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China – Land der Kontraste

Sinologie-Professor Klaus Mühlhahn befasst sich seit über 25 Jahren mit dem Reich der Mitte und ist Co-Sprecher der im Rahmen der Exzellenzinitiative geförderten Graduiertenschule East Asian Studies

08.10.2013

Eine der traditionellen Gassen in Peking, die zunehmend durch die Errichtung von Hochhäusern verdrängt werden.

Eine der traditionellen Gassen in Peking, die zunehmend durch die Errichtung von Hochhäusern verdrängt werden.
Bildquelle: wikimedia commons

Das Wirtschaftszentrum Shanghai. Die Stadt gilt mit 23 Millionen Einwohnern als bedeutendste Industriestadt Chinas und ist eine der größten Städte des Landes und der Welt.

Das Wirtschaftszentrum Shanghai. Die Stadt gilt mit 23 Millionen Einwohnern als bedeutendste Industriestadt Chinas und ist eine der größten Städte des Landes und der Welt.
Bildquelle: Agnieszka Bojczuk / wikimedia commons

Dr. Klaus Mühlhahn ist seit 2010 Professor für Sinologie an der Freien Universität Berlin.

Dr. Klaus Mühlhahn ist seit 2010 Professor für Sinologie an der Freien Universität Berlin.
Bildquelle: Privat

Erst Anfang der Achtzigerjahre öffnete sich die Volksrepublik China für den Westen. Seitdem durchläuft das Land einen rasanten Wandel. Die westliche Berichterstattung über die einst streng sozialistische Volksrepublik ist geprägt von Superlativen: weltgrößte Handelsnation, einzigartiges Wachstum, extreme Umweltverschmutzung, massiver demografischer Wandel. „Die Veränderungen sind dramatisch – Städte verändern sich innerhalb von wenigen Jahren so stark, dass man sie kaum wiedererkennt“, sagt Klaus Mühlhahn, Professor für Sinologie an der Freien Universität und Co-Sprecher der Graduiertenschule East Asian Studies.

Er werde oft gefragt, wie er in den 1980er Jahren auf die Idee gekommen sei, Sinologie zu studieren, sagt Klaus Mühlhahn. Und erzählt von einer Ausstellung in Berlin über Schätze aus dem Kaiserpalast in Peking, die ihn maßgeblich beeindruckt und sein Interesse für ein China-Studium geweckt habe. „Ich dachte mir, das ist interessant: Man weiß nicht genug über ein wichtiges Thema. Das macht ein Studium aus, das für mich Sinn ergibt“, sagt Mühlhahn. Nach dem Magisterabschluss an der Freien Universität und der Promotion folgten mehrere Auslandsaufenthalte. Dann nahm Mühlhahn 2010 den Ruf nach Dahlem an. „Das Institut war mir immer sehr nah. Durch die Entwicklung der Freien Universität im Rahmen der Exzellenzinitiative wurde es für mich besonders interessant, zurückzukommen.“

„Es war eine Gesellschaft die ganz anders funktionierte“

An seinen ersten China-Besuch Mitte der Achtzigerjahre kann sich Mühlhahn noch gut erinnern. Neben sprachlichen Hindernissen waren es das alltägliche Leben und die Strukturen, die es anfänglich schwer machten, sich zurechtzufinden. „Das war ein Kulturschock und nichts von dem Wissen, das man mitbrachte, funktionierte“, beschreibt Mühlhahn seinen ersten Aufenthalt. Heutige Metropolen, wie Peking oder Shanghai, waren damals noch agrarwirtschaftlich geprägt. „Städte waren wie zu groß gewachsene Dörfer. Es gab gerade mal eine handvoll Hotelhochhäuser, und nach 21 Uhr war die Stadt wie ausgestorben.“

„Je besser ich China kennengelernt habe, desto mehr wuchs meine Faszination“

Mittlerweile reist Mühlhahn drei bis viermal im Jahr nach China. Den Wandel, den das Land durchgemacht hat, bezeichnet er als dramatisch. „Inzwischen sind die ursprünglichen chinesischen Gebäude aus dem 19. Jahrhundert fast gänzlich verschwunden“, sagt er. Hochhäuser prägten die Stadtbilder und ein starker westlicher Einfluss, gerade im Bereich der Popkultur und Medien, sei zu spüren.

