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Freie Universität Berlin und Erbengemeinschaft des deutsch-jüdischen Verlegers Rudolf Mosse erforschen gemeinsam den Verbleib von entzogenen Werken aus der Sammlung des Mäzens

Weltweit erste öffentlich-private Partnerschaft in der Provenienzforschung von Einrichtungen in Deutschland und den Nachfahren der Opfer nationalsozialistischer Verfolgung in Berlin vorgestellt / Kooperation mit zahlreichen Institutionen und Museen

Nr. 043/2017 vom 07.03.2017

Die Freie Universität Berlin und die Erbengemeinschaft des deutsch-jüdischen Verlegers Rudolf Mosse (1843–1920) erforschen gemeinsam den Verbleib von NS-Raubkunst und die näheren Umstände des Entzugs Tausender Werke aus dem früheren Besitz der Familie des Mäzens und Sammlers durch die Nationalsozialisten. Beide Seiten schlossen einen Vertrag bis Februar 2019 über die Mosse Art Research Initiative (MARI), deren Details am Dienstag in Berlin vorgestellt wurden. Bei dem Projekt MARI handelt es sich um ein weltweit einmaliges Vorhaben der Provenienzforschung. Die Sammlung des Verlegers Rudolf Mosse umfasste Tausende Bilder, Skulpturen, kunstgewerbliche Objekte, Bücher und Antiquitäten. An der Freien Universität wird das Vorhaben durch den Kunsthistoriker Prof. Dr. Klaus Krüger vom Fachbereich Geschichts- und Kulturwissenschaften geleitet. Koordiniert wird es von Dr. Meike Hoffmann, wissenschaftliche Mitarbeiterin des Kunsthistorischen Instituts und international renommierte Expertin in der Provenienzforschung.

Bei der Kooperation in der Mosse Art Research Initiative handelt es sich um eine in diesem Zusammenhang einzigartige öffentlich-private Partnerschaft. Zu den Projektpartnern zählen neben der Mosse-Erbengemeinschaft und der Freien Universität weitere Einrichtungen, die bereits zu Rudolf Mosse forschen, Objekte an die Erbengemeinschaft restituiert haben oder das Projekt unterstützen: unter anderen die Kulturstiftung der Länder, die Staatlichen Museen zu Berlin – Stiftung Preußischer Kulturbesitz, die Stiftung Jüdisches Museum Berlin und das Landesarchiv Berlin. Ferner kooperieren die Staatliche Kunsthalle Karlsruhe, das Referat für Museumsangelegenheiten der Stadt Köln/ Provenienzforschung, das Museum Wiesbaden, das Museum der Stadt Worms, das Institut Mathildenhöhe Darmstadt und andere. Das Forschungsprojekt wird durch das Deutsche Zentrum Kulturgutverluste in Magdeburg und das Mosse Art Restitution Project gefördert.

Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler bedienen sich bei Ihrer Recherche verschiedener Methoden der kunsthistorischen Praxis und der Provenienzforschung. Zunächst einmal gilt es, die Werke der ehemaligen Mosse-Sammlung zu identifizieren. Auf Grundlage der Sammlungskataloge (1908, 1921, 1929, 1932), Innenaufnahmen der Residenzen der Familie Mosse, Familienkorrespondenzen sowie Versteigerungslisten und -kataloge sollen die Sammlungsbestände erstmals so weit wie möglich rekonstruiert werden.

Ziel des Projektes ist es, herauszufinden, welche Werke aus der Sammlung Mosse noch existieren und wo sie sich befinden. Um die einzelnen Stationen und Wege der Werke bis zum heutigen Standort im Detail nachvollziehen zu können, müssen alle relevanten archivalischen Quellen und Provenienzspuren erschlossen und einer Quellenkritik unterzogen werden. Ferner sollen dadurch die genauen Verlustumstände während des NS-Regimes geklärt, und Rückschlüsse auf das Verwertungssystem von entzogenem Kulturgut in der Frühphase des nationalsozialistischen Regimes gewonnen werden.

