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„Gespräch im Winter“

Der litauische Lyriker Tomas Venclova las im Babylon-Kino

16.07.2010

Tomas Venclova war Samuel-Fischer-Gastprofessur am Peter-Szondi-Institut für Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft der Freien Universität

Tomas Venclova war Samuel-Fischer-Gastprofessur am Peter-Szondi-Institut für Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft der Freien Universität
Bildquelle: Bastienne Schulz

Tomas Venclova (mitte), Durs Grünbein (links) und Claudia Sinnig (rechts) haben seine Gedichte abwechselnd übersetzt

Tomas Venclova (mitte), Durs Grünbein (links) und Claudia Sinnig (rechts) haben seine Gedichte abwechselnd übersetzt
Bildquelle: Bastienne Schulz

Babylon als Ort der Sprachverwirrung? Das mittlerweile geflügelte Wort zur biblischen Erzählung über die Stadt Babylon symbolisiert genau das. Das gleichnamige Kino in Berlin-Mitte hatte am 9. Juli eine andere Auslegung: Je mehr Sprachen und je seltener, desto besser. Der Lyriker Tomas Venclova las in kuschelig-warmer Kamin-Atmosphäre auf Litauisch aus seinem Werk „Gespräch im Winter“. Der Dichter und Essayist Durs Grünbein und die Autorin Claudia Sinnig, Expertin für litauische Literatur,  haben die Gedichte abwechselnd auf Deutsch übersetzt.

Die Lesung bildete den Abschluss von Tomas Venclovas Samuel-Fischer-Gastprofessur am Peter-Szondi-Institut für Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft der Freien Universität. Seinen wöchentlichen Kurs über den russisch-amerikanischen Autor Joseph Brodsky, den er persönlich kannte, hielt Venclova vor einem Kreis interessierter Studierender auf Englisch. Das war nur eine der spannenden Erfahrungen des 73-jährigen in Berlin, der seine Vorlesungen in den USA auf Russisch hält.

Der Garten Berlin und der freie Geist auf dem Campus

Berlin ist für Venclova nicht neu, hat die Stadt ihn doch zu drei Gedichten inspiriert. Berlin sei wie ein Garten mit dem vielen Grün, und so habe er sich auch an der Freien Universität sehr wohl gefühlt. „In der Freien Universität herrscht tatsächlich ein freier Geist“, betont Venclova, „dazu trägt auch die Weite und das Grün der Campusgestaltung bei.“

Ein kleiner Kreis von Studierenden hat an seinem Seminar teilgenommen − ideale Voraussetzungen für einen Lektürekurs, findet Venclova. Als Abschiedsgruß möchte er den Studierenden ans Herz legen, noch mehr und intensiver Sprachen zu lernen, vor allem auch die „kleineren“ wie Litauisch, das öffne ganz andere, nahezu „stereoskopische“ Perspektiven. Wer seinen allegorischen und zum Teil barock anmutenden Gedichten in dieser archaisch und mythenhaft klingenden Sprache gelauscht hat, ahnt, was er meint.

Literatur aus erster Hand

Tomas Venclova wurde 1937 in Litauen geboren und zählt zu den wichtigsten osteuropäischen Lyrikern des 20. Jahrhunderts. Sein Werk entstand zum größten Teil im US-amerikanischen Exil. Wenn er nicht in Berlin ist, lehrt er russische Literatur an der Universität Yale in den USA.

„Tomas Venclova ist bereits der 23. Gast im Programm der Samuel-Fischer-Professur, in dem eingeladene Schriftsteller ähnliche Aufgaben erfüllen wie ‚ganz normale’ Professoren“, sagt Professor Oliver Lubrich vom Peter-Szondi-Institut der Freien Universität. „Allerdings bieten die Autoren als Gastprofessoren Gegenwartsliteratur aus erster Hand“. Die Professur wird von der Freien Universität, dem S. Fischer Verlag, dem Deutsch Akademischen Austauschdienst (DAAD) sowie dem Veranstaltungsforum der Verlagsgruppe Georg von Holtzbrinck getragen. Ihre oft ungewöhnlichen Vermittlungsformen sind für die Studierenden besonders spannend und anregend.