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Die Freiheit der Möglichkeiten

Der US-amerikanische Psychologe Jaan Valsiner erforscht, wie aggressive Gefühle gesteuert werden können

17.08.2012

Der gebürtige Este Jaan Valsiner war als Alexander-von-Humboldt-Stipendiat drei Monate lang in Deutschland.

Der gebürtige Este Jaan Valsiner war als Alexander-von-Humboldt-Stipendiat drei Monate lang in Deutschland.
Bildquelle: Privat

Der Mensch ist kein Tier. Er hat die Möglichkeit, sich für oder gegen eine Sache zu entscheiden. Jaan Valsiner, Psychologieprofessor an der Clark University in Worcester, USA, erklärt diesen Unterschied mit einem Beispiel: „Eine Katze frisst eine Maus, ohne darüber nachzudenken, welche Bedeutung der Vorgang hat. Der Mensch wiederum sieht Schokolade und denkt darüber nach, ob er sie essen soll oder nicht. Er weiß, dass sie gut schmeckt, aber auch, dass sie dick macht. So wird ein semiotischer Regulationszirkel in Gang gesetzt.“

Dieses Beispiel beschreibt die Voraussetzungen der Entwicklungspsychologie, mit denen sich Jaan Valsiner beschäftigt. Der gebürtige Este war als Alexander-von-Humboldt-Stipendiat drei Monate lang in Deutschland, um mit Wissenschaftlern der Freien Universität Berlin, der Hochschule Magdeburg-Stendal und der Universität Erlangen-Nürnberg zusammenzuarbeiten.

Während seiner Zeit an der Freien Universität beteiligte sich Valsiner an der Forschung zum Thema Mobbing am Arbeitsbereich Entwicklungswissenschaft und Angewandte Entwicklungspsychologie von Professor Herbert Scheithauer. Dabei geht es Valsiner, dessen Schwerpunkt die kulturelle Entwicklungspsychologie ist, um die Schnittstellen zwischen Sozial- und Entwicklungspsychologie.

Das Regulationsbeispiel sei auch für Mobbingfälle anzuwenden. „Die Frage ist: Was bringt ein Kind dazu, ein anderes zu mobben – und wie kann ich diesen Vorgang stoppen?“ Ähnlich dem Schokoladenbeispiel, bei dem der Mensch entscheidet, ob er die Süßigkeit isst oder nicht, sei auch dort die Möglichkeit gegeben, soziale Kontroll- und Regulationszirkel aufzubauen, die erste Schritte zum Mobbing hin unterbinden. Es gehe darum, aggressive Gefühle zu steuern und Mitgefühl für andere zu entwickeln.

Präventionsmaßnahmen bei Mobbing

Jaan Valsiner vermutet, dass die Kontrollsysteme an deutschen Schulen nicht ausreichend ausgearbeitet seien. Er vergleicht die menschliche Psyche mit einem komplizierten, modernen Flugzeug, in dem verschiedene Schaltsysteme miteinander verbunden sind. Auch in einem Flugzeug würden unterschiedliche Kontrollsysteme parallel eingesetzt, damit es nicht zum Absturz kommt. Ebenso könne man sich die Präventionsmaßnahmen bei Mobbing vorstellen: Erst wenn verschiedene Gruppen zusammenarbeiteten – Lehrer, Eltern, Schüler –, lasse sich das Risiko minimieren: „Trotzdem wird es absolute Sicherheit nicht geben.“

Valsiner hat mit Wissenschaftlern in Berlin, Bayern und Sachsen-Anhalt zusammengearbeitet. Das ständige Wechseln von Orten ist für den Alexander-von-Humboldt-Stipendiaten kein Problem, schon aus biografischen Gründen nicht: 1951 wurde Valsiner in Estland geboren, wo er 1979 an der Universität von Tartu promoviert wurde. 1980 emigrierte er und trat 1981 an der US-amerikanischen University of North Carolina seine erste Assistenzprofessur an.

1997 wechselte er an die Clark University in Worcester, USA, wo er seitdem lehrt und forscht. Bis heute ist Valsiner unterwegs – regelmäßig auch in Deutschland. 1995 erhielt er hier für seine herausragende wissenschaftliche Arbeit den Alexander-von-Humboldt-Preis. „Ich verbringe viel Zeit im Flugzeug“, sagt der Wissenschaftler. Das werde sich so schnell auch nicht ändern.

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