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Studie: Evolution auf der Erde verlief in fünf Phasen

Neue Perspektive auf die Evolution der Erde könnte die Entwicklung von Leben auf anderen Planeten vorhersagen helfen

Nr. 101/2017 vom 28.04.2017

Die Geschichte von Leben und dem Planeten Erde lässt sich einer Studie der Evolutionsbiologin und Autorin Dr. Olivia Judson von der Freien Universität Berlin zufolge in fünf Phasen unterteilen. Jede Phase sei durch die Nutzung einer von fünf Energiequellen geprägt, schreibt die Wissenschaftlerin in einer Veröffentlichung in der Zeitschrift Nature Ecology & Evolution. Dazu zählten Geochemische Energie, Sonnenlicht, Sauerstoff, Fleisch und Feuer. Judson, die als Visiting Scholar am Institut für Biologie der Freien Universität tätig ist, trug Ergebnisse aus Forschungsfeldern zusammen, die von Geochemie über Paläontologie und Mikro-Ökologie bis zu Anthropologie reichen.

Jede Entwicklungsphase kennzeichnet nach der Analyse der Wissenschaftlerin, dass die Evolution von Organismen die Nutzung eines neuen und effektiveren Energieträgers ermögliche. „Das Leben auf der Erde wurde so immer vielfältiger und komplexer“, schreibt die Wissenschaftlerin, die auch Honorary Research Fellow am Imperial College London und Research Affiliate an der University of Glasgow ist. Jede Phase habe zudem große Auswirkungen auf die Umwelt auf dem Planeten gehabt, was wiederum auf den Verlauf der Evolution prägend Einfluss genommen habe. Die Ergebnisse zeigten, dass die Entwicklung von Leben und von der Erde stark voneinander abhängen.

Von den fünf Energieträgern sind geochemische Energie und Sonnenlicht seit der Entstehung der Erde vor 4,5 Milliarden Jahren vorhanden. Es wird vermutet, dass die ersten Lebensformen geochemische Energie verwendeten und erst später die Fähigkeit erlangten, Sonnenlicht zu nutzen. Die Existenz von Sauerstoff, Fleisch und Feuer gelten als Resultat evolutionärer Ereignisse.

Zwar sind (noch) keine Beispiele für Planeten oder Monde mit Leben außerhalb der Erde bekannt. In ihrem Modell deutet Judson aber darauf hin, dass die Entwicklung einer Biosphäre von den verfügbaren Energieträgern geprägt wird, was von dem Planeten selbst und von dessen kosmischem Umfeld abhängt. Geochemische Energie beispielsweise könne Leben auftreten lassen – doch wenn ein Planet weit von einer Sonne entfernt ist, sei Solarenergie nicht verfügbar, erläutert die Wissenschaftlerin. Ohne Licht könnte ein System von Leben auf einem Planeten in einer frühen Entwicklungsstufe stecken bleiben.

„Wenn die Geologie einer Welt sich von derjenigen der Erde unterscheidet, könnte es unmöglich sein, dass sich Sauerstoff ansammelt, selbst wenn er von Pflanzen produziert wird“, betont die Wissenschaftlerin. Ohne Sauerstoff wiederum seien die Grundlagen für die Existenz von Lebewesen vermutlich stark eingeschränkt. Andererseits könnten manche Planeten Energiequellen – und damit eine komplexe Biosphäre – deutlich schneller als die Erde entwickelt haben. „Eine komplexe Biosphäre ist nicht eine automatische Konsequenz der Evolution. Sie hängt auch davon ab, wie Leben mit seiner Welt interagiert“, sagt Judson. „Um zu florieren, muss eine lebende Welt ihre Umwelt bereichern.“

Sauerstoff, das sich in der Atmosphäre der Erde Schätzungen zufolge zuerst vor etwa 2,3 Milliarden Jahren ansammelte, ist ein Nebenprodukt einer Gruppe von Organismen, genannt Cyanobakterien. Sie nutzen im Laufe der Zeit Sonnenlicht, um Wassermoleküle zu spalten, wodurch Sauerstoff freigesetzt wurde. In der Folge entstanden neue Lebensformen, die sich Sauerstoff zunutze machten. Vor etwa 550 Millionen Jahren mündete dies in der Evolution von Fleisch – mobilen Tieren, die sich von anderen Organismen ernährten. „Feuer, das sowohl Sauerstoff als auch Brennstoff benötigt, existierte auf der Erde erst durch die Evolution der Landpflanzen, also seit etwa 420 Millionen Jahren“, erläutert die Wissenschaftlerin. Die Erde sei bisherigen Kenntnissen zufolge der einzige Planet des Sonnensystems, auf dem es Feuer gibt.

