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Prof. Dr. Karl-Otto Apel

26.05.2017

Prof. Dr. Karl-Otto Apel ist am 15. Mai 2017 verstorben. Er war Ehrendoktor am Fachbereich Philosophie und Geisteswissenschaften der Freien Universität.

Wir sind Diskurspartner – seid mitverantwortlich!
Zum Tode des Ehrendoktors der Freien Universität Berlin Karl-Otto Apel / Ein Nachruf von Prof. Dr. Dietrich Böhler

In seinem Haus oberhalb Frankfurts starb, 95-jährig, am 15. Mai 2017 der Sprachpragmatiker und Diskursethiker Karl-Otto Apel, nachdem bei Suhrkamp gerade sein letztes Buch „Transzendentale Reflexion und Geschichte“ erschienen war.

Der kritische Weggefährte von Jürgen Habermas lehrte in Kiel, Saarbrücken und seit 1973 an der Goethe-Universität Frankfurt am Main.

Am 11. Juli 2000 verlieh ihm der Fachbereich Philosophie und Geisteswissenschaften der FU den Ehrendoktortitel: Nachdem die Vizepräsidentin der FU, Gisela Klann-Delius, ihr Grußwort, das eine philosophische Reflexion über „Warum (nicht: wozu) moralisch sein“ war, gehalten, Dekan Gert Mattenklott die Ehrendoktorwürde verliehen und Dietrich Böhler die Laudatio „Kommunikation, Reflexion, Mitverantwortung. Über das Denkleben eines philosophe engagé“ vorgetragen hatte, erörterte Karl-Otto Apel „das Spannungsverhältnis zwischen Ethik, Völkerrecht und politisch-militärischer Strategie“ – im Blick auf den NATO-Einsatz im Kosovo.

Apels ursprüngliche Einsicht ist die (erstmals 1973 in „Transformation der Philosophie“, Band II entwickelte) Dialektik einer idealen Kommunikationsgemeinschaft und den realen Kommunikationsgemeinschaften: Etwas als dieses oder jenes verstehend, über etwas redend und etwas Bestimmtes tuend, sind wir keine einsamen Subjekte (wie die neuzeitliche Philosophie von Descartes bis Husserl unterstellte), sondern von vornherein Mitglieder realer Sprachgemeinschaften und Selbstbehaupter in realen Gesellschaften. In diesen zwar relativ durchlässigen, freilich partikularen Sinn- und Handlungszusammenhängen beanspruchen wir aber immer schon Geltung, nämlich Verständlichkeit und Wahrheit, Glaubwürdigkeit und Richtigkeit bzw. Verantwortbarkeit. Damit haben wir uns stillschweigend auf die Geltungsinstanz einer idealen Kommunikationsgemeinschaft bezogen, in der ausschließlich sinnvolle, widerspruchsfreie Argumente gelten würden und wo alle, die sinnvoll argumentieren, gleichberechtigt, aber auch gleichermaßen mitverantwortlich wären. Wie? Indem sie das Diskurs- und Moralprinzip „D“ befolgen, das man etwa so formulieren kann: ‚Suche und praktiziere allein das, was die Zustimmung aller als Dialog- und Argumentationspartner verdient.‘

Praktisch folgert Apel daraus vor allem dreierlei: Kommunikation, durch die wir etwas geltend machen, verlangt Mitverantwortung für deren Realisierungsbedingungen, wie Freiheit, Auskommen, lebensdienliche Umwelt. Das ist das nicht sinnvoll bezweifelbare Prinzip Mit-Verantwortung (so der Titel des vom Hans Jonas-Zentrums der FU zur Ehrenpromotion veranstalteten internationalen Ethik-Kongresses 2000 und des von Apel mitherausgegebenen Diskursbuches, Würzburg 2001).

Da jedoch die realen Kommunikationsgemeinschaften mitbestimmt sind von der Selbstbehauptung der Menschen und den weniger kommunikativ als strategisch agierenden Selbstbehauptungssystemen der Gesellschaften und Nationen, der Wirtschaft, der Politik und des Rechtssystems, könne (und dürfe) man nicht damit rechnen, daß die beim Argumentieren vorausgesetzten Geltungsansprüche hinreichend oder nur zumeist auch eingelöst werden. Daraus folgert Apel: Mitverantwortung läßt sich nur realisieren, wenn wir uns bemühen, gegen vernunft- und moralwidrige (d. h. mit widerspruchsfreien Argumenten nicht zu rechtfertigende) Selbstbehauptungs-Folgen Konterstrategien einzusetzen. Nicht irgendwelche, sondern allein solche, die sowohl erfolgsfähig als auch zustimmungswürdig sind. Apel nannte das den verantwortungsethischen „Teil B der Diskursethik“.

Drittens folgert Apel, in Auseinandersetzung mit seinem Frankfurter Freund Habermas, daß eine Ethik, die sich durch Besinnung auf uns als virtuelle Diskurs-Teilnehmer und auf die Instanz des argumentativen Diskurses begründet, nicht ausschließlich eine Philosophie der Gerechtigkeit sein kann. Vielmehr schließe die Diskursethik ebenso Mitverantwortung als Prinzip ein. Gerechtigkeit und Mitverantwortung seien von vornherein verwoben.

Auf diese Weise holt „the ugly rationalist“ Apel „Das Prinzip Verantwortung“ von Hans Jonas ein, seinem deutsch-jüdisch-amerikanischen Denkfreund auf dem anderen, nämlich metaphysischen Ufer. Ihm hatte die FU 1992 im Beisein von Bundespräsident Dr. Richard von Weizsäcker den Ehrendoktortitel verliehen. Wie die vom Hans Jonas-Zentrum verantwortete „Kritische Gesamtausgabe der Werke von Hans Jonas“ im jüngsten Band (I/2.2) dokumentiert, hatte Jonas die ökologische Krise und eine globale Mitverantwortung bereits 1968 bedacht, während Apel eben das 1967 in seinem Göteborger und Bergener Vortrag „Das Apriori der Kommunikationsgemeinschaft und die Grundlagen der Ethik“ tat. – Zwei geistesgegenwärtige Prinzipiendenker in prinzipienunwilliger Zeit und „against the stream“ einer zumeist prinzipienunfähigen Philosophie.

Der Bundespräsident veröffentlichte eine Würdigung Karl-Otto Apels, die mit den Worten schließt: „Das Werk von Karl-Otto Apel ist […] von herausragender Aktualität. Die von ihm formulierten Regeln und Grundlagen für eine Argumentations- und Kommunikationsgemeinschaft unter Gleichberechtigten haben mitgeholfen, nach dem Zweiten Weltkrieg eine humane und zivile Gesellschaft aufzubauen. Weit über Deutschland hinaus genoss Karl-Otto Apel zu Recht hohe Anerkennung und verdientermaßen philosophischen Ruhm.“

Dietrich Böhler