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Robert Gernhardt spricht zu den Neuimmatrikulierten

Berlin, 19.04.2000

"Wer schreibt, bleibt. Und was wird aus dem Leser?"

Robert Gernhardt spricht zu den Neuimmatrikulierten

"Lesen lohnt", sagt Robert Gernhardt, selbst Verfasser einer beachtlichen Anzahl von Gedichten, Bildgeschichten, Essays, Theaterstücken, Drehbüchern und, und... Er habe es von Kindesbeinen an verstanden, das einmal Gelesene zu recyclen und für sein eigenes Schreiben fruchtbar zu machen. Gernhardt ist eingeladen, am 19. April die neuimmatrikulierten Studierenden der FU mit einem Festvortrag zu begrüßen und will bei diesem Anlass den jungen Leuten vermitteln, wie man durch stetes Lesen sein Fortkommen sichern kann. In "drei, vier, fünf kleinen Beispielen" und unter Zuhilfenahme von Busch, Brecht und der Bibel will er zeigen: "Es kann sich sogar rechnen".

Gernhardt studierte Malerei – für ihn "die schönste, weil leiseste aller Künste" – an den Kunstakademien in Berlin und Stuttgart und Germanistik an der FU. Ab 1966 arbeitete er als Maler, Zeichner, Karikaturist und Schriftsteller. Vielen ist er noch als Mitverfasser der Kolumne "Welt im Spiegel" in der legendären Pardon bekannt oder als Mitbegründer der Satirezeitschrift Titanic. Seine mit Wörtern und Bildern spielenden Gedichte und Bildgeschichten erfreuten eine wachsende Anhängeschar – wenn auch nicht alle Anhänger wissen, wem sie anhängen, denn vieles aus seiner Feder ist erst auf dem Umweg über "Otto" bekannt geworden. Weiter hat sich Gernhardt als Herausgeber von Otto-Waalkes-Büchern betätigt und war an den Drehbüchern von vier Otto-Waalkes-Filmen beteiligt (nicht am Katastrofenfilm).

Dass vielen, die seine Werke mögen, sein Name unbekannt ist, macht Gernhardt nichts aus: "Die Lorelei kennt auch jeder und die meisten wissen nicht, dass sie von Heine ist". So ganz neu ist diese Haltung für ihn nicht: Schon als er für Pardon schrieb, nannte er sich Lützel Jeman (kaum jemand) – ein Name, den er bei Hartmann von Aue entlehnte. Und in einem Interview zu seinem 60. Geburtstag (1997) sagte er der Berliner Morgenpost u.a.: "Der Satiriker will eine gute, geordnete, richtige Welt. Und fomuliert das in einer Art und Weise, die, wenn alles gutgeht, lachen macht. ... Die einzige plausible und glaubhafte Haltung ist für mich ohnehin die Kritik aus der Froschperspektive: als Teil des Ganzen, das kritisiert wird."

Der Durchbruch "zum anerkannten Gegenwartsliteraten" (Gernhardt über Gernhardt) gelang ihm Anfang der 80-er Jahre. Seither wird er von den Rezensenten in die Tradition großer deutscher Schriftsteller wie Heine, Brecht, Kästner oder Tucholsky gestellt. Er wurde gelobt und mit Preisen belohnt, deren nahrhaftester der 1988 erstmals verliehene "Kulinarische Literaturpreis der Stadt Schwäbisch Gmünd" gewesen sein dürfte, der mit einem Besuch in den zehn besten Restaurants der Bundesrepublik verbunden ist. Die Laudatio hielt Loriot. Derzeit ist Gernhardt Fellow am Wissenschaftskolleg zu Berlin.

 

von Anne Schillo