Erst auf Grundlage der zu erzielenden Resultate wird für die Forschung und die Öffentlichkeit das ganze Ausmaß der bis heute fortwirkenden Folgen durch die Zerschlagung der Sammlung Mosse im „Dritten Reich“ erfasst werden können. Die Erkenntnisse beider Annäherungen – Provenienz- und Kontextforschung – werden sowohl zur allgemeinen Aufklärung von NS-Verbrechen beitragen als auch ein ehrendes Gedenken an Rudolf Mosse, den prägenden Kunstförderer und Philanthropen, wachrufen. Der Öffentlichkeit werden die Erkenntnisse zeitnah über eine Online-Publikation mit Objekt-Datenbank zugänglich gemacht. Die Partner arbeiten darauf hin, die aufgefundenen Werke in einer Ausstellung zeigen zu können.

Rudolf Mosse (1843–1920)

Der deutsch-jüdische Verleger, Kunstsammler und Philantrop Rudolf Mosse zählte zu den einflussreichsten Akteuren der Berliner Wirtschaft im Kaiserreich und in den Anfängen der Weimarer Republik. Die Familie Mosse, Verleger des Berliner Tageblattes – eines linksliberalen Leitmediums –, wurde nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten zur Flucht aus Deutschland gezwungen.

Ausgebildet als Buchhändler, gründete Rudolf Mosse 1867 in Berlin die Annoncen-Expedition Rudolf Mosse und stieg innerhalb kürzester Zeit zum wichtigsten Anbieter für Werbeanzeigen auf. Bereits fünf Jahre später verfügte Mosse über 250 Zweigniederlassungen im In- und Ausland. Gemeinsam mit seinem Schwager Emil Cohn baute Mosse sein Unternehmen durch die Gründung eines Verlags aus und gab um die 130 Fachzeitschriften heraus sowie zahlreiche populäre Blätter und Zeitungen, darunter das Berliner Tageblatt (1872), die Berliner Morgen-Zeitung (1889) und die Berliner Volks-Zeitung (1904). Das Anfang des 20. Jahrhunderts errichtete Mossehaus im historischen Zeitungsviertel in Berlin-Mitte zeugt noch heute von der Bedeutsamkeit des ehemaligen Konzerns.

Neben seinem Geschäft war Mosse überaus vielseitig interessiert und engagiert. Gemeinsam mit seiner Ehefrau gründete er in Wilmersdorf die interkonfessionelle „Emilie und Rudolf Mosse-Stiftung“, ein Erziehungsheim für Waisenkinder, an das noch heute mit zwei Gedenktafeln am denkmalgeschützten Gebäude in der Mecklenburgischen Straße erinnert wird. Als wohlhabender Mann ließ er sich Anfang der 1880er Jahre in der Mitte Berlins, am Leipziger Platz 15, ein neobarockes dreigeschossiges Stadtpalais von den Architekten Gustav Ebe und Julius Benda errichten. Dort trug er eine mehrere Tausend Objekte umfassende Kunstsammlung zusammen, die in Künstlerkreisen „Mosseum“ genannt wurde und die der Sammler um 1910 der Öffentlichkeit zugänglich machte. Zu Mosses favorisierten Künstlern gehörten Oswald Achenbach, Ludwig Knaus, Wilhelm Leibl, Franz Lenbach, Adolph Menzel, Max Liebermann, Eugen Bracht, Hans Thoma und viele andere, die als Vertreter des damals zeitgenössischen Realismus in die Kunstgeschichte Deutschlands eingegangen sind. Neben Gemälden und Skulpturen sammelte Mosse auch Kunsthandwerk, Möbel, Textilien, ägyptische Altertümer, Benin-Bronzen und Ostasiatika sowie wertvolle Handschriften und seltene Bücher.

