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„Intellektueller Vermittler zwischen den Kulturen“

Nachruf auf Carlos Fuentes, mexikanischer Schriftsteller und Ehrendoktor der Freien Universität Berlin

21.05.2012

Der mexikanische Schriftsteller Carlos Fuentes hat 2004 die Ehrendoktorwürde der Freien Universität Berlin erhalten. Er starb am vergangenen Dienstag.

Der mexikanische Schriftsteller Carlos Fuentes hat 2004 die Ehrendoktorwürde der Freien Universität Berlin erhalten. Er starb am vergangenen Dienstag.
Bildquelle: Miquel Gener

Susanne Klengel ist Professorin für die Literaturen und Kulturen Lateinamerikas am LAI der Freien Universität Berlin.

Susanne Klengel ist Professorin für die Literaturen und Kulturen Lateinamerikas am LAI der Freien Universität Berlin.
Bildquelle: Stephan Töpper

Carlos Fuentes, der am 15. Mai 2012 im Alter von 83 Jahren in Mexiko-Stadt verstorben ist, war eine der bekanntesten und einflussreichsten Persönlichkeiten des mexikanischen und lateinamerikanischen Geisteslebens des 20. und beginnenden 21. Jahrhunderts. 2004 hatte der Schriftsteller die Ehrendoktorwürde des Fachbereichs Philosophie und Geisteswissenschaften in Verbindung mit dem Lateinamerika-Institut der Freien Universität Berlin erhalten. Ein Nachruf von Susanne Klengel.

Der große Schriftsteller, der auch durch bedeutende literaturtheoretische, historische und kulturphilosophische Reflexionen hervorgetreten ist, war ein international hoch angesehener „public intellectual“ und Kosmopolit, ein unermüdlich Reisender und kultureller Brückenbauer zwischen Lateinamerika, Europa und der Welt. Mehr als fünfzig Jahre lang beteiligte sich Carlos Fuentes weltweit an richtungsweisenden Debatten über die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft Lateinamerikas. In seinen fiktionalen und nicht-fiktionalen Texten legte er ein literarisches, intellektuelles und persönliches Zeugnis über bedeutende Themen ab: Über das konfliktreiche „nation building“ des modernen Mexiko, über die realen und imaginären Verortungen der „Neuen Welt“ in der Weltgeschichte, über Aufstieg und Verfall der Ideologien, aber auch und vor allem über das Schicksal des einzelnen Menschen, der eingebettet in seine Leidenschaften, Ängste und Hoffnungen sein Handeln an den jeweiligen Zeitläuften ausrichtet. Carlos Fuentes‘ Credo, formuliert  1969 auf der Höhe des sogenannten Booms – jenes großen Projekts der Erneuerung des lateinamerikanischen Romans –, bestand stets in seinem Vertrauen auf die Macht der Sprache und der Literatur, auch in jenen letzten Jahren, in denen sein Leben vom großen Leid der Familie überschattet war, das auch in seinem literarischen Wirken zu ahnen ist.

Leben und Werk eines Kosmopoliten

Der mexikanische Autor wurde 1928 in Panama geboren. Kindheit und Jugend des Diplomatensohnes waren kosmopolitisch geprägt, wie auch seine spätere Laufbahn als Diplomat, Schriftsteller und Intellektueller zwischen Mexiko, Europa und den USA. In Romanen wie Landschaft in klarem Licht (1958), Nichts als das Leben: Der Tod des Artemio Cruz (1962), Der alte Gringo (1985), Christoph, Ungeborn: Das Vorleben und die Ansichten, die Geschichte und die gesammelten Erfahrungen des sinnreichen Kindes Cristóbal Nonato (1987) oder Die Jahre mit Laura Diaz (1999) setzte sich Carlos Fuentes stets kritisch, bisweilen auch ironisch mit der Rolle Mexikos in der Geschichte und im globalen Kontext auseinander. Es geht etwa um die gewaltsame und gescheiterte Geschichte der mexikanischen Revolution, erzählt aus der Perspektive des sterbenden Potentaten Artemio Cruz, oder um die „kristallene“ Grenze zwischen den beiden Demokratien Mexiko und den USA und ihre brutale Dialektik von Durchlässigkeit und Abschottung (Die gläserne Grenze, 1995). In zwei seiner letzten Texte befasst sich Fuentes schließlich auch mit der Welt und Gewalt des Drogenhandels (Adán en Edén, 2009) bzw. schrieb, wahrscheinlich nicht zufällig, über den Terror eines Vampirs, der bluthungrig über die Stadt Mexiko herfällt (Vlad, 2010). 