Jede dieser Entwicklungen löste signifikante Veränderungen im System der Erde aus, wie die Forscherin unterstreicht: „Sauerstoff erzeugte die Ozonschicht und vervielfachte die Anzahl der unterschiedlichen Mineralien an der Erdoberfläche. In der Fleisch-Phase wurden Organismen größer und Ökosysteme viel komplexer“, hebt sie hervor. „Fleisch hatte auch größere geologische Auswirkungen. Dadurch, dass Lebensformen gezwungen waren, sich davor zu davor zu schützen, gefressen zu werden, führte Fleisch zum Beispiel zur Entwicklung von Schutzschalen. Diese hätten sich teilweise in großen Mengen angesammelt, etwa in den Kreidefelsen auf Rügen, erläutert Olivia Judson.

„Feuer wurde zuerst von menschlichen Vorfahren vor vielleicht einer Million Jahren eingesetzt – zum Kochen, einem Prozess, der die Energieaufnahme aus dem Essen erleichtert“, erklärt die Wissenschaftlerin Mit der Zeit sei Feuer zudem zur Grundlage für viele arbeitssparende Technologien des Menschen geworden. Zu den frühen Beispielen zählt sie die Herstellung von Werkzeug: Neandertaler nutzen Feuer, um aus Birkenharz Klebstoff zu gewinnen – ein Stoff, mit dem sie Axtköpfe an Axtschäften befestigen. Jüngere Beispiele für Technologien, die auf Feuer basierten, seien Hochöfen zum Schmelzen von Eisen und zum Brennen von Glas, die Dampfmaschine, der Verbrennungsmotor und das sogenannte Haber-Bosch-Verfahren zur Produktion künstlichen Düngers – eine Technologie, die zum enormen Anstieg der Weltbevölkerung in den letzten 100 Jahren beigetragen habe. „Die Feuertechnologie hat auch Umweltauswirkungen – von steigenden Kohlendioxid-Werten in der Atmosphäre über Belastung mit Stickstoff und Plastik bis hin zur Umgestaltung der Landschaft mit Minen, Tunneln, Dämmen und Städten“, führt die Wissenschaftlerin weiter aus.

„Dieses Modell zeigt, wie sich Leben und Erde gemeinsam entwickelt haben. Mit der Ausnutzung jeder neuen Energiequelle wurden Veränderungen an die Umwelt zurückgegeben“, sagt Judson. Diese Umweltveränderungen hätten umgekehrt die Evolution des Lebens beeinflusst und den Planeten zu dem wunderbaren Ort gemacht, der er heute ist. „Wir Menschen sind für diesen Planeten gut geeignet, weil wir hier entstanden sind“, fügt Judson hinzu. „Den meisten Menschen ist jedoch nicht bewusst, dass der Planet sich selbst mit der Zeit stark verändert hat – wegen des Lebens.“

Weitere Informationen

Dr. Olivia Judson, Institut für Biologie, Freie Universität Berlin, Königin-Luise-Straße 1-3, 14195 Berlin. Tel.: 49 176 3704 3943, E-Mail: ojudson@gmail.com

Ein Foto von Dr. Olivia Judson ist auf Nachfrage erhältlich, ebenso eine Illustration, die einen zeitlichen Überblick über die Nutzungsphasen der Energie gibt.

Zitation: Judson, O. P. The energy expansions of evolution. Nature Ecology and Evolution 1, 0138 (2017)

Über die Autorin

Dr. Olivia Judson ist Visiting Scholar an der Freien Universität Berlin, Honorary Research Fellow am Imperial College London und Research Affiliate an der University of Glasgow. Sie hat für zahlreiche Publikationen geschrieben, darunter National Geographic Magazine, The Financial Times und The Atlantic. Sie schrieb die Blogserie „The Wild Side“ für die New York Times und ist die Autorin des preisgekrönten Bestsellers Die raffinierten Sexpraktiken der Tiere (engl.: Dr. Tatiana’s Sex Advice to All Creation: The Definitive Guide to the Evolutionary Biology of Sex). Sie schreibt derzeit ein Buch über die Geschichte des Lebens und der Erde, in dem die Ideen dieser Veröffentlichung weiterentwickelt werden.