Als Rudolf Mosse 1920 und wenige Jahre später seine Ehefrau Emilie (1851–1924) starben, erbte die Adoptivtochter Felicia (1888–1972) das gesamte Vermögen. Kurz nach der Machtübernahme liquidierten die Nationalsozialisten das durch die Weltwirtschaftskrise stark angeschlagene Firmenimperium und trieben das Ehepaar Felicia und Hans Lachmann-Mosse mit ihren drei Kindern Rudolf (1913–1958), Hilde (1912–1982) und Gerhard (später George, 1918–1999) ins Exil. Die nach der Emigration zurückgelassenen Besitztümer wurden unter eine reichseigene Treuhandverwaltung gestellt, die unter anderen den schon bald im NS-Kunsthandel Karriere machenden Karl Haberstock mit der Verwertung der Kunstwerke betraute. Am 29. und 30. Mai 1934 wurden daraufhin der in Rudolf Mosses Stadtpalais ausgestellte Teil seiner Sammlung sowie die Einrichtungsgegenstände durch „Rudolph Lepke’s Kunst-Auctions-Haus“ versteigert. Eine Woche später hielt das Berliner Auktionshaus Union eine Versteigerung des Kunstbesitzes der Familie Felicia und Hans Lachmann-Mosse in deren Stadtvilla in der Massenstrasse 28 ab.

Das Projekt „Mosse Art Research Initiative“ (MARI)

Die Recherche nach Beständen aus der Sammlung Mosse erstreckte sich bisher weitgehend auf Einzelwerk-Recherchen. Die Mosse Art Research Initiative ist deshalb in vielerlei Hinsicht innovativ: Erstmals kooperieren die Erbengemeinschaft, Museen, Archive und andere öffentliche Einrichtungen. Durch diese Art der planmäßig koordinierten Verbundforschung fachkundiger Kooperationspartner kann die systematische Auswertung aller Quellen und Archivbestände zum Themenbereich in absehbarer Zeit umgesetzt werden.

Das Projekt ist in Berlin, dem Wirkungsort von Rudolf Mosse, angesiedelt, wo zentrale Aktenbestände verwahrt werden. Als Projektträgerin fungiert die Freie Universität Berlin, eine von Restitutionsverfahren unabhängige Forschungsinstitution mit ausgewiesener Expertise in der Provenienzforschung. Am Fachbereich Geschichts- und Kulturwissenschaften sind zudem vor längerer Zeit Forschungsschwerpunkte zum mäzenatischen Handeln in der Kaiserzeit (Prof. Dr. Thomas W. Gaehtgens, Kunsthistorisches Institut, heute Getty Research Institute in Los Angeles) sowie zu Theodor Wolff (Prof. Dr. Bernd Sösemann, Friedrich-Meinecke-Institut) begründet worden. Daneben bietet das Kunsthistorische Institut mit seiner globalen Ausrichtung die ideale Infrastruktur für die Erforschung der vielschichtigen Sammlung Rudolf Mosses.

Angesichts der hohen kulturpolitischen Relevanz steht der Aspekt der Transparenz im Mittelpunkt der Vermittlungsstrategien. Neben unterschiedlichen Publikations- und Veranstaltungsvorhaben wird ein Portal zur digitalen Präsentation, Erschließung und Visualisierung der komplexen Forschungsergebnisse entwickelt, das gezielt auf die Provenienzforschung zugeschnitten ist. In dieser Form tritt die Kooperationsgemeinschaft als Netzwerk von höchster Kompetenz auf. Sie wird insbesondere in Deutschland und den Nachbarländern sowie in den USA wichtige Impulse geben und einen wertvollen Beitrag zur Gestaltung der Erinnerungskultur in Deutschland leisten.

Folgende Bilder stehen Ihnen honorarfrei zum Herunterladen zur Verfügung:

Reinhold Begas: »Susanna« (© Staatliche Museen zu Berlin, Nationalgalerie  / Andres Kilger)

Skulptur, Löwe (© Staatliche Museen zu Berlin)

August Gaul: »Liegender Löwe«, Skulptur von 1903 (© Staatliche Museen zu Berlin)

Römischer Kindersarkophag mit Erotendarstellungen, 2. Jh. n. Chr. (© Staatliche Museen zu Berlin, Antikensammlung, Foto: Gudrun Stenzel)

Unter folgendem Link können Sie die Bilder herunterladen: www.preussischer-kulturbesitz.de/newsroom/presse/pressebilder Sie finden dort auch die Bildquellen und Bildunterschriften; bitte beachten Sie bei der Nutzung die jeweilige Quellenangabe.

Einen digitalisierten Auktionskatalog zur Kunstsammlung von Rudolf Mosse aus dem Jahr 1934 finden Sie auf der Webseite der Universitätsbibliothek Heidelberg.

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