Über den Prozess des Schreibens schreiben

Carlos Fuentes war aber vor allem auch ein Meister der Form. Die Reflexion über den Prozess des Schreibens, ein Experimentieren mit literarischen Formen, Stilmitteln und Gattungsgrenzen ist im Roman über Artemio Cruz ebenso offensichtlich wie in seiner berühmten frühen Novelle Aura (ebenfalls 1962) und allen voran in seinem Opus Magnum Terra Nostra (1975), einem „roman total“, in dem historische und imaginierte Welten und Kosmen auf höchst komplexe Weise verknüpft und durchmessen werden. Explizit als Literaturtheoretiker zeigt sich Fuentes in Essays wie La nueva novela latinoamericana (1969), Cervantes o la crítica de la lectura (1976) oder Geografía de la novela (1993) und in weiteren Texten.

Lateinamerikanischer „Boom”

Carlos Fuentes‘ Werk ist Teil des „Booms“ der 1960er Jahre: Zusammen mit Julio Cortázar, Gabriel García Márquez, Mario Vargas Llosa und weiteren lateinamerikanischen Autoren nahm er sich vor, den Kontinent Lateinamerika, seine Geschichte und Kultur von der Literatur ausgehend neu zu denken. Sein Werk jener Jahre war motiviert von zwei grundlegenden literarischen und kulturphilosophischen Fragestellungen: Es suchte die drängende Frage nach der „Mexikanität“ in einer transnationalen, kosmopolitischen Weise zu beantworten und erkundete gleichzeitig die Möglichkeiten von Sprache und ästhetischer Form, um der lateinamerikanischen Literatur weltweit Geltung zu verschaffen.

Internationale Anerkennung

Eine Vielzahl internationaler Preise und Auszeichnungen sind dem mexikanischen Autor zuerkannt worden, darunter der Premio Rómulo Gallegos (1977), der Premio Nacional de Literatura de México (1984), der Premio Cervantes (1987) und der Príncipe de Asturias de las Letras (1994). Die meisten seiner Romane, Erzählungen und Essays sind ins Deutsche übertragen worden und insbesondere dank der Übersetzerin Maria Bamberg dem deutschsprachigen Publikum zugänglich. Mit der 2004 verliehenen  Ehrendoktorwürde hob die Freie Universität Berlin Carlos Fuentes‘ Verdienste als Schriftsteller, Literaturtheoretiker und intellektueller Vermittler zwischen den Kulturen hervor. Die Laudatio hielt der mexikanische Schriftsteller und Germanist José María Pérez Gay. Deutschland, Berlin und die Freie Universität wurden damit zu wichtigen Orten im Leben des Literaten und Denkers Carlos Fuentes.

„Die Welt herbeirufen und verändern“

Die hohe Bedeutung seines literarischen Erbes für die lateinamerikanische und für die Weltliteratur wird Herausforderung und Anregung für die literatur- und geisteswissenschaftliche Diskussion bleiben. Auch in der neuen, international ausgerichteten Literatur aus mexikanischer und lateinamerikanischer Feder gilt Carlos Fuentes längst als eine unhintergehbare Gründerfigur: „Sein Werk hat uns gezeigt, dass Berufung bedeutet, sich vor der Welt nicht zu verstecken, sondern sie herbeizurufen und zu verändern“, schrieb anlässlich seines Todes der kolumbianische Schriftsteller Juan Gabriel Vásquez, einer der jungen Autoren aus dem Feld der von Carlos Fuentes prognostizierten und geförderten „neuen Geografie des Romans“.

Susanne Klengel