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Geisteswissenschaften – was nun?

Bei einer Konferenz in New York mit ehemaligen Gastwissenschaftlerinnen und Gastwissenschaftlern der Freien Universität ging es um die Rolle der Geisteswissenschaften in Universität und Gesellschaft

13.07.2017

Kulturtheoretiker Homi K. Bhabha, Harvard University, hielt den Einführungsvortrag.

Kulturtheoretiker Homi K. Bhabha, Harvard University, hielt den Einführungsvortrag.
Bildquelle: Karen L. Phillips

Während Midtown Manhattan in warmes Abendlicht getaucht wurde und 23 Stockwerke tiefer der Straßenverkehr unablässig weiterbrauste, sprach im obersten Stockwerk des New Yorker German House Homi K. Bhabha. Der Kulturtheoretiker von der Harvard University erörterte ein Thema, das derzeit wohl viele Geisteswissenschaftlerinnen und Geisteswissenschaftler beschäftigt: Wie können Vertreter dieser Fächer auf aktuelle globale Krisen reagieren? Welche gesellschaftliche Relevanz haben die Geisteswissenschaften heute?

Aus den ganzen USA waren Forscher-Alumni der Freien Universität nach New York gereist, um an der Konferenz teilzunehmen.

Aus den ganzen USA waren Forscher-Alumni der Freien Universität nach New York gereist, um an der Konferenz teilzunehmen.
Bildquelle: Karen L. Phillips

Homi Bhabhas Vortrag war der Auftakt der zweitägigen Konferenz „Humanities – What’s Next?“, zu der ehemalige Gastwissenschaftlerinnen und -wissenschaftler aus den USA und ihre Kolleginnen und Kollegen der Freien Universität eingeladen waren. Auf der Tagung wurde das Thema sowohl aus US-amerikanischer als auch aus deutscher Perspektive diskutiert. Die Veranstaltung hatte das Alumni-Büro der Freien Universität im Rahmen des Forscher-Alumni-Programms mit Unterstützung der Alexander von Humboldt-Stiftung organisiert. Als Gastgeber bot das Verbindungsbüro der Freien Universität im German House mit Blick auf das Hauptgebäude der Vereinten Nationen den idealen Rahmen für den transatlantischen Austausch.

Die Arabistin Beatrice Gründler von der Freien Universität plädierte leidenschaftlich für die Relevanz der Geisteswissenschaften und warb für mehr Engagement in der Ausbildung herausragender Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler.

Die Arabistin Beatrice Gründler von der Freien Universität plädierte leidenschaftlich für die Relevanz der Geisteswissenschaften und warb für mehr Engagement in der Ausbildung herausragender Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler.
Bildquelle: Karen L. Phillips

Homi Bhabha ist selbst Forscher-Alumnus der Freien Universität und durch die Ehrendoktorwürde und seine Mitgliedschaft im Internationalen Beirat der Graduate School of North American Studies sowie des Internationalen Forschungskollegs Interweaving Performance Cultures eng mit der Universität verbunden. Er mahnte, die Geisteswissenschaften dürften nicht nur Zeuge gesellschaftlicher und politischer Prozesse bleiben. Sie müssten vielmehr dort Antworten formulieren, wo andere Disziplinen theoretisch und methodisch an ihre Grenzen stoßen. Diese „blinden Flecken“ seien die Herausforderung für die Geisteswissenschaften, was Bhabha am aktuellen Diskurs zur weltweiten Migrationsproblematik verdeutlichte. Oftmals würden dabei Rechts- und Politikwissenschaftlerinnen und -wissenschaftler zu Rate gezogen, doch die geisteswissenschaftliche Perspektive sei wichtig, um Probleme umfassend verstehen zu können. Hier müssten Forscherinnen und Forscher in geisteswissenschaftlichen Disziplinen ihr Selbstverständnis neu definieren.

Beim Academic Speed Dating hatten die Konferenzgäste Gelegenheit, ihre Forschungsinteressen und aktuellen Projekte persönlich vorzustellen.

Beim Academic Speed Dating hatten die Konferenzgäste Gelegenheit, ihre Forschungsinteressen und aktuellen Projekte persönlich vorzustellen.
Bildquelle: Karen L. Phillips

In Round-Table-Diskussionen bekräftigten die rund 40 Teilnehmenden, dass die Geisteswissenschaften aktuell zwar nicht in der Krise, aber dennoch neu gefordert seien. Interdisziplinarität spiele auch in ihren Fächern eine immer größere Rolle, denn gesellschaftliche und technische Veränderungen eröffnen neue Fragen, aber auch Möglichkeiten der Zusammenarbeit. Fächer wie Medizin oder Informatik lieferten alternative theoretische und methodische Ansätze und schafften neue Forschungsfelder wie die Medical Humanities oder die Digital Humanities. Bei Interdisziplinarität müsse es jedoch um Austausch gehen: Die Geisteswissenschaften müssten sich nicht nur öffnen, sondern auch in andere Disziplinen hineinwirken, ermutigte Irene Kacandes, Professorin für Germanistik und Vergleichende Literaturwissenschaft an der Dartmouth University. Einige Teilnehmerinnen und Teilnehmer äußerten jedoch auch die Sorge, dass das mit einer „Verwässerung“ des eigenen akademischen Anspruchs einhergehen könnte.

Während der Round-Table-Diskussionen tauschten sich die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler angeregt aus. Am Mikrofon: Irene Kacandes (Dartmouth College)

Während der Round-Table-Diskussionen tauschten sich die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler angeregt aus. Am Mikrofon: Irene Kacandes (Dartmouth College)
Bildquelle: Karen L. Phillips

Nicht nur ihre methodische Ausrichtung, sondern auch ihren Wert für die Hochschulen und die Gesellschaft müssten die Geisteswissenschaften immer öfter verteidigen, war die Erfahrung einiger Geisteswissenschaftlerinnen und Geisteswissenschaftler. Ihre Fächer stünden sowohl an den US-amerikanischen als auch an den deutschen Hochschulen unter immer stärkerem wirtschaftlichem Druck. Im gesellschaftlichen Kontext seien die Geisteswissenschaften zunehmend mit Anti-Intellektualismus konfrontiert, konstatierte Noah Isenberg, Professor für Kultur und Medien an der New Yorker New School.

Wie Geisteswissenschaftlerinnen und Geisteswissenschaftler stärker mit der außeruniversitären Öffentlichkeit in Dialog treten könnten, um ein Bewusstsein für die Bedeutung der Fächer zu erzeugen und Relevanz zu zeigen, wurde daher intensiv diskutiert. Der Schritt aus dem Elfenbeinturm heraus sei wichtig, allerdings bedeute das auch oftmals einen Balanceakt zwischen wissenschaftlichem Anspruch und allzu starker Vereinfachung. Da hier jede Wissenschaftlerin und jeder Wissenschaftler einen eigenen Weg finden müsse, seien Foren wie diese Tagung wichtig, um sich auszutauschen und gemeinsame Standpunkte zu formulieren.

Neben der Diskussion ging es bei der Konferenz auch um den Ausbau des Netzwerks und die Information über konkrete Förderformate an der Freien Universität sowie die Möglichkeiten für Forschungsaufenthalte in Deutschland mit Unterstützung des Deutschen Akademischen Austausch-dienstes (DAAD), der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) oder der Alexander von Humboldt-Stiftung. Franca Brand, Leiterin des Alumni-Büros und Koordinatorin des Forscher-Alumni-Programms der Freien Universität, ermutigte die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die Angebote des Programms zu nutzen. Und auch die Vertreterinnen und Vertreter des DAAD, der DFG sowie der Alexander von Humboldt-Stiftung hatten ein aufmerksames Publikum, als sie in einer gemeinsamen Runde über aktuelle Fördermöglichkeiten für Geisteswissenschaftlerinnen und Geisteswissenschaftler in Deutschland informierten. Herbert Grieshop, Leiter der Abteilung Internationales der Freien Universität und des Center for International Cooperation, gab abschließend einen Überblick über die Internationalisierungsstrategie der Freien Universität. Dabei betonte er die Wichtigkeit der transatlantischen Wissenschaftskooperation – insbesondere in Zeiten globaler Krisen – und die zentrale Rolle, die Gastwissenschaftlerinnen und Gastwissenschaftler auch künftig für die internationalen Netzwerke der Freien Universität haben werden.

Weitere Informationen

Die Konferenz „Humanities – What’s Next?“ ist Teil des Forscher-Alumni-Programms der Freien Universität, das von der Alexander von Humboldt-Stiftung im Rahmen des Projekts „Internationales Forschungsmarketing“ ausgezeichnet wurde. Dieses Projekt ist eingebunden in die Initiative „Research in Germany“, die vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert wird Projektpartner sind die Alexander von Humboldt-Stiftung, der Deutsche Akademische Austauschdienst, die Deutsche Forschungsgemeinschaft und die Fraunhofer-Gesellschaft.

Weitere Informationen unter: www.research-in-germany.org und www.forscher-alumni.de

Mit der Forscher-Alumni-Strategie baut die Freie Universität ihre internationalen wissenschaftlichen Netzwerke aus, indem sie ehemalige Gastwissenschaftlerinnen und Gastwissenschaftler, sogenannte Forscher-Alumni, weltweit einbindet. Im Sinne der nachhaltigen Förderung dieser Kooperationen sind Nachwuchswissenschaftlerinnen und Nachwuchswissenschaftler aus dem Arbeitsumfeld der Forscher-Alumni und ihrer Gastgeberinnen und Gastgeber an der Freien Universität in das Programm einbezogen.

Weitere Informationen

Franca Brand, Freie Universität Berlin, Abteilung Internationales, Programmkoordinatorin Forscher-Alumni, Telefon: 030/838-73801, E-Mail: alumni@fu-berlin.dewww.fu-berlin.de/alumni