Springe direkt zu Inhalt

Von der Suche nach einer neuen Form

An der Freien Universität entsteht ein internationales Open-Access-Projekt für die Linguistik

12.12.2012

Ziel der Linguisten-Initiative ist es, unabhängig zu werden von der Preispolitik großer Wissenschaftsverlage, die auf der Basis öffentlich finanzierter wissenschaftlicher Inhalte große Gewinnmargen einstreichen.

Ziel der Linguisten-Initiative ist es, unabhängig zu werden von der Preispolitik großer Wissenschaftsverlage, die auf der Basis öffentlich finanzierter wissenschaftlicher Inhalte große Gewinnmargen einstreichen.
Bildquelle: Jan Hambura

Linguistikprofessor Stefan Müller konnte schon mehr als 80 Kollegen aus aller Welt für das Open-Access-Projekt gewinnen, das er an der Freien Universität initiiert hat.

Linguistikprofessor Stefan Müller konnte schon mehr als 80 Kollegen aus aller Welt für das Open-Access-Projekt gewinnen, das er an der Freien Universität initiiert hat.
Bildquelle: Barbara Schmidt

Stefan Müller ist empört. Rund 90 Euro müssten seine Studenten für die Print-on-Demand-Ausgabe eines Lehrbuches ausgeben, das früher im Handel etwa zehn Euro gekostet hatte. Heute ist das Buch, das für Linguistik-Studierende zur Grundausstattung gehört, vergriffen – und es ist, weil der Verlag keine weitere Auflage plant, zum exklusiven Gut geworden. Auch angesichts der Kosten von 200 bis 400 Euro für einzelne Fachpublikationen sieht der Linguistik-Professor den Bogen einiger Verlage überspannt: „Das kann sich niemand mehr leisten“, sagt Müller. Er ist nun selbst tätig geworden und hat mit Fachkolleginnen und -kollegen aus aller Welt ein Open-Access-Projekt für die Linguistik initiiert.

Die Liste der Unterstützer auf Stefan Müllers Webseite wird täglich länger. In den vergangenen Wochen hat er E-Mails von Linguisten aus Stanford und Seoul, aus Oxford und Tübingen und natürlich von Berliner Wissenschaftlern erhalten. „Ich habe etwa 100 Kollegen kontaktiert und bisher rund 80 positive Rückmeldungen bekommen“, erzählt Müller.

Ähnlich wie Mathematiker, die weltweit zum Boykott des Elsevier-Verlages aufgerufen haben, ist es auch das Ziel der Linguisten, unabhängig zu werden: unabhängig von der Preispolitik großer Wissenschaftsverlage, die auf der Basis öffentlich finanzierter wissenschaftlicher Inhalte große Gewinnmargen einstreichen.

Doch allein mit dem Hochladen von Inhalten ist es nicht getan, weiß Stefan Müller. „Wir stehen jetzt vor zahlreichen organisatorischen Aufgaben.“ Da viele der beteiligten Wissenschaftler derzeit noch für klassische Zeitschriften aktiv seien, gebe es keinen Übergang zu Open Access „von heute auf morgen“.

Qualitätsansprüche umsetzen

Der Wissenschaftler erhofft sich durch die Initiative nicht nur einen Preisvorteil: „Wir hätten die Freiheit, einzelne Aufsätze zu publizieren, aber auch ganze Bücher“, sagt Müller. „Unter Umständen könnten wir den kompletten Begutachtungsprozess online dokumentieren, um die Publikationen mithilfe der Linguistik-Community weiter zu verbessern.“ Zunächst gelte es aber, ein Herausgeber-Gremium zu bilden und eine eigene redaktionelle Linie zu finden. Die Gründung des gemeinnützigen Vereins – “Open Access Science Editors and Authors Society (Oaseas)” in dieser Woche ist auf diesem Weg ein erster Schritt.

Für die technische Unterstützung des Open-Access-Projekts hat Stefan Müller Mitarbeiter des Center für Digitale Systeme der Freien Universität (CeDiS) zu Rate gezogen. Diese haben umfangreiche Erfahrung mit Open Access und stehen der Initiative bei den nächsten Schritten zur Seite: Müller wird einen Förderantrag bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) stellen, die frei zugängliche Online-Publikationen seit einiger Zeit unterstützt.  Angesichts der in der Linguistik gebräuchlichen Sonderzeichen, Klammern und Schemata vermutet Müller, dass Typografie und Satz besonders aufwendig seien: „Das werden wir wahrscheinlich nicht vollständig automatisieren können.“

Investition in die Zukunft der Wissenschaft

Der größte Teil der laufenden Kosten wird bei Müllers Projekt wohl für das Layout und das Korrekturlesen anfallen. Außerdem soll bereits existierende Open-Source-Software für die speziellen Anforderungen angepasst und erweitert werden. Angesichts der hohen Anschaffungskosten für Fachliteratur an den Bibliotheken könnte sich die Investition für die Wissenschaft aber schnell bezahlt machen: Fertige Dateien ließen sich problemlos in das Sortiment von Online-Buchhändlern integrieren oder könnten beliebig bei Print-on-Demand-Anbietern in Auftrag gegeben werden, sagt Müller.

Mit seinen Mitstreitern hofft der Linguist darauf,  Nachwuchswissenschaftler stärker für Open Access zu begeistern. Nur zu gut erinnert sich Müller nämlich an seine Freude, als ein Verlag seine Dissertation damals in eine der wissenschaftlichen Reihen aufgenommen habe. „Das Renommee der Verlage und des gedruckten Buches ist auch heute noch der Hauptgrund, warum junge Wissenschaftler ihre Arbeiten auf klassische Art und Weise veröffentlichen“, sagt der Linguistik-Professor. „Da bei unserer Initiative berühmte Linguisten als Gutachter und Reihenherausgeber tätig sein werden, wird die Veröffentlichung bei uns aber mit ebensolchem Renommee verbunden sein.“ Nicht zuletzt die höhere Sichtbarkeit von frei verfügbaren Publikationen sieht Stefan Müller als Pluspunkt für junge Wissenschaftler. Der einen oder anderen Vertragsunterzeichnung bei traditionellen Verlagen hofft er schon bald mit seinem Engagement für eine freie Wissenschaft zuvorzukommen.

Open Access an der Freien Universität

Die Freie Universität hält Wissenschaftler dazu an, elektronische Kopien ihrer Arbeiten auf dem Dokumenten- und Publikationsserver der Freien Universität Berlin (http://edocs.fu-berlin.de) oder einem fachspezifischen Open-Access-Dokumentenserver abzulegen und sie somit anderen Wissenschaftlern zur Nutzung bereitzustellen.

Weitere Informationen und Best-Practice-Projekte unter www.cedis.fu-berlin.de/e-publishing/oa-fub

 

Weitere Informationen