Auf der anderen Seite sehe man die Rückkehr von im Sozialismus ursprünglich verbotenen Traditionen. Waren Anfang der Achtzigerjahre Tempel, Klöster und Kirchen noch verlassen, lebt die chinesische Volksreligion heute wieder auf. Einst verbannte Schriften, wie die des Konfuzius, sind Bestseller. „Es ist eine interessante Mischform von Tradition und westlichem Einfluss entstanden“, sagt Mühlhahn. Außerdem brachte das Wirtschaftswachstum vielen Chinesen einen besseren Lebensstandard als noch vor 20 Jahren. „China ist sehr dynamisch. Es existiert eine Aufbruchstimmung, und man hat das Gefühl, es passiert immer wieder etwas Neues“, sagt der Sinologe.

Während Journalisten die teilweise rigorose Zensur in China beklagen, kann Mühlhahn von derlei Problemen nicht berichten: „So lange man sich nicht unmittelbar politisch betätigt, ist die Bandbreite der Themen, über die man heutzutage in China forschen kann, an sich sehr groß.“ Neben den sensiblen Themen Strafen und Rechtssystem in China befasst sich Klaus Mühlhahn im Rahmen des SFB 700 zu Governance mit einem Projekt über Flüchtlingsströme in China während des Zweiten Weltkriegs. „Viel Herzblut“ fließe derzeit in sein Buchprojekt über die Geschichte Chinas vom 8. Jahrhundert bis zur Gegenwart.

„Die Entwicklung Chinas steht erst am Anfang“

Der wirtschaftliche Erfolg der Volksrepublik ist, nach Auffassung von Klaus Mühlhahn, noch nicht an sein Ende gekommen. „Bisher durchlief das Land einen atemberaubenden Entwicklungsprozess, der historisch einzigartig ist.“ Dass sich die Balance in der Welt verändern und China eine noch stärkere Rolle einnehmen werde, bezweifelt Mühlhahn nicht. „Auch in Deutschland wird es zukünftig immer wichtiger werden, sich mit China auszukennen, die Sprache zu sprechen, um in entscheidenden Positionen in Gesellschaft und Wirtschaft tätig zu sein“, sagt Mühlhahn.

Deshalb steige auch der Bedarf an Wissen über die Region. Die Graduiertenschule East Asien Studies – ein gemeinsames Projekt der Institute für Japanologie, Koreastudien und Sinologie der Freien Universität Berlin – die im Rahmen der Exzellenzinitiative 2012  eingerichtet worden ist, will den Austausch zwischen den Fächern und Regionen intensivieren.

„Förderung der sozialwissenschaftlichen, interdisziplinären und  komparativen Forschung“

Von diesem Wintersemester an bietet die Graduiertenschule East Asien Studies ein strukturiertes Promotionsprogramm für angehende Doktoranden an. Weltweite Kooperationen ermöglichen einen breiten und interdisziplinären Forschungsaustausch. Unterstützt werden die Promovenden durch Kurse und Lehrveranstaltungen. Außerdem erhalten sie eine vollständige Finanzierung über drei Jahre und die Chance, für sechs Monate nach Asien zu gehen. Voraussetzung sind solide Sprachkenntnisse des jeweiligen Landes und ein Abschluss in einem sozialwissenschaftlichen Fach. „Unser Ziel ist es, den Promovenden Türen für eine akademische Tätigkeit, aber auch für eine Beschäftigung in der Politik oder Wirtschaft zu öffnen“, sagt Klaus Mühlhahn.