsteller Thomas Mann 1938 im amerikanischen Exil in Princeton.
Bildquelle: akg-images

Mit Ledermantel und Zigarre – Bertolt Brecht inszenierte sich in den 1920er Jahren für Fotoaufnahmen in einem Augsburger Atelier.

Mit Ledermantel und Zigarre – Bertolt Brecht inszenierte sich in den 1920er Jahren für Fotoaufnahmen in einem Augsburger Atelier.
Bildquelle: bpk

Die amerikanische Stadt Princeton im Januar 1938: Bevor die Journalisten ankommen, zieht sich Albert Einstein kurz zurück. Der 60-Jährige weiß, was er seinem Publikum schuldig ist. Mit geübten Handgriffen frisiert er sich den weißgrauen Schopf, bis ihm die Haare in alle Richtungen vom Kopf stehen. Dann tritt er in die Bibliothek der Elite-Universität, wo neben den Kamerateams der US-Wochenschauen bereits Thomas Mann auf ihn wartet.

Der Kontrast könnte kaum größer sein: Einstein in schlecht sitzender grauer Jacke und ohne Socken, Mann daneben im schwarzen Dreiteiler mit Krawatte und Einstecktuch. Für die Medien ein Highlight: Ein Treffen zweier deutscher Nobelpreisträger, die vor den Nationalsozialisten in die Vereinigten Staaten geflohen waren.

Stefan Keppler-Tasaki hat den Auftritt der beiden so genau vor Augen, dass er jede Kameraeinstellung, jeden Blick und jede Bewegung nacherzählen und erklären kann. Der Literatur- und Medienwissenschaftler ist Professor an der Universität von Tokio. Sein Forschungsgebiet führt ihn aber immer wieder zurück nach Berlin und an die Freie Universität, wo er von 2008 bis 2012 Juniorprofessor gewesen ist. Ein Einstein Visiting Fellowship der Einstein Stiftung ermöglicht ihm den Aufbau einer Arbeitsgruppe an der Friedrich-Schlegel- Graduiertenschule für literaturwissenschaftliche Studien, verbunden mit längeren Aufenthalten in Dahlem.

Gerade kommt er aus dem Archiv der Deutschen Kinemathek, in dem er alte Wochenschauen gesichtet hat. Er untersucht, wie sich prominente Autoren von Anfang der 1920er bis zu den 1950er Jahren vor den Kameras gaben. Stefan Keppler- Tasaki sagt, die Literaturwissenschaft habe sich bislang vor allem mit Verfilmungen literarischer Werke beschäftigt. Er gehe ein Stück weiter: „Die ,Persona’ der Schriftsteller, also die unverwechselbare Person, die sie öffentlich darstellen, ist genauso Teil ihres Werks.“

Trat etwa Thomas Mann vor die Kamera, habe er sich selbst als Thomas Mann „verfilmen“ lassen: „Er war sein eigenes Kunstwerk. War Schauspieler und Regisseur seiner Selbst.“ Bis jetzt fehlten die Kategorien für solche Analysen: Wann meldeten sich die Schriftsteller im neuen Medium zu Wort, wie interagierten sie mit dem technischen Equipment, welche Inszenierungsmuster gibt es? Keppler-Tasaki möchte dazu eine Poetik des filmischen Schriftstellerauftritts entwickeln.

Einstein und Mann kämpfen für eine gemeinsame Sache

Wie Thomas Mann seine Auftritte als Schriftsteller plante, zeige sich besonders im Kontrast zum Naturwissenschaftler Einstein. Der inszenierte sich „elektrisiert durch sein eigenes Genie“, Mann hingegen als anständig arbeitender, bürgerlich lebender Künstler. Manns Zigarre signalisierte Nervenstärke, seine Familie stand als Rückendeckung im Hintergrund.

Trotz aller Unterschiede ergänzten sich Einstein und Mann als die Repräsentanten der „wahren deutschen Kultur“ und kämpften dabei für eine gemeinsame Sache: die Aufnahme weiterer deutscher Exilanten in die USA. Für die Aufnahmen der Wochenschau wurde inszeniert, vorverlegt, nachgestellt.

Zufrieden waren die Schriftsteller trotzdem selten mit den Aufnahmen, sagt Keppler-Tasaki. Gerhart Hauptmann erschrak über die „Gockelhaftigkeit“ seines filmischen „Doppelgängers“. Thomas Mann ärgerte sich über Scheinwerfer-Hitze und Mikrofone vor der Nase. Und darüber, dass er einmal trotz bester Vorbereitung vergessen hatte, sich für die Aufnahme umzuziehen. So trug er im nachmittags inszenierten Film Anzug – statt Frack, wie es für eine tatsächlich abends stattfindende Veranstaltung angebracht gewesen wäre.

Ein Lapsus, der Bertolt Brecht nicht passieren konnte. Seit seinem Umzug nach Berlin in den 1920er Jahren pflegte er einen proletarischen Look: Lederjacke, Kappe, Nickelbrille. Kein vergeistigter Schriftsteller, sondern ein moderner Großstadt-Guerillero, so sieht Keppler-Tasaki Brechts „Persona“. Der perfektionierte sein Image zunächst für Fotos, erkannte aber bald, dass Filme das dynamische Arbeiten in der „Brecht-Clique“ viel besser einfangen konnten.

Schon bevor er prominent genug für die Wochenschau wurde, kaufte Brecht 1928 eine eigene 8-mm-Kamera. Mit ihr dokumentierte er den historischen Moment, als er mit Kurt Weill und Lotte Lenya die Dreigroschenoper schuf, kurzerhand selbst. Keppler-Tasaki verfolgt Brechts filmischen Werdegang von diesen privaten Filmen über Aufnahmen seiner Auftritte vor dem McCarthy-Ausschuss in den USA bis in die DDR-Zeit.

„Brecht arbeitete selbst als Regisseur. Anders als Thomas Mann wusste er also immer, wo die Kameras waren und wie er sich verhalten musste, damit sie ihn auch dann zeigten, wenn er nichts sagte“, erläutert Stefan Keppler-Tasaki. Saßen bei kulturellen Veranstaltungen in der DDR die anderen Autoren wie Hühner auf der Stange, rückte Brecht zum Beispiel mit verschränkten Armen nach hinten, und jeder sah in den Filmaufnahmen, die dort gemacht wurden, dass er den Funktionären unbequem sein wollte.

Wie stark sein Bestreben nach Macht über das eigene Bild war, zeigte sich, als er vor 60 Jahren, am 14. August 1956, starb. Grabreden hatte er sich verbeten. Für Keppler-Tasaki war es ein kleiner Schock, als er den Film über Brechts Beerdigung sah, an fünfter Stelle der Wochenschau versteckt: „Hinter einem Bericht über Traktorenproduktion und Tipps für Wanderurlaube in der Hohen Tatra.“

Man hatte Archivaufnahmen gewählt, die Brecht bei Veranstaltungen stumm nickend zeigten. Der Text machte den Beitrag zu einem politischen Nachruf, wie der Schriftsteller ihn nie gewollt hätte. Solche medialen Tricks seien schwierig zu interpretieren, sagt Keppler-Tasaki. Einerseits behielt die Propaganda das letzte Wort und inszenierte Brecht als linientreuen DDR-Autor. Andererseits ist der Beitrag so offensichtlich konstruiert, dass man als Zuschauer merkt, wie schwer sich die DDR damit tat, ihren prominentesten Autor „einzufangen“, wie Keppler-Tasaki es nennt. „Sogar in Filmen wie diesem staatskonformen Wochenschaubericht bleibt seine Widerständigkeit erhalten